Ein Zwischenspiel der besonderen Art

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Ein Zwischenspiel der besonderen Art

Das Essen im großen Speisesaal des Schlosses gestaltete sich zunächst erstaunlicherweise recht angenehm. Mae war mit einem gelben Kleid der neuesten Schnittart angetan und strahlte erleichtert, als sie Boldwin vor sich sah. Cleggard gab den vollendeten Gastgeber, plauderte und scherzte mal mit Mae und Boldwin, mal mit den anderen Gästen der Speisetafel. Der Schreiber war erstaunt, wie viele Menschen des Abends in Ronovés Mauern zugegegen waren. Gewiss einhundert saßen mit ihnen an der langen Tafel, die sich vor erlesenen Köstlichkeiten schier bog und langten reichlich zu. Hatte sich Boldwins Appetit zunächst noch in Grenzen gehalten, so konnte er unter dem Eindruck all der Völlenden nicht umhin selbst zuzugreifen. Da vor lauter Lärm und musikalischer Untermalung ohnehin an keine Unterhaltung mit Mae zu denken war, hatte Boldwin genug Zeit, sich die Gäste genauer anzusehen. Bisweilen meinte er jemanden zu erkennen, der schon am Hofe Richards ein und ausgegangen war, aber sobald ihm hierzu der passende Name einfiel, musste er seine Meinung auch schon wieder revidieren, da die betreffende Person unvermittelt in einem gänzlich anderen Licht erschien und sich völlig anders gab, als er erwartete. So saß zwei Plätze neben ihm ein Graubärtiger über und über mit Juwelen und Geschmeide angetan, den er zunächst ohne jeden Zweifel als einen Freiherrn aus der Gegend um Yorkshire ausmachte, der aber, als ihm der Mundschenk stolpernd einen Pokal Wein über das Wams goss, so aufbrauste, dass ihm der Geifer aus dem Bart tropfte und er gar die Auspeitschung des armen Jungen forderte, woraufhin dieser tatsächlich von zwei Wachen unter den Arm gepackt und blassen Gesichts nach draußen geführt wurde. Der Boldwin bekannte Freiherr hätte über den Vorfall gelacht und Witze gemacht und es dabei bewenden lassen. Desgleichen saß eine betagte Jungfer eine Bank entfernt, die nach des Schreibers Dafürhalten und Erinnerung für ihre Sittsamkeit und Zurückhaltung gerühmt wurde und auch bei Festmahlen wie diesem Getränken und Speisen lediglich mäßig zusprach; die Gesichtszüge dieser Frau jedoch waren unter dem Einfluss von starkem Alkohol-Einfluss verzerrt und gerötet. Ihre Augen funkelten voller Lüsternheit und Gier und jedes Mal, wenn einer der Bediensteten ihren Becher auffüllte, langte sie ihm ohne jede Zurückhaltung an das Gesäß oder griff beherzt in seine Hose. Mae bemerkte all das nicht, sondern erfreute sich an den Avancen und Komplimenten, die ihr die älteren und jüngeren Tischnachbarn machten. Sie lachte sogar zweimal lautstark auf, als ein junger Mann mit scharlachrotem Wams und wippender Hahnenfeder auf dem modischen Hut ihr Anerkennung für den tiefen Ausschnitt zollte, nur um sogleich unverschämt in diesen hineinzustarren und sich mit unverhohlenem Trieb mehr für diese Nacht zu erhoffen. Der Schreiber blickte sich befremdet um bis sich seine Blicke mit denen Cleggards trafen, der ihm ein wissendes Auge zukniff und einen Finger an den Mund legte. Er hatte begriffen, was durch Boldwins Kopf ging und ihm klargemacht, dass er es wusste. So einfach war das! Es überraschte den alten Mann nicht einmal mehr, dass Cleggard ihn so durchschaute, doch irgendetwas störte ihn dennoch an der Geste. Doch wie sehr er sich auch den Kopf zerbrach, ihm mochte beim besten Willen nicht einfallen, was es war - abgesehen von der Tatsache, dass Cleggard ihm von Anfang an unheimlich gewesen war. Das Fest schritt fort und nach weiteren kulinarischen Köstlichkeiten trat eine Gauklertruppe auf. Die Frauen und Männer der Gruppe waren zur einen Hälfte komplett in weiße und zur anderen in schwarze Kostüme gehüllt. Sie sangen bekannte Lieder, wie sie wohl auch am Hofe König Richards bei ähnlichen Gelegenheiten zu hören gewesen waren. Doch inmitten eines sanften Liebesliedes, das von der Sehnsucht eines Prinzen zur Hofdame seiner Schwester handelte, ertönte auf einmal ein dissonanter Akkord und die Gaukler strebten getrennt nach weiß und schwarz in jeweils eine Ecke der hölzernen Bühne, die extra für das Fest in der Mitte zwischen den Tafeln aufgebaut worden war. Den frei gewordenen Platz betrat ein schier hünenhafter Kerl, angetan mit dunkelrotem Mantel und saphirgrünem Wams. Seine Gesichtszüge wirkten starr und hölzern, dennoch blickten seine Augen wild und suchend in die Menge; jeder, den der Blick der tiefliegenden Augen traf, duckte sich unwillkürlich weg, bis sie weitergewandert waren. Schließlich blieben sie an Mae haften. Der Hüne streckte einen Finger aus und zeigte auf das erschrockene Mädchen. Ohne ein Wort zu sagen, forderte er sie auf, zu ihm auf die Bühne zu kommen. Sie schaute verängstigt auf Boldwin, dieser legte ihr beschwichtigend die Hand auf und schaute seinerseits in Cleggards Richtung. Dieser lachte wieder und sagte dann laut: "Gönnt der jungen Dame doch diesen harmlosen Spaß, Master Schreiber! Sie kann sich glücklich schätzen! Unsere Schausteller hier sind hochbegehrt und treten nicht bei jedem dahergelaufenen Auftraggeber auf. Wen sie auswählen, der stellt in ihren Augen etwas Besonderes dar! Also!" Er machte eine auffordernde Geste, die eher schon wie ein Befehl anmutete, Mae loszulassen. Widerstrebend zog Boldwin die Hand zurück. Mae stand zögernd auf und betrat sich nach allen Seiten umsehend die Bühne. Dabei raffte sie unbeholfen den gelben Rock hoch und gab dabei wohl mehr frei als beabsichtigt, denn Pfiffe und obszöne Rufe von allen Seiten begleiteten das Mädchen, bis sie den Platz neben dem Hünen erreicht hatte. Dieser legte sogleich besitzergreifend eine seiner schier übermächtigen Pranken auf ihre Schulter, was die Anwesenden abermals mit Gejohle quittierten. Trommelwirbel setzte ein und die weißen und schwarzen Schausteller begannen einen wogenden Tanz, der sie immer wieder in Richtung der Bühnenmitte brachte, von dort aber umso schneller wieder fortführte. Boldwin ahnte nichts Gutes, saß jedoch wie gelähmt auf seinem Platz, sich der feixenden Blicke Cleggards wohl bewusst. Der Trommelwirbel verklang abrupt und in diesem Moment rissen die riesigen Pranken des unheimlichen Hünen Mae die Kleidung vom Leib. Ihr Schrei ging in dem anerkennenden Jubeln und Rufen der Menge unter. Sie stand nunmehr nackt und schutzlos vor hundert Augenpaaren und noch ehe sie von der Bühne fliehen konnte, packte sie der Riese und warf sie vor sich auf eine bereitstehende Holzpritsche. Der Schreiber wusste, was jetzt kommen würde und sprang auf, um zu helfen oder sich zumindest den Anblick zu ersparen. Doch bevor er zum Ausgang des Saales streben konnte, drückte ihn eine Hand auf der Schulter wieder nach unten auf seinen Platz. Es war Cleggard, der, ohne dass Boldwin es bemerkt hatte, unvermittelt hinter ihm stand. "Es ist besser, Ihr seht Euch das an, Meister Schreiber! Sonst könnte es leicht passieren, dass ihr auf der Bühne Schlimmeres zustieße als nur das. Euch liegt doch was an dem Mädchen?" Und so starrte Boldwin voller Entsetzen nach vorne, die Hand Cleggards immer noch auf sich ruhend und sah zu, wie das Mädchen Mae, das er vor dem Feuertod gerettet hatte, jetzt von diesem grobschlächtigen Hünen auf brutale Art vor aller Augen vergewaltigt wurde. Nach einer schier unendlich langen Zeit, in der der alte Mann umgeben von einer Woge aus Gelächter und Beifallrufen wie durch einen Schleier wahrnahm, dass Mae sich nur noch erschöpft vor lauter Schreien in ihr Schicksal ergab, endete das Spektakel genauso plötzlich, wie es begonnen hatte. Die seltsamen Schausteller zogen sich zusammen mit ihrem riesigen Hauptdarsteller zurück und die Bühne ließ eine schluchzende, geschändete junge Frau zurück, die noch nicht einmal mehr die Kraft hatte, ihre Blöße zu bedecken. Boldwin sprang auf und eilte so schnell er konnte zu ihr und versuchte sie zu beruhigen. Merkwürdigerweise schien keiner, nicht einmal Cleggard, von ihnen noch Notiz zu nehmen. Die rechte Hand Ronovés saß plaudernd am Tisch und auch die anderen Gäste hatten sich ihren Banknachbarn zugewandt und taten, als ob zuvor nicht das Geringste geschehen war. Boldwin zog Mae, die sich mühselig bedeckt hielt, humpelnd von dem hölzernen Podest und strebte dem Ausgang des Festsaals in Richtung des Treppenaufgangs zu ihren Zimmern zu. Keiner schien sich daran zu stören; als dann noch eine riesige Platte mit erlesenen Süßspeisen hereingetragen wurde und ein vielstimmiger Ausruf voller Vorfreude durch den großen Raum erscholl, verlor Boldwin die Fassung und schrie mit aller Kraft, die seine brüchige Stimme ihm noch gestattete: "Ihr erbärmlichen Tiere! Möge Gott euch für all das hier strafen!" Gelächter aus vielerlei Kehlen war die Folge; es schien so, als hätte er einen köstlichen Witz gemacht, der auf diese Art und Weise quittiert wurde. Der alte Mann machte eine wegwerfende Geste und zog Mae weiter mit sich; schon hatten sie den Treppenaufgang erreicht, da schnitt Cleggards befehlsgewohnte Stimme klar und kalt durch den Saal: "Auf ein Wort, Meister Schreiber: Erwähnt nie wieder den Namen des Anderen in diesen Hallen! ER hat hier nichts verloren! Ich hoffe, Ihr habt das verstanden? Und nun geht mir aus den Augen!" Und so schlichen Boldwin und Mae wie geprügelte Hunde zurück in ihre Unterkünfte, während der Lärm des Festes vielfach gebrochen durch die Gänge des Schlosses brandete und sie noch geraume Zeit begleitete.

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