4. TEIL: BEIM WASSERMÜLLER AM BLAUBACH

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                              1. Gesang



Der Schlamm spritzt als das Fuhrwerk das Westtor passiert,

Dem Blaubach dann folgend sehr engagiert.

Auf dem Kutschbock sitzen wohl Vater und Sohn

Und peitschen die Ochsen als gäb's dafür Lohn.

Nach einer Stund kommt das Müllerhaus in Sicht,

Durch die Regenschleier schimmert ein trübes Licht.



"Gott!" ruft eine Frauenstimme, "sind die durchnässt!

Ich geb ihnen trockenes Zeug, wenn man mich lässt!

Die armen Mädchen, und völlig durchfroren:

Was habt ihr denn hier draußen verloren?"

Sie hebt sie vom Wagen und bringt sie ins Haus,

Führt sie zur Kammer und kleidet sie aus.



Nachthemden ihrer Ält'sten Lea reicht sie dazu,

Während das Trommeln des Regens zieht in den Bann

Die langhaarigen Blonden, als Lea erscheint,

Welche dreizehn noch ist und gleich merkt wie verweint

Die Augen der Hilde sich präsentieren,

Und wie die noch nackten Mädchen sich zieren.



"Mein Gott, sie ist schwanger!" poltert die Hausherrin los,

"Und seht nur ihr Bäuchlein, wie dick und wie groß!"

Das arme Hildchen, so weiß und bleistiftdünn,

Windet sich in dem verzweifelten Bemühn

Ihre grotesk wegstehn'de Kugel zu schützen,

Wozu sie nur die Händchen kann benützen.



"Oh, sie ist weit - schon im Herbst, da ist das Baby da!

Sie wird gewiss die jüngste Mutti, die ich sah,

Die kann nicht älter als meine Lea sein,

Und die Geburt wird schwer, mein Blümelein!!"

Weinend die Hilde auf dem Bett zusammenbricht,

So als drohe ihr noch heut das Jüngste Gericht.



"Sind Sie der Vater?" herrscht sie den Godebrecht an,

Als dieser den Kopf zur Tür hineinsteckt.

"Ja, das ist er," heult Hilde, "er ist doch mein Mann!"

"Dann schlüpf in dein Nachthemd, Mädel, ganz korrekt,

Und folge dem Kerl dann in seine Kammer!

Die Frau gehört zum Mann, und Schluss mit dem Gejammer!"



Das Vermächtnis der NibelungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt