Kapitel 17: 15. Mai 1886 Abend

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Fröhliche Jazz-Musik weht durch die Luft, als wir den Pfad durch den Vorgarten entlangschreiten. Ich höre ein Klavier heraus, eine Trompete und vielleicht eine Geige, so viel Ahnung von Musik habe ich aber nicht. Kunst liegt mir besser.
Von einem Portier werden uns die dünnen Mäntel abgenommen und wir werden in diesselbe Halle geleitet, in der auch schon das letzte Fest stattgefunden hat. Wieder strahlt uns Kerzenlicht von Kronleuchtern entgegen, und das Orchester, das man schon von außen gehört hat, hat seinen Platz in einer kleinen Nische im Saal, direkt vor den großen Fenstern. Der Geruch von Äpfeln und Zimt erfüllt die Luft und verbreitet in mir ein weihnachtliches Gefühl. So viele Eindrücke auf einmal fallen über mir herein, dass ich von ihnen völlig überwältigt werde. Es sind mehr Menschen zugegen als auf dem letzten Fest, und damit muss sich meine Nase auch mit mehr Versuchungen kämpfen: Blut, reines, warmes Blut fließt in den Adern dieser Menschen und ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie es in meinem Mund zergeht, die warme Flüssigkeit auf meinen Lippen ...
Ich schüttle leicht den Kopf und konzentriere mich auf das, was heute Abend vor mir liegt. Ich muss nüchtern bleiben, sowohl blut- als auch alkoholfrei. Ich soll mich bei den Mikaelsons einschmeicheln, und bei Klaus habe ich die besten Chancen: Nach Damons Meinung ist er sehr von mir angetan. Als Ziel haben wir uns gesetzt, morgen früh zu wissen, wo unser Bruder ist, und ich will dieses Ziel so furchtbar gerne erreichen.
Wie das letzte Mal gehen wir gleich auf die Tanzfläche und bewegen uns elegant in der Menschenmenge. Es dauert etwas, bis die Urvampire Notiz von uns nehmen. Oder vielleicht haben sie uns schon vorher bemerkt, aber nichts unternommen.
Im selben Moment, als vor mir der dunkelblonde Vampir auftaucht, ertönt neben Damon eine weibliche Stimme. "Gefällt Ihnen der Frühlingsball?"
Ich betrachte die blonde Vampirin nur kurz, aber von ihrem Aufreten her ist mir sofort klar, dass es sich um eine Mikaelson handelt. Die einzige weibliche Mikaelson, also Rebekah.
Klaus grinst wie immer, wenn er mit mir spricht, und nimmt galant meine Hand. "Es freut mich immer wieder sehr, Sie zu sehen, Miss Salvatore. Ihnen scheint unser Städtchen hier zu gefallen."
Ich neige den Kopf. "Das tut es, Mr Mikaelson."
Wage bekomme ich mit, wie Rebekah meinen Bruder wegschleift, vermutlich ein Stück weiter auf die Tanzfläche, denn das gleiche tut Klaus auch.
Während er mich herumschwingt, kann ich mir ein wohliges Gefühl nicht verkneifen. Irgendetwas hat dieser junge Vampir an sich, das meine Aufmerksamkeit fest hält und ihn jede Sekunde beobachten lässt. Doch ich darf mich nicht von diesem Gefühl festfahren lassen; ich muss mich bei ihm einschmeicheln. Wie schmeichelt man sich bei einem Urvampir ein?
Falsch. Wie schmeichelt man sich bei einem jungen Mann ein, der anscheinend gern flirtet und mir das Leben gerettet hat?
Die Antwort ist leicht. Ich lächle noch mehr, falls das überhaupt möglich ist. "Ich wollte mich bei Ihnen nochmal für neulich Abend bedanken. Dass Sie diese Vampire umgebracht haben."
Kurz huscht über sein Gesicht wieder dieser düstere Ausdruck, und diesmal bin ich sicher, ihn gesehen zu haben. "Das ist nicht der Rede wert ... obwohl, eigentlich schon." Er richtet seine Augen auf mich und sie scheinen zu strahlen. "Würden Sie im Gegenzug mit mir ... einen Spaziergang durch den Park machen? Er liegt gleich hinter dem Haus, also dürfte Ihr Bruder nicht zu besorgt sein."
Ohne nachzudenken willige ich ein. Das wollte ich doch schließlich, oder nicht? Wenn ich mit ihm alleine bin, kann ich ihn besser fragen. Es gibt keine potenzielle Leute, die unser Gespräch unterbrechen könnten.
An Klaus' Arm gehe ich zu der Hintertür hinaus und plötzlich sind die Musik, die Stimmen wieder gedämpft. Es ist dunkel geworden und Grillen zirpen auf dem großen Grundstück, das sich vor uns erstreckt. Wir gehen eine Weile schweigend nebeneinander her, nur unsere Arme berühren sich, und ich genieße die Atmosphäre, die auf einmal da ist. Es fühlt sich vertraut an, neben ihm so daherzulaufen. Als hätte ich nie etwas anderes gemacht. Als würde ich ihn nicht erst zwei Monate kennen. Als würde er nicht Stefan vor mir versteckt halten.
Unter einer Weide bleiben wir stehen und Klaus zieht mich neben sich auf die Bank, die in den Stamm integriert ist.
"Wie alt sind Sie?", frage ich nach einem Moment des Schweigens. Das hatte mich schon interessiert, als ich das erste mal von der Urfamilie gehört habe. Es mag zwar nicht der passende Augenblick sein, um diese Frage zu stellen, aber mir ist kein besserer Gesprächseinstieg eingefallen.
"Nicht gerade die passendste Frage. Haben Sie Angst, dass sie womöglich mit einem viel älteren Mann flirten?"
Wäre ich ein Mensch gewesen, wäre ich jetzt rot geworden. Ich räsupere mich. "Sie sind doch ein viel älterer Mann. Sie sind ein Urvampir."
Daraufhin muss Klaus lachen. "Stimmt. Ich bin über eintausend Jahre alt, mein Bruder Finn zählt noch die Jahrzehnte mit. Meine Familie ist damals als einer der ersten Winkingerfamilien nach Amerika übergesetzt." Er mustert mich kurz. "Sind Sie jetzt abgeschreckt?"
Ich schaue ihn fest an und schüttle den Kopf. "Nein", sage ich mit einem leichten Lächeln. "Aber ich wollte eigentlich wissen, mit welchem Alter Sie ein Vampir geworden sind."
Er lacht und legt dabei einen Arm auf die Lehne der Bank hinter mir. Seine Finger streifen meine nackte Schulter. "Achso, diese Frage ist leicht. Achtundzwanzig war ich, als unser Vater uns umgebracht hat."
Als ich nur nicke, erwidert er: "Wie alt waren Sie, Liebes?"
Schon wieder benutzt er diesen Ausdruck. Ich dachte bisher, dass es vielleicht nur Zufall war, aber jetzt ist es auffällig geworden. "Neunzehn. Meine Brüder waren siebzehn und fünfundzwanzig, als sie von diesem ... Mädchen verwandelt wurden."
"Es hat sie beide getötet?"
Ich lache rau auf. "Nein, sie nicht, aber mein Vater. Er hat sie erschossen, weil er dachte, es seien Vampire. Tja, er war nah dran ... Stefan hat mich aus Versehen zu einem Vampir gemacht, als er ... einen seiner Blutanfälle hatte. Sie haben mich besucht und er hat mein Blut gerochen ..." Ich zucke die Schultern. "Egal, ich wollte nicht ausschweifen." Das wollte ich schon. Ich wollte auf Stefan zu sprechen kommen, und das habe ich geschafft.
Klaus beugt sich besorgt zu mir und meint: "Dein jüngerer Bruder hat dich umgebracht?"
Ich hebe eine Augenbraue. "Sind wir wieder beim Dutzen angekommen?"
Seine Hand streicht mir eine Haarsträhne aus den Augen, die sich aus meiner Frisur gelöst hat, und ich erschaudere bei seiner Berührung. Er merkt es und grinst leicht.
"Also gut. Dich hat dein Vater umgebracht. Es scheint, wir wurden alle von unserer Familie getötet."
Er lacht, und er sitzt so nah bei mir, dass ich das Beben seiner Schultern spüre. "Ja, da hast du Recht."
Ich räuspere mich erneut. Die Chance der Überleitung ist gekommen und gegangen. Ich war nie gut in der Kunst der unauffälligen Befragung. Also frage ich aus dem Blauen heraus: "Wir haben neulich über meinen Bruder geredet, und Sie haben gesagt, dass er Ihr Gast war. Ist er es immer noch?"
Ein Funkeln tritt in seine Augen und ich sehe das Grüne in ihnen plötzlich intensiver. Er beugt sich noch weiter zu mir hinunter und berührt meine Lippen leicht mit seinen. Instinktiv schließe ich die Augen und lasse mich in den Kuss hineingleiten. Er schmeckt süß, und Klaus' Geruch steigt mir in die Nase: Zitronengras. Ich spüre, wie er unter dem Kuss lächelt und sich dann von mir löst, allerdings nur ein paar Zentimeter. Flatterhaft öffne ich wieder die Augen und erwidere automatisch sein Lächeln.
Klaus' Stimme klingt plötzlich rau. "Das war die Bezahlung", wispert er, aber ich bin noch so vom Kuss befangen, dass ich nur mit halbem Ohr zuhören kann. "Stefan hält sich momentan bei einer Freundin meiner Schwester auf. Einer Vampirin. Ich kann dich zu ihr bringen, wenn du es willst."
"Was ist die Bezahlung?", murmele ich, doch ich kann die Antwort schon erahnen.
Seine Hand liegt wieder an meiner Wange und zieht mein Gesicht zu seinem. Noch einmal küsst er mich, lange, sehnsüchtig. Dann flüstert er an meine Lippen: "Wollen wir das ganze vielleicht nach innen verschieben?"

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