10. Hawkings Bälleparadies

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Schlaff hang er in seinem Rollstuhl, die übergroßen Sachen in tiefe Falten gelegt. Unfokussiert starrten seine toten Augen ins Nichts.

Dieser Typ war in etwa so deprimierend, wie ein Besuch bei meinem, nach Urin muffenden Opa im Altersheim, der mich manchmal zitternd fragte, ob die Sterbehilfe in Deutschland endlich legalisiert wurde und mich im selben Atemzug fragte, ob ich im Bett öfter der Stecher oder Gestochene bin.

Da saß ich nun, gegenüber einem halbtoten, schmächtigen Jungen, der sich anscheinend nicht zu wehren vermochte, als man ihm den braunen Pony auf ca. einen Centimeter schnitt, sodass er nun etwas wie Jim Carrey in Dumm und Dümmehr aussah, und wartete nur darauf, dass eine Fliege vorbeiflog und auf seinem geöffneten Auge herumwanderte, wie in den Filmen.

Und gerade während ich mich noch fragte, ob ich das dann megacool oder widerlich und gruselig finden sollte, entwich mir beinahe mehr, als nur ein feminines Aufquieken, als sich seine braunen Pupillen plötzlich auf mich richteten.

Das war verdammtes Horrorfilmmaterial! Ihr wisst schon, wenn sich der Protagonist gerade ein fettes Sandwich mit leckerem Kochschinken und löchrigem Käse macht und dann auf einmal der Querschnittsgelähmte vor ihm sitzt, obwohl man ihn doch oben in sein Zimmer gebracht hatte oder die, samt Rollstuhl, in irgendwelchen Bäumen festhängen. Oh Dämon, lass ab von dieser unschuldigen Seele.

Vorsichtig rückte ich einige Meter von ihm weg, während er innerhalb der nächsten 5 Minuten das Wort ,,ich" formte.

Ich bringe nicht einmal die Aufmerksamkeitsspanne und das Verständnis für die langsamen Sätze der Schildkröte in Disneys Robin Hood auf, wie soll ich also diesen Typen überstehen, ohne genervt zu Stöhnen?

Das hier war wie die unendliche Geschichte, nur ohne tatsächliches Ende. Es hätte mich nicht gewundert, hätte ich gerade den 3. Weltkrieg, den Tag des Jüngsten Gerichts und 4 neue Staffeln von BBCs Sherlock verpasst, während der käsige Kartoffelsack im Rollstuhl das nächste Wort formte.

,,Bitte gebt ihm einen dieser Stephan Hawkins-Computer! Meine Lebenszeit ist mir echt zu schade für sowas und ich verbringe die meiste Zeit meines Lebens mit nichts tun und darüber nachdenken, dass ich endlich etwas tun sollte", mit der gebrechlichen Stimme einer 13jährigen, die gerade Fernsehverbot von Mutti bekommen hatte, entfloh mir der leidvollste Stöhner des Jahrhunderts, ähnlich wie in meinem Sommertief, als ich erfuhr, dass ein weiterer Cars-Film produziert wird.

,,Meine Güte, Rainer, der Idiot hat recht", hörte ich aus der regen Diskussion hinter der verdunkelten Scheibe heraus.

,,Reg dich nicht zu sehr auf, Pete, sonst steigt dein Puls wieder. Ich habe gesehen, dass dein Cholesterinspiegel wieder leicht erhöht ist und ich will wirklich nicht, dass du mir hier umfällst", nachdem das homosexuell anmutende Gespräch dann mit beidseitigen Liebesbekundungen beendet war, bekam auch ich endlich meine Antwort von Rainer, ,,viel zu teuer."

Ungläubig bahnte sich eine meiner Augenbrauen den Weg nach oben: ,,Allein auf dem Weg hier her bin ich an 3 Slushyautomaten mit jeweils 5 verschiedenen Geschmacksrichtungen vorbei gekommen. Ich meine, ich wusste nicht mal, dass es so viele Sorten überhaupt gibt. Und dann war da noch dieses Bälleparadies und die Sauna."

,,Ok, Kleiner, gleich mal zur Klärung der Verhältnisse: Klugscheißer kommen hier nicht weit. Ich rede hier von Spucke im Kompott und nächtlichen Darmspiegelungen", schnalzend überbrachte mir der mysteriöse Rainer die hirnlose Kunde. Es fehlte nur noch, dass er sich schreiend aufstellte, um sich auf die behaarte Brust zu schlagen.

War wirklich wie in der Schule hier.

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