Aufgehängt

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„Guten Tag. Mein Name ist Kriminalinspektor Brecht."
„Hallöchen!"
„Sie sind Insasse 118, stimmt das?"
„Korrekt."
„Sie wissen, wieso Sie hier seit drei Wochen in Untersuchungshaft sitzen?"
„Selbstverständlich."
„Geben Sie zu, diese elf Menschen entführt, gefoltert und getötet zu haben?"
„Ja, ja und nein."
„Wieso nicht?"
„Ich habe sie nicht umgebracht."
„Heißt das, sie leben noch? Wir haben ihre Leichen noch nicht gefunden."
„Nein."
„Das bedeutet, Sie haben sie ermordet."
„Nein."
„Hat es jemand anderes getan?"
„Nicht direkt."
„Dann schildern Sie mir bitte den Tathergang."
„Dürfte ich bitte eines dieser Pfefferminzbonbons haben?"
„Ich habe keine Süßigkeiten."
„Wieso riecht Ihr Atem dann nach Pfefferminze?"
„Mundspray."
„Und was haben Sie geschluckt, als Sie den Raum betreten haben?"
„Beginnen Sie endlich zu erzählen, wenn ich Ihnen eines gebe?"
„Klar."
„Hier bitte."
„Danke..."
...
„Können Sie jetzt bitte beginnen."
„Zwei Minuten noch."
„Hören Sie, wenn Sie mich verarschen, sorge ich dafür, dass Sie gemeinsam mit dem übelsten Abschaum hier duschen! Ich hoffe Sie wissen, was das für Sie bedeutet."
„Ok, ok. Keine Panik, es ist ja nicht so, als würde ich gleich davonlaufen."
„Dann beginnen Sie zu erzählen!"
„Alles?"
„Von Anfang an, bis zum Ende."
„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer und es war finster auf der Tiefe..."
„Strapazieren Sie nicht meine Nerven! Ich mache ernst, wenn Sie nicht gleich mit der Wahrheit rausrücken!"
„Verstanden, mein Gebieter!"
„..."
„Also, zuerst müssen Sie wissen, wie ich gejagt habe. Eigentlich ist das ganz einfach, man muss nur die richten Knöpfe drücken. Männer sind sehr simpel gestrickt, schon nach einer Woche hatte ich die meisten so weit, dass sie sich bis in mein Haus getraut haben. Bei Frauen hat das durchschnittlich viermal so lange gedauert, aber Sie wissen ja, Frauen Komplimente zu machen ist wie Topfschlagen auf dem Minenfeld."
„Kommen Sie auf den Punkt."
„Begonnen habe ich stets mit dem ‚zufällig' gleichen Hobby, oder Interesse. Davor habe ich meine Opfer eine Zeit lang beobachtet und versucht herauszufinden, was ihre Lieblingsthemen sein könnten. Wenn ich mir sicher war, bin ich auf sie zugegangen und habe sie darauf angesprochen. Bei gut achtzig Prozent bin ich richtig gelegen."
„Sehr gute Menschkenntnis, wie bereits im Bericht erwähnt... Wie haben Sie es geschafft, die Personen davon zu überzeugen, dass Sie sich ebenfalls für das Thema interessieren?"
„Die Kunst liegt darin, möglichst wenig zu reden. Stiften Sie ihre Opfer dazu an, von sich aus etwas zu erzählen und wiederholen Sie gelegentlich kleine Teile der Aussagen in eigenen Worten. Ganz wichtig, stimmen sie unbedingt mit der Meinung ihres Opfers überein! Das macht Sie zusätzlich sympathisch."
„Das funktioniert?"
„Ich muss zugeben, diese Taktik funktioniert bei introvertierten Menschen nicht, aber diese erkennt man ohnehin an ihrer Körpersprache, also kann man sie im Vorhinein aussortieren. Ich konnte noch nie gut mit introvertierten Menschen. Sie sind mir kurz gesagt unsympathisch. Schwer zu durchschauen, kaum bis keine sozialen Kompetenzen und Konversationen mit ihnen geraten so schnell ins Stocken, dass sie keinen Spaß machen. Man muss viel zu viel von sich selbst preisgeben und man weiß nie, ob sie einem nun wirklich zuhören. Extravertierte Menschen sind in diesem wichtigen Punkt viel leichter zu handhaben. Sie reagieren auf das Gesagte und geben meist auch die eigene Meinung preis. Man kann daran erkennen, woran man bei ihnen ist. Auch ihre Körpersprache ist verständlicher. Sie gibt klare Zeichen und zeigt in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Haben Sie schon einmal die Körpersprache eines introvertierten Menschen beobachtet? Viel zu stark zurückhaltend, kaum bis keine deutlichen Signale oder Gesten, eine große Intimzone um sich herum und sofortiges fluchtartiges oder abwehrendes Verhalten, wenn jemand in diese eindringt. Sie wissen nicht, was der Mensch von Ihnen will, wenn er es Ihnen nicht sagt. Wie denn auch? Und dann ist er auch noch empört, wenn Sie nicht richtig reagieren. Als wäre Gedankenlesen etwas Übliches!"
„Sie schweifen ab."
„Merken Sie sich das, es könnte Ihnen bei der Partnersuche behilflich sein."
„Wieso sollte ich auf Partnersuche sein?"
„Sie haben sich frisch rasiert, Sie tragen Parfüm und Ihr Hemd ist neu. Das erkenne ich übrigens am Kragen. Außerdem tragen Sie ein wenig Schminke, aber Sie sehen nicht so aus, als würden Sie auf der anderen Seite des Ufers verkehren. Sie wollen offensichtlich in der Frauenwelt auffallen. Wieso sollten Sie sich auch so für einen Mordverdächtigen herausputzen?"
„Ich muss Sie leider enttäuschen, ich bin nicht auf der Suche."
„Stimmt. Sie haben die Richtige bereits gefunden, aber sie beachtet Sie kaum und Sie trauen sich nicht, etwas zu sagen, nicht wahr?"
„Wie haben Sie...? Das ist... unglaublich. Mal so unter uns, haben Sie als Profi einen Tipp für mich?"
„Sprechen Sie sie an, sonst werden Sie sich noch Ewigkeiten quälen."
„Und wenn ich mich nicht traue, oder wenn Sie nein sagt?"
„Hm, dann würde ich zu einer kleinen Dosis GHB raten. Das Zeug macht unglaublich gefügig. Vor Gericht gewinnen sicherlich Sie, immerhin sind Sie ein Cop."
„Wieso frage ich Sie das überhaupt?"
„Weil Sie verliebt und verzweifelt sind."
„Hören Sie auf und beschreiben Sie den weiteren Vorgang!"
„Sie wollen die Wahrheit nicht erkennen, oder?"
„Ich warne Sie nicht noch einmal!"
„Verstanden."
„Was haben Sie getan, nachdem Sie ihre Opfer angesprochen haben?"
„Ich habe versucht, ihnen am nächsten Tag noch einmal ‚zufällig' über den Weg zu laufen."
„Und dann?"
„Was wohl? Ich habe sie erneut angesprochen und signalisiert, dass ich sie sehr sympathisch finde und mir das Gespräch am Vortag gefallen hat. Wenn sie danach ein zweites Mal mit mir gesprochen haben, hatte ich bereits gewonnen. Daraufhin folgten ein oder mehrere Getränke, je nach Persönlichkeit und Geschlecht und danach habe ich sie bereits zu mir nach Hause eingeladen."
„Mehr nicht?"
„Naja, ein letztes Getränk noch."
„Ein letztes Getränk?"
„Ja, ein Getränk inklusive letzterer Lösung für ihr Frauenproblem."
„Das heißt, Sie haben ihre Opfer mit Hilfe einer Droge außer Gefecht gesetzt?"
„Was sonst?"
„Was haben Sie dann gemacht?"
„Ich habe sie mit Isolierband gefesselt und weggebracht."
„Wohin?"
„In eine Lagerhalle nördlich von hier."
„Und dort? Was haben Sie dort getan?"
„Dort habe ich sie kopfüber auf Haken aufgehängt."
„An was für Haken?"
„Fleischhaken."
„Das war's?"
„Nein, ich hatte natürlich auch meinen Spaß."
„Warum?"
„Vermutlich weil ich sadistisch veranlagt bin."
„Nein, ich meine, in wie fern hatten Sie ihren Spaß?"
„Sie müssen wissen, mit dem richtigen Werkzeug und ein wenig Geduld, kann man einem menschlichen Körper die bizarrsten Dinge antun, ohne dass der Mensch dabei stirbt. Zum Beispiel können Sie mit einem einfachen Brotmesser den..."
„Nein! Ich habe den Bericht über Ihre erste Aussage gelesen. Ich muss mir das nicht noch einmal antun."
„Dann wissen Sie bereits, welch Genie am Werk war. Aber wenn Sie wollen, können Sie sich jetzt noch einmal an meinem Wissen bereichern, sollte Sie irgendwann jemand enttäuschen."
„Nein, danke. Ich nehme an, Ihre Opfer sind verblutet."
„Nicht dass ich wüsste."
„Wie sind sie dann gestorben?"
„Vermutlich verdurstet."
„Vermutlich?"
„Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, waren sie noch wohlauf. Aber das ist schon drei Wochen her."
„Oh mein..."

Das abgrundtief BöseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt