Das Kompliment

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"Am Ende werden wir uns nicht an die Worte unserer Feinde erinnern, sondern an das Schweigen unserer Freunde"

-Martin Luther King

"Das sollten wir mal wiederholen", platzte es aus mir heraus, noch bevor er etwas herausbekam.

Er nickte heftig: "Selbstverständlich!"

Ich sah ihm die Enttäuschung in seinem Gesicht an. Aber ich hätte ihn nicht ausreden lassen können. Wer weiß, was er gesagt hätte. Vielleicht würde er es im Nachhinein bitter bereuen.

"Nun denn. Am besten wir machen uns auf den Heimweg. Ich sollte besser nicht zu spät kommen, du weißt wie meine Mutter reagieren kann", lächelte ich Lucas an.

Er antwortete nicht, sondern packte alle Sachen zusammen und reichte mir meine Tasche. Mir war bewusst, dass er eher zu den wortkargen Typen gehörte, aber mich zu ignorieren war unhöflich und unpassend, nachdem er mir doch noch das schöne Kompliment gemacht hatte. Das war eben seine Art und ich musste damit klarkommen. Schließlich hatte ich das nun schon seit mehr als 12 Jahren geschafft.

Ich war gar nicht mehr dazu gekommen, ihn zu fragen, was seine Kreislaufprobleme machten. So wie er heute da rum gedüst ist, scheint es ihm wieder prächtig zu gehen. Wenigstens eine gute Nachricht heute.

Er brachte mich noch nach Hause und bedankte sich abermals für den tollen Nachmittag. Schnell schloss ich die Tür hinter ihm, bevor mein Vater ihn hätte ausfragen können. Bald würde Lucas seine Ausbildung anfangen, da gab es einiges zu wissen. Er hatte mir auch schon viel darüber erzählt. Okay, es dauerte noch mehr als ein Jahr, aber immerhin. Ich muss noch vier weitere Jahre in dem Gefängnis namens Schule versauern.

Schönen Dank auch!

So, nun stand mir nur noch die Skypekonversation mit Jannik bevor. Irgendwie freute ich mich, mich mal wieder richtig mit ihm unterhalten zu können. Immer nur chatten ist auf Dauer auch nichts und zugleich ziemlich anstrengend für meine armen Daumen.

Schon längere Zeit wollte er mit mir über seine neue feste Freundin reden, Geschichten erzählen und lästern, was Jungs eben so machen ;-) Ich war auch ziemlich gespannt darauf, zu erfahren, was in Bayern so abgeht. Endlich mal ein paar Informationen von außerhalb zu bekommen, war erfrischend und bot etwas Abwechslung zum tristen Dorf leben, selbst wenn Hünfelden gar keines war, kam es mir manchmal so vor.

Ich fuhr meinen Computer hoch und meldete mich bei Skype an. Ähm, wie war mein Passwort noch gleich? 54321B? KokaKola? Passwort? -Nein.
So ein Mist, Passwort vergessen. Unnötige Zeitverschwendung. Jetzt musste ich erstmal Frustessen. Wo ist meine Schoki, wenn ich sie brauchte? Nach unzähligen weiteren Versuchen wollte ich aufgeben, bevor mein Account gesperrt werden würde.
Dann, wie durch ein Wunder, klappte es, der gefühlt tausendste Versuch.

Die Seite baute sich auf und schon blitzte mir das kleine Fenster entgegen "Jannik ruft an". Nach kurzem Räuspern drückte ich den grünen Knopf.

"Hey, wie geht's?", begrüßte er mich freudig.

"Gut gut. Schön dich zu hören... und zu sehen". Gerade hatte er seine Webcam angeschaltet.

"Nun denn. Was war denn so wichtig, dass du mich unbedingt sprechen musstest?"

"Äh, ja. Du weißt ja, dass Steve, Sven und ich uns gestritten haben", er schien sehr ernst und schaute direkt in die Kameralinse.

"Da war was. Ist es wieder gut? Weswegen überhaupt?" Meine Stirn legte sich in Falten, was mich sogleich um 40 Jahre altern ließ, dies konnte er jedoch nicht bemerken, da ich im Gegensatz zu ihm keine Kamera besaß.

"Wohl eher nicht. Sie haben mein Facebookprofil gehackt."

Etwas überrascht von seiner Antwort und der Tatsache, dass er meine zweite Frage komplett ignoriert hatte, rutschte ich auf meinem Stuhl herum und rief mehr oder weniger ungewollt, "Was?!", ins Mikro.

"Du hast mich schon verstanden."

Mein Mund stand vor Verblüffung immer noch offen: "Warum sollten die beiden so etwas machen?

"Rache."

"Ja aber warum denn?"

Was verheimlichste du mir nur?
Da war doch irgendwas, wovon ich nichts wissen durfte.

"Egal. Auf jeden Fall liken die irgendwelche Scheiße und posten undefinierbare Bilder", seine Stimme klang nun etwas besorgt, fast genervt.

"Wie gedenkst du, dagegen vorzugehen? Das Profil sperren?"

"Ne, aber schau dir das mal selbst an", mit diesen Worten startete er die Bildschirmübertragung und zeigte mir den Tatort. Was für Idioten.
Das hatte selbst Jannik nicht verdient. Es muss ziemlich schlimm gewesen sein, wenn sie zu solch drastischen Maßnahmen schreiten mussten.

Viel wurde diesen Abend noch geredet und es verging Stunde um Stunde. Ich hörte mir seine Geschichten an und er sich meine. So machten wir das oft, während wir währenddessen agar.io zusammen zockten. Echt unterhaltsam! Obwohl seine feste Freundin diesmal kein Thema unserer abendlichen Unterhaltung war. Wahrscheinlich weil zwei andere gerade so herrlich interessant waren, nämlich Steve und Sven. Sie waren seine ersten beiden Freunde, nachdem er nach Bayern gezogen war. Sonst hatte ihn keiner so richtig aufgenommen. Er ist eben ein bisschen speziell, wie jeder einzelne von uns, um es ein wenig zu verharmlosen.

Jannik lässt sich so beschreiben. Wir teilen denselben Humor (meistens jedenfalls) Mit ihm kann man einfach über ALLES reden, und wenn ich das sage, meine ich das auch so. Alle Themenbereiche werden dabei abgedeckt. Von deinem Mittagessen, über irgendwelche Sexfantasien mit Obst. Fragt nicht.
Man konnte stets auf seine ehrliche Meinung bauen und einen guten (oder eben wenigtee hilfreichen) Ratschlag bauen. Dafür mochte ich ihn; dafür hatte ich ihn lieb, was ich ihm gegenüber jedoch kaum zum Ausdruck brachte. Nicht zu selten beleidigen wir uns ironisch.

Dieses Gespräch war befreiend, für beide Parteien. Wir vertrauen uns.

Guten Gewissens würde ich heute Nacht ins Bett gehen und einschlafen.

"Dann schlaf gut", danach legte er auf.
Diese Leute sind nicht deine Freunde, hatte ich mindestens 5× wiederholt. Leute, denen du traust, spionieren dir nach und handeln in deinem Namen? Was sollte das... Ob ich den Streitgrund je erfahre würde, konnte ich noch nicht genau sagen. Aberes reizte mich, und auch abends, als ich da so an die Decke starrte, dachte ich darüber nach. Erst dachte ich daran, dass er einem der beiden die Freundin ausgespannt hatte, aber er ist verdamnt glücklich mit Sanya, das weiß ich.

warten auf das Happy End #Wattys2015 #SchreibeseinfachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt