Dumm

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Ich sprang sofort aus dem Bett als der Wecker klingelte. Eilte ins Bad und machte mich schnell fertig um unten auf Alina zu warten. Ich ging mit meiner Schultasche nach unten, packte meine Schulbrote ein und setzte mich ans Fenster um nach Alina Ausschau zu halten. Ich wollte mich nicht wie bestellt und nicht abgeholt vor meine Haustür stellen, ich wartete lieber ab bis ich sie sah um dann ganz zufällig rauszukommen. War ich verrückt?

Ich wartete bestimmt eine halbe Stunde und sie kam einfach nicht. Sie hatte es sich wohl anders überlegt. Das war schließlich ihre Chance auf einen Neuanfang und den verschenkte sie indem sie sich mit dem Opfer anfreundete. Wieso kam ich da nicht eigentlich schon früher drauf? Es war doch vorherzusehen. Es mochte mich niemand und es würde mich auch nie jemand mögen. Ich war dafür bestimmt, das Opfer zu sein.

Betrübt ging ich zur Schule. Ich kam zu spät und wurde auch wieder freundlich begrüßt. Alina war aber nicht da. Ich setzte mich an meinen Platz und ignorierte die dummen Sprüche der anderen. Ich hatte keinen Platz in meinem Kopf für solche Beleidungen, da war nur Alina und lies mich alles andere vergessen oder als unwichtig abstempeln. Sollte ich ihr vielleicht schreiben? Ich hatte ja nun ihre Nummer. Aber nicht dass ich sie bedrängte. Oder vielleicht stimmte meine Theorie und sie wollte wirklich nichts mehr mit mir zutun haben. Ich ließ es lieber blieben. Ich wollte auch irgendwie nicht, dass sie dachte, mich würde es interessieren ob sie da war oder nicht. Also es interessierte mich zwar, aber ich wollte nicht, dass sie dachte, es ginge mir irgendwie nahe. Oder so. Was dachte ich da eigentlich grade für eine Scheiße?

Anscheinend fiel das auch meinen liebreizenden Klassenkameraden auf, dass ich so in Gedanken versunken war. "Na, deine neue Freundin ist wohl heute nicht da, was? Keiner der den armen Oliver beschützen kann." Sie lachten. War ja auch unglaublich witzig. Ich reagierte nicht. "Hast du denn überhaupt zur Schule gefunden, ohne dass sie dich an die Hand genommen hat?" Wie lustig. "Hast du denn wenigstens an deine Schulbrote gedacht? Alina kann dich heute in der Mittagspause gar nicht an die Brust nehmen. Nicht dass du verhungerst." Die Klassen flippte aus. Jetzt hatte er ja einen gerissen.

"Red nicht so über sie." Ohne mich umzudrehen sagte ich das. Ich konnte es nicht ertragen, dass sie so hinter ihrem Rücken redeten.

Ein "Uuuuh!" ging durch die Klasse. "Sonst was? Kommt dann Mama Alina und zieht uns die Ohren lang?" Ich hatte eigentlich überhaupt keine Lust über sowas sinnfreies zu diskutieren. Ich antwortete nicht. Ich wusste auch nicht was. "Na was denn? Sprichst du nicht mit uns, wenn du alleine bist?" forderten sie mich heraus.

"Ich will einfach nicht mit euch reden weil ihr scheiße seid." Ich wusste dass ich das bereuen sollte. Aber ich konnte es nicht kommentarlos zuhören, wie sie so schlecht über den liebsten Menschen dieser Welt redeten. "Ha ha! Du Spast, was denkst du wer du bist? Nur weil du jetzt einmal jemanden kennen gelernt hast, denkst du du bist nicht mehr allein? Und kannst deine Stimme gegen uns erheben? Du dämlicher Spast ey, Alina wird noch auffallen, weshalb du das Opfer bist und wird dich dann nicht mehr mit'm Arsch angucken." "Mit ihrem fetten Arsch." Wurde aus der zweiten Reihe verbessert. Alle lachten. "Mit ihrem geilen Arsch." Rief jemand.
"Halt einfach dein Maul, du bist nicht besser als ich, nur weil du mich runtermachst." Ich war so wütend, ich hätte aus Wut am liebsten angefangen zu heulen oder jemanden den Schädel eingeschlagen. Ich ballte die Fäuste und meine Nägel gruben sich in meine Handflächen. Sie lachten. Sie liebten es ja schließlich das Opfer wütend zu machen. Es machte mich sauer, dass ich mich darauf einließ, aber es ging um Alina.

"Ich bin was besseres. Und du bist einfach ein Opfer." Alle lachen. Was für eine lächerliche Aussage.

"Du bist einfach nur ein Spast. Und Alina wird für immer bei mir bleiben, weil sie sieht was ihr für Wichser seid!" Ich wusste dass sie mich damit aufziehen würden, aber ich musste es einfach sagen. Weil es stimmte. Die ganze Klasse schrie vor Lachen. Sie lachten über mich.

"Wenn ich wollen würde dann hätte ich Alina längst geknallt! Was du von dir denkst, Junge!"

Der Lehrer kam nach drei gefühlten Jahrzehnten Arbeitsblätter kopieren endlich wieder. Er verzog kurz das Gesicht als er sah dass die Hälfte der Klasse an ihren Plätzen stand, aber ging dann einfach nach vorne durch zum Lehrertisch. Wir setzten uns und mir wurde ein "Wir sprechen uns später" zugeflüstert.

Mich machte es immer noch rasend, wie sie über Alina gesprochen hatten. So respektlos. So oberflächlich. Alina knallen. Fetter Arsch. Sie war so ein wunderbarer Mensch, so liebenswert und sie hatte ein so großes Herz. Mein Herz ertrug es einfach nicht, wenn so schlechte Worte über sie verloren wurden. Ich konnte meine Atmung immer noch nicht normalisieren. Das waren alles einfach nur oberflächliche Wichser. Alina würde sich nie mit denen einlassen. Sie auf Äußerlichkeiten zu reduzieren, die nicht mal der Wahrheit entsprachen, ohne zu wissen wie wundervoll sie ist. Ich hätte durchdrehen können. Am liebsten wäre ich nach Hause gelaufen und hätte mir meine Waffen geholt. Und denen alle die Köpfe weggeblasen.

Das erlösende Klingeln weckte mich aus meinen Gedanken und ich packte meine Sachen ein um mich schleunigst auf den Heimweg zu machen. Der Schultag war, um ehrlich zu sein, einfach nur schrecklich. Schwer zu ertragen ohne Alina an meiner Seite. Ich hoffte, dass sie morgen wieder da sein würde. Vielleicht sollte ich ihr doch schreiben. Sie würde sich bestimmt freuen. Es war ja ihre Idee, jemanden an mich ran zu lassen.

Ein lautes "Ey Lehmann!" das mir hinterher gerufen wurde, riss mich aus meinen Gedanken. Die halbe Klasse kam auf mich zu gelaufen. Die fünf mit denen ich mich vorhin angelegt hatte und wahrscheinlich ein paar Schaulustige. Sollte ich wegrennen? Und feige sein? Sollte ich es über mich ergehen lassen? Oder mich wehren? Ich war nicht dumm, mir war klar, was mir jetzt blühte. Ich hatte keine Angst. Es gab nicht viele Emotionen die ich wahrnahm und Angst gehörte nicht dazu. Die ersten zückten ihre Handys. Sie kamen immer näher. Tuschelten, lachten, waren wahrscheinlicher aufgeregter als ich. Sollten sie mich halt verprügeln, ihre Quittung würden sie noch bekommen, wenn ich ihnen meine Waffe an den Kopf hielt.

Ich stand da und schloss die Augen, ich wollte es über mich ergehen lassen. "Was für ein Freak." sagte irgendjemand. Und in der selben Sekunde packte mich jemand am Hals und drückte mich an die Hauswand.

Ich war bereit.

BANG BANG BABYWo Geschichten leben. Entdecke jetzt