0-Finsternis

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Es war ein ruhiger Abend. Da die Stadt kein sonderlich belebter Ort war, waren um diese Uhrzeit nur noch wenige Menschen auf der Straße. Die herbstliche Luft wehte in leisen Winden durch die Straßen und vom Himmel leuchteten schon ein paar Sterne herab.

Doch hinter dieser trügerisch idyllischen Fassade steckten düstere Seiten: der wahre Grund, warum kaum jemand draußen war. In dieser Stadt waren die Leichen von mittlerweile 15 Mädchen gefunden worden- aber sie alle waren körperlich unversehrt. Es wurde vermutet, dass der Täter mit Gift arbeitete, obgleich in den Körpern der Mädchen keinerlei Rückstände gefunden wurden. Da die Polizei dem Fall auch nach einem Monat nicht gerecht und die Opfer immer mehr wurden, unternahm die japanische Polizei schließlich das einzige, was sie noch tun konnten: sie aktivierten L. L war ein Meisterdetektiv, der schon tausende von Fällen gelöst hatte. Doch L nahm bekannterweise nur Fälle an, die ihn persönlich interessierten- außerdem trat er niemals selbst in Erscheinung. Niemand wusste, wie sich seine Stimme anhörte, geschweige denn, wie er aussah. Doch in diesem Fall hatte die Polizei Glück: L erklärte sich bereit, den Fall zu übernehmen.


Ein älterer Herr in einem feinen Anzug ging gemächlichen Schrittes die Gassen der kleinen Stadt entlang. Er hatte ein leises Lächeln auf seinen Lippen und wirkte von seiner ganzen Gestalt her sehr symphatisch. Und dieser erste Eindruch täuschte nicht. In seiner Hand trug er einen Aktenkoffer in schlichtem Schwarz. Nach ein paar Minuten war er schließlich am Ziel seiner Reise angekommen; er stand nun vor einem kleinen Häuschen, dass sehr typisch für diese Kleinstadt wirkte. Der Mann drückte auf die Klingel, auf deren Schild auffälligerweise kein Name stand. Einige Sekunden später öffnete sich die Tür und er trat ein. Es war dem Anschein nach ein ganz normales Häuschen, in dem eine bis zwei Personen lebten. Nichts wirkte irgendwie merkwürdig oder sonderbar. Der Mann öffnete die Aktentasche und entnahm ihr eine kleine Plastiktüte, die er mitsamt Inhalt in dem kleinen Kühlschrank verstaute. Dann nahm er den Aktenkoffer wieder an sich und betrat das Schlafzimmer. Das Bett war gemacht, wirkte aber irgendwie so, als hätte seit Ewigkeiten niemand mehr darin geschlafen. Ohne zu Zögern lief der Mann auf den Kleiderschrank zu, öffnete und betrat ihn. Was für einen zufälligen Beobachter vielleicht sehr seltsam gewirkt hätte, war für den älteren Herrn völlig logisch: in dem Schrank war nämlich ein versteckter Aufzug eingebaut, der durch einen Fingerabdruckscanner am Griff des Schrankes ausgelöst wurde. Also setzte sich der Aufzug in Bewegung und fuhr nach unten. Ein Stockwerk tiefer stieg der Mann wieder aus- und nun sah die Umgebung nicht mehr ganz so normal aus.

Die Räume waren groß und geräumig, besaßen aber keine Fenster, was ja eigentlich auch logisch war, schließlich befanden sie sich im ersten Untergeschoss. Die einzigen Lichtquellen waren also die Lampen, die nackt und kahl von der Decke baumelten. In den unterirdischen Räumen befand sich allerhand Kram: Computer, Fernseher, ein Raum, der nur aus Schränken bestand, und ein Raum, in dem nur ein Sofa und ein kleiner Couchtisch, der über und über mit Süßigkeiten und Knabbereien bedeckt war, standen. Diesen Raum hatte der Mann soeben betreten.

"Ryuzaki!", sagte er. "Ich habe das besorgt, was du gewünscht hattest."

Auf dem Sofa saß ein junger Mann mit schwarzen, wuscheligen Haaren. Wobei "saß" nicht die richtige Bezeichnung für die Art und Weise war, wie er dahockte: die Beine angezogen, die barfüßigen Zehen in das Leder des Sofas gekrallt und die Hände auf den Knien liegend. Da er, abgesehen von dem Mann, der einzige in dem Raum war, war er offensichtlich Ryuzaki. Er schaukelte leicht mit dem Oberkörper vor und zurück.

"Wunderbar. Danke, Watari." Er streckte die Hand nach einer Praline aus, die in dem Gewirr von Süßigkeiten auf dem Tisch lag. Watari lächelte verschmitzt.

"Aber glaubst du, das wird die helfen? Mir scheint nicht, dass diese Informationen für L wichtig sind..."

"Oh, doch, sie sind wichtig für mich", unterbrach Ryuzaki, oder auch besser bekannt als der Meisterdetektiv L, entschlossen. Damit sprang er vom Sofa und richtete sich auf. Auffällig war die krumme Haltung, die er hatte, und die ihn so wirken ließ, als wolle er den Kopf zwischen den Schultern verstecken, und die dunklen Ringe, die seine Augen umgaben. Trotz dieser Ringe schien L keineswegs müde zu sein. Er streckte die Hand aus und Watari reichte ihm den Aktenkoffer.

"Kannst du so lange hier weitermachen, Watari? Ich gehe kurz nach oben."

Watari lächelte. "Selbstverständlich."

L drehte sich also um und wollte gehen. Doch plötzlich schien Watari etwas einzufallen.

"Ach ja. Herzlichen Glückwunsch zum 17. Geburtstag, Ryuzaki. Noch ein Jahr, und du bist offiziell volljährig. Der Kuchen steht oben im Kühlschrank."

"Kuchen?", damit schien Ls Interesse geweckt. "Der mit den Erdbeeren?"

"Genau der."

L leckte sich voller Vorfreude über die Lippen, auch wenn diese Art der Gefühlsäußerung irgendwie nicht auf seine Augen übergreifen wollte. Die blickten noch genauso ausdruckslos drein wie zuvor. Damit ging L dann endgültig zum Aufzug und fuhr nach oben. Irritiert blickte er sich in dem Schlafzimmer um. Der Raum sah noch genauso aus wie gerade eben, als Watari ihn durchquert hatte, aber irgendetwas schien L zu beunruhigen. Er blieb mitten in dem Raum stehen, führte die Hand zum Mund und begann, an seinem Zeigefingernagel zu kauen. Dabei wanderten seine dunklen Augen flink im Raum umher, wie um auszumachen, warum er sich auf einmal so beobachtet fühlte. Doch er entdeckte nichts außergewöhnliches und gab die Suche schließlich auf. Das bedeutete allerdings nicht, dass er nicht mehr wachsam war. L vertraute aufseine Instinkte, und dass er nicht sehen konnte, hieß noch lange nicht, dass da auch nichts war. L nahm den Finger wieder aus dem Mund und schob seine Hände in die Hosentaschen. Dadurch zogen sich seine Schultern noch weiter nach vorne, was seinen krummen Rücken noch krummer erscheinen ließ. Doch solche Äußerlichkeiten schienen L nicht zu kümmern und er setzte seinen Weg durch das Haus fort. Da! War da nicht eben ein Raschekn gewesen? Und schon wieder landete sein Zeigefinger in seinem Mund. L seufzte.

"Du lannst rauskommen. Ich habe dich bemerkt." Nichts. Hatte er sich etwa doch geirrt? Nein, das war nicht möglich. "Komm schon. Oder soll ich die Polizei rufen?"

In Wahrheit war L nicht ganz so selbstsicher, wie er tat. Er war sich nicht sicher, wie derjenige, der jetzt hier war, hier hereingekommen war. Das Sicherheitssystem des Hauses ließ sich eigentlich nicht so leicht umgehen. Außerdem war L körperlich nicht besonders fit und musste fürchten, überwältigt zu werden, falls der Gegner stärker war als er. Also piepte er unauffällig Watari per Handy an. Keine Sekunde zu früh- denn in genau diesem Moment kam aus der Dunkelheit des Wohnzimmers jemand auf ih zugesprungen. L wurde heftig zu Boden gerissen und stieß sich den Ellenbogen an irgendeiner Kante, die er im Dunkeln nicht identifizieren konnte.

"Ich glaub's nicht...", murmelte er verblüfft, als das Gesicht des Angreifers vor ihm auftauchte. "Ein Mädchen!"

Es war sogar ein sehr hübsches Mädchen, trotz der Zornesfalten, die sein Gesicht durchzogen. Aber für solcherlei Sachen hatte L einfach keinen Sinn. Das Mädchen grinste, sah dadurch aber nicht weniger wütend aus.

"Was dagegen?", zischte sie und zog etwas glänzendes aus ihrem Gürtel. Ein Messer. Doch L ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

"Was willst du von mir?", fragte er leise. "Darf man denn heutzutage nicht mal mehr im eigenen Haus herumlaufen, ohne von Einbrechern angefallen zu werden?"

"Jetzt tu doch nicht so. Du weißt genau, warum ich hier bin.", antwortete sie mit sarkastischem Unterton.

"Nein, weiß ich nicht. Wärst du also eventuell so freundlich, es mir zu verraten?"

Mit einer plötzlichen Bewegung schnellte die Hand des Mädchens vor, doch L schaffte es gerade noch, den Kopf zur Seite zu werfen. Nun steckte das Messer dort in den Holzdielen, wo gerade noch ein Kopf gelegen hatte.

"Das wäre vergeudete Liebesmüh, denn du wirst ohnehin gleich sterben."

"Ach ja? Dann versuch mal, das Messer da rauszubekommen.", sagte L trocken.

"Oh,das macht nichts.", ein leises, metallisches Klicken und schon hatte sie ein weiteres Messer in der Hand. "Ich habe nämlich noch eins."

Nun sah L ein, dass es an der Zeit war, sich zurückzuziehen. Wo blieb Watari so lange? L rollte sich nach hinten und stand auf, bevor sie angreifen konnte. Das Mädchen sprang katzenartig auf, doch bevor sie auf L losstürmen konnte, knallte ein Schuss los und sie fiel hin. Hinter ihr stand Watari mit einem Betäubungsgewehr. L klopfte sie die Hose ab.

"Da bist du aber gerade noch rechtzeitig gekommen."

*The girl L loved* [L Lawliet x OC]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt