Halloween

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Am 31. Oktober jedes Jahres pflegen viele Kinder, von Haus zu Haus zu ziehen und um Süßigkeiten von den Bewohnern zu bitten. Eines von diesen zahlreichen Kindern ist Paul Bach, der mit seiner erschreckenden Aufmachung schon so manchem Erwachsenen einen tiefen Schock eingejagt hat. Warum, fragst du? Nun, auf den ersten Blick mag sich sein Äußeres kaum von dem der meisten anderen Kinder unterscheiden: Ein billiger schwarzer Umhang aus Kunststoff, wie man ihn aus den Geschäften kennt, wenn Halloween endlich näher rückt und eine Plastikmaske mit kleinen Löchern für die Augen, die mit den langen entblößten Eckzähnen anscheinend Dracula darstellen soll. Bei einer Begegnung auf der dunklen Straße, würde dir vermutlich nicht einmal etwas auffallen, außer dass er vollkommen allein unterwegs ist. Wenn du jedoch einer derjenigen bist, die er für seine alljährliche Tour ausgewählt hat und du auch noch so nett warst, ihm zu öffnen, dann wird dir schnell ein gewaltiger Unterschied zwischen ihm und den anderen Kindern auffallen.

Genauso wie bei allen anderen Kindern wirst du zuerst das helle Klopfen von kleinen Knöcheln an deiner Tür hören. Erst wenn du die Tür öffnest und der helle Schein auf seine kleine Gestalt fällt, wird dir vielleicht klar, dass sein Kostüm vom Hals herab bis zu den Schuhen mit Blut bedeckt ist. Aber nicht so wie du es dir vielleicht vorstellst, eingetrocknet, im Gegenteil, es ist flüssig und rinnt an ihm herab. Wortlos wird dir die kleine Figur gegenüberstehen und dir ihr kleines Süßigkeitensäckchen starr entgegen halten. Es macht keinen Sinn ihn zu grüßen, ihn zu fragen, wie es ihm geht, oder nach seinen Eltern zu fragen. Nichts davon wird er beantworten, oder auch nur einer Reaktion würdigen. Regungslos wird er dir das Täschchen hinhalten, in der Erwartung, dass du es befüllst. Einzig und allein die Frage "Willst du etwas Süßes?" beantwortet er mit einem stummen Nicken und unter Umständen kannst du in diesem kurzen Moment das erkennen, was ihn von den anderen Kindern unterscheidet. Direkt unter seinem Kinn, ansonsten von der Maske verdeckt, ragt ein blitzendes Stück Metall hervor.

Versuche nicht ihn darauf anzusprechen, er wird dir keine Antwort geben, lediglich der durchdringende Blick der beiden schwarzen Punkte auf der grinsenden Maske wird dich noch intensiver durchlöchern. Wenn du versuchst ihn anzufassen, wird er dir ausweichen, wenn du versuchst Hilfe zu holen, oder ihn zu fangen, wird er dir davonlaufen, unabhängig davon, wie schnell du rennen kannst. Wenn du Panik bekommst und die Tür zuwirfst, dann wirst du dreizehn Sekunden danach erneut das Klopfen seiner Knöchel hören. Drei Minuten hiernach wieder, in fünf Minuten erneut und dann immer wieder im zwanzig Minutentakt bis zu Mitternacht, wonach das Klopfen schlagartig verstummt. Während dieser Zeitperiode kannst du ihn beobachten, wie er vor deiner Haustüre steht und wartet - wenn es dich nicht stört, dass er dich auch beobachtet. Egal ob du ihn durch einen Vorhang, oder durch einen Rollladen beobachtest, egal ob er dich direkt sehen kann oder nicht, die beiden kleinen schwarzen Punkte werden exakt auf dich gerichtet sein, während sein Körper unverändert in der Kälte vor deiner Haustüre verharrt. 

Es ist kein Zufall, dass er in deine Richtung blickt. Er sieht dich. Er weiß was du machst. Er wartet auf seine Süßigkeiten, die du ihm schuldest. Gib ihm einfach seine Süßigkeiten und lass ihn weiter ziehen und wenn du besonders großzügig bist, belohnt er dich vielleicht sogar mit einem widerlich gurgelnden Geräusch. Natürlich wird dir der Junge nicht aus dem Kopf gehen und du wirst vermutlich nicht schlafen können, aber ungeachtet deiner Reaktion auf ihn, wird er dich nach Mitternacht nicht mehr belästigen. Erst am nächsten Morgen wirst du vielleicht davon hören, dass irgendjemand ein blutüberströmtes Täschchen voll mit Süßigkeiten am Straßenrand gefunden hat.

Das abgrundtief BöseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt