Es musste doch möglich sein... Aber... wieder nichts! Dieses Mistvieh machte sich offensichtlich nur lustig über ihn! Carl schmiss die letzten Brocken Brot über Bord; mochten sich doch die Fische darum streiten! Die Möwe starrte dem verschwindenden Futter eine Sekunde nach, dann wandte sie ihm wieder den Kopf zu und gab keckernde Geräusche von sich, fast so wie ein spöttisches Lachen. Seit zwei Wochen ging das jetzt schon so. Ausgangspunkt der Geschichte war eine leichtfertige Wette mit Malte gewesen: Er hatte behauptet, dass es unmöglich sei, einen in Freiheit geborenen Vogel zu zähmen. Natürlich hatte Carl dagegengehalten und vollmundig versprochen, den Beweis hierfür anzutreten. Das Ergebnis bislang war jedoch mehr als kläglich! Zwar hatte er noch ganze drei Tage bis zu ihrer Ankunft auf der Insel der Urgewalten inmitten des Atlantiks, doch schien jetzt schon klar, dass die Wette verloren gegeben werden musste - und damit wurde auch der Wetteinsatz fällig - Malte rieb es ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit unter die Nase, dass er sich darauf freute, endlich jemanden gefunden zu haben, der ihm demnächst das Essen kochte, wenn sie unterwegs waren. Der Hausmeister kam trotz des aufkommenden Regens und der starken Gischt entspannt auf ihn zugeschlendert. Das Schiff hob sich weit aus dem unruhigen Wasser und fiel dann die hohen Wellen zermalmend wieder zurück in die Fluten. Es war Carl ein Rätsel, wie der Mann bei solch einem unsteten Untergrund so sicher gehen konnte. "Hier steckst du, mein Junge!" Er musterte die auf einem Mastausleger hin- und her wankende Möwe spöttisch. "Aber viel Erfolg hast du mit dem guten Federvieh dennoch nicht gehabt!" Der junge Mann zuckte die Schultern. Einen Versuch war's wert. "Und wenn schon! Dann mach ich Malte halt den Koch auf dieser Insel! Viel Freude wird er an meinem Essen allerdings nicht haben!" Herr Dallgruber stand jetzt neben Carl, der sich krampfhaft an der Reling festhielt und in die graugrünen Wellen starrte, die sich bedrohlich ihrem Oberdeck näherten, um dann letztendlich doch wieder in sich zusammenzusacken und den nächsten Platz machten. "Wo steckt er eigentlich?" Sein Gegenüber gab wieder das vertraute meckernde Lachen von sich. "Na, dem steht grad nicht der Sinn nach Essen. Der Ärmste liegt schon den ganzen Morgen unter Deck und gibt alles von sich, was zuvor in irgendeiner Weise den Weg in seinen Magen gefunden hatte! Kein schöner Anblick, mein Junge, das kann ich dir versichern. Bleib also lieber hier oben und übe weiter mit dem Federvieh!" Er lachte abermals. Auch Carl schmunzelte, obgleich ihm grundsätzlich eher weniger danach zumute war. "Ich habe nachgedacht, Herr Dallgruber!" Er hielt inne, nur um sofort fortzufahren, als er in das fragende Gesicht des Hausmeisters blickte. "Bei der Insel kann es sich doch eigentlich nur um Island handeln, oder?" Eine starke Böe packte das Besansegel mit voller Wucht und verursachte einen lautstarken Knall, so dass beide zusammenzuckten. "Ganz recht, Charles! Die Insel wird eines Tages Island genannt werden. Aber so weit sind wir noch nicht!" Carl gab es auf, die rätselhaften Antworten seiner Umgebung vollends zu entschlüsseln und registrierte nur die Aussage, dass es sich tatsächlich um Island handelte. "Und wie lange werden wir dort bleiben?" Inzwischen mussten sie sich anschreien, um noch gegen den Wind anzukommen, der sich zu einem tosenden Heulen gesteigert hatte. Herr Dallgruber legte ihm eine Hand auf die Schulter und deutete ihm an, unter Deck zu gehen. Sie hielten sich an den Führungstauen fest und stapften gegen den Wind zur nächstgelegenen Bodenluke. Bevor Carl hinter dem Hausmeister die steile Stiege nach unten hinabstieg, schaute er zurück auf das mittlerweile vom Meer überströmte Oberdeck. Es war ihm ein Rätsel, wie bei diesem Wetter noch Männer frei über die Planken liefen, geschweige denn, wie es den armen Kerlen weit oben in der schwankenden Takelage erging. Dann schloss sich die Luke über ihnen und schlagartig kehrte im Dämmerlicht der Vorkammer wieder die Ruhe ein, die sie bereits in der Kabine des Capitano erfahren hatten. Irgendwo hörten sie das Geräusch von Würgen und Brechen, unterbrochen nur vom Gejammer Maltes, der den Tag verfluchte, als er das Deck der Cherub betreten hatte. Sie gingen in den Kojenraum, den Malte und er sich seit ihrer Abfahrt vor zwei Wochen teilten. Der Raum roch säuerlich nach Erbrochenem. Ein käsig-bleiches Gesicht und ein massiger Körper unter einem Stapel Decken waren das erste, was sie von ihrem Begleiter wahrnahmen. Der sonst so fröhliche Bäckerssohn schaute sie aus matten Augen mit resigniertem Blick an. "Ich geb's auf. Der dritte dieser abscheulichen Zwiebacks! Und nicht einen einzigen hab ich verdauen können! Und dann immer dieses Schlingern und Schaukeln..." Er beugte sich wieder über den Eimer vor der Koje. Nachdem sich die beiden vergewissert hatten, dass sie nichts für Malte tun konnten und dieser nur seine Ruhe wollte, verließen sie die Kammer wieder und stellten sich in den Vorraum.
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Das Fragment
FantasyIn dieser Geschichte geht es um den Jungen Carl, der beim Schlittschuhlaufen auf dem zugefrorenen Dorfweiher einen seltsamen Toten findet, in dessen Tasche sich ein geheimnisvolles Fragment mit mysteriösen, bedrohlich wirkenden Buchstaben befindet...