Bastard

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Der Wecker klingelte. Und mein großer Tag startete. Heute würde ich nach allen Regeln der Gesetzeslosen verprügelt werden.
Ich stand auf, ging duschen, putze Zähne und aß meine Henkersmahlzeit.

Jeden Schritt näher an meine Schule brachte mein Herz mehr und mehr zum Schlagen. Ich wusste zwar nicht, was mich erwarten würde, aber ich war mir sicher dass es weh tat.

Ich betrat das Gelände. Meinen Wecker hatte ich extra vorgestellt, damit ich ein Wenig zu spät kam. Um ihnen keine Chance zu lassen, mir schon vor Stundenbeginn weh zu tun.

Ich stand vor meinem Klassenraum, mit der Hand an der Türklinke und atmete nochmal tief durch.
"Entschuldigung, dass ich zu spät bin, ich habe verschlafen." sagte ich während ich zu meinem Platz ging. Aus der Klasse kam kein Ton. Mein Herz schlug immer noch wie wild.

Ich saß wie angewurzelt an meinem Platz, traute mich nicht, durch die Runde zu schauen, aus Angst vor tötenden Blicken. Es war still. Niemand tuschelte, es drehte sich auch niemand um, um mich anzuschauen.

Mir war flau im Magen, denn ich wusste, dass ich in genau 13 Minuten, wenn Hofpause war, verprügelt werden würde. Oder was auch immer sie mit mir anstellen wollten. Ich hatte tatsächlich Angst. Aber dennoch fühlte ich mich irgendwie gut, denn ich wusste dass ich meinen Kopf für eine gute Tat herhalten sollte. Ich hatte Alina in Schutz genommen. Wie ein weißer Ritter, der vorbeigeritten kommt auf seinem dämlichen Pferd, die Schurken in die Flucht schlägt und die holde Maid rettet. Oder so ähnlich.

Und da war es auch schon. Das schreckliche Geräusch, dass mich aus dem schützenden Klassenraum entließ. Noch nie war ich unglücklich darüber, dass die Schulklingel läutete. Im Schneckentempo packte ich meine Sachen in die Tasche, zog mir so langsam es ging meine Jacke an und verließ den Raum. Es wartete niemand auf mich. Also es wartete ja sonst auch keiner auf mich, außer Alina, aber ich hätte vielleicht damit gerechnet, dass ich schon an der Tür abgefangen werde.

Mein Herz schlug so heftig gegen meinen Brustkorb, dass ich aus Sorge, man könnte es hören, schützend meine Hand drauflegte. So ging ich die Treppe runter. Meine Beine hielten mich grade so, sie zitterten so wahnsinnig doll, dass ich mich wie ein Kleinkind fühlte, das grade Laufen lernte. Alles in einem, ich kam mir ziemlich bescheuert vor.

Ich schob mich ganz vorsichtig aus der Schultür, betrat den Schulhof und versuchte so unauffällig wie möglich, meinen Blick schweifen zu lassen. Ich sah keine Gruppe, die tuschelnd in der Ecke stand, niemanden der mir messerscharfe Blicke zu warf, oder jemand der auf mich zu kam. Ich atmete tief durch die Nase durch. Das tat gut und ich Dann würden sie es sich wahrscheinlich bis Schulschluss aufhaben, was auch schlauer war, als mich in der Viertelstunde, die wir Pause hatten zu verprügeln.

Der Schultag verging schleppend langsam, einige Male fielen mir Stifte zu Boden, ich zitterte die ganze Zeit, mein Herz schlug wie wild, jede paar Minuten wischte ich mir den Angst- oder Stressschweiß mit dem Handrücken von der Stirn. Ich stand so unter Strom, dass ich schon Angst bekam, ich würde gleich an einer Herzattacke sterben. Aber dennoch, es passierte rein gar nichts. Niemand widmete mich eines Blickes, nicht mal eine Beleidigung durfte ich mir anhören. Ich wandelte für die anderen anscheinend völlig unsichtbar durch die Gegend. Bis Schulschluss jedenfalls, wie ich vermutete.

Es klingelte und ich war der erste, der den Klassenraum verließ. Völlig paranoid versuchte ich so schnell es ging nach Hause zu kommen. Am Ausgang des Schulgelände drehte ich mich einmal um, um zu überprüfen, wie viel Vorsprung ich hatte. Aber da war niemand, der mich verfolgte. Und da konnte auch niemand sein, der auf mich wartete, ich war schließlich der erste, der ging.

Wie wahnsinnig ging in nach Hause, eine Mischung aus gehen und rennen, ich hoffte dass mich niemand dabei beobachtete, das sah wahrscheinlich ziemlich bescheuert aus. Ich traute der Situation nicht, ich traute meinen Klassenkameraden nicht.

Erst als die Tür ins Schluss fiel, beruhigte sich meine Atmung und mein Herz fuhr gefühlte zehn Gänge runter. Die spielten wahrscheinlich ein Psychospiel mit mir, die konnten mich doch nicht einfach so davon kommen lassen? Irgendwas musste doch kommen, damit ich meine Strafe für den Tritt bekam. Aber das ging mir jetzt grade so ziemlich am Allerwertesten vorbei, denn jetzt hatte ich ein schönes ruhiges Wochenende vor mir. Meine Eltern waren seit Morgen weg, auf irgendeinem Kongress oder so und ich hatte die Bude bis Sonntag für mich allein.

Auf dem Küchentisch lag eine Notiz von meiner Mutter und 70€ mit denen ich das Wochenende überstehen sollte. Na so ließ es sich doch leben!

Ich beschloss in die Stadt zu gehen und mir ein neues Spiel für den Computer zu kaufen, damit ich bis Sonntag schön was zutun hatte. Mit dem restlichen Geld konnte ich dann ja Essen bestellen. Meine Eltern trauten mir wahrscheinlich eh nicht zu, dass ich in der Lage wäre, mir etwas zu kochen.

Ich warf meinen Rucksack in der Diele ab und machte mich sofort wieder auf den Weg. War ja nun niemand da, der mit mir meckern konnte wenn ich bis Sonntag im Saustahl hause.

Natürlich durfte ich dem Bus nachlaufen, der grade an mir vorbei fuhr, aber erwischte ihn dann glücklicherweise doch noch. Keuchend saß ich im Bus und versuchte meinen schweren Atem ein wenig zu beruhigen.

Ich fragte mich, was Alina machte. Ob sie immer noch krank war? Sollte ich ihr schreiben? Ich wollte sie nicht nerven. Oder ihr das Gefühl geben, mir würde was an ihr liegen. Das tat es zwar, mehr als ich es für gut befand, aber das musste sie ja nicht wissen. Ich ließ es bleiben. Wenn ich wollte, könnte ich ihr ja heute Abend noch schreiben.

Der Bus hielt vor dem Einkaufscenter und ich stieg aus. Ohne Umwege machte ich mich auf den Weg in das Technikgeschäft. Ich schlenderte durch die Gänge und schaute mich um. Wie groß die Handys mittlerweile waren, unfassbar. Ich hatte so ein altes Nokia, lag weder Wert auf sowas noch brauchte ich kein hochwertiges Handy, weil ich es eigentlich nur für den Notfall brauchte. Oder mal mit Alina zu schreiben. Ich schaute mich noch ein wenig in verschiedenen Abteilungen um und landete dann kurze Zeit später mit meinem neuen Spiel an der Kasse. Am liebsten hätte ich mich sofort nach Hause gebeamt, es gibt nichts schrecklicheres als etwas neues in den Händen zu halten und zu wissen, man muss noch abwarten bis man zuhause ist.

So wie ich mich vorhin auf den Weg nach Hause machte, ging ich auch zur Haltestelle. Die Bank war zum Glück frei in dem ollen Haltestellenhäuschen und ich ließ mich nieder. Bewunderte mein neues Spiel und freute mich auf zuhause. Am liebsten hätte ich es ausgepackt, aber davon hatte ich ja eigentlich auch nichts von. Perfekte Alina-Ablenkung. Der Bus hätte normalerweise schon zwei mal hier sein müssen. Das zerrte ganz schön an meinen Nerven. Mit Bus würde ich ungefähr zehn Minuten bis nach Hause brauchen, zu Fuß vielleicht eine halbe Stunde. Ich entschloss mich, zu gehen, ich könnte ja dann immer noch einsteigen, wenn er an einer Haltestelle vorbeikommt.

Ich lief die lange Einkaufsstraße runter, sie war sehr befahren und es reihte sich Geschäft an Geschäft, einige Eisdielen und Restaurants. Es tummelten sich Massen von Leuten auf den Straßen, schoben sich aneinander vorbei, die Eisdielen waren zum platzen voll. Die Leute genossen das Wetter.

Ich drehte mich kurz mal um, um zu schauen, ob vielleicht ein Bus angefahren kam, aber nichts. Ich seufzte. Lust bis nach Hause zu laufen hatte ich eigentlich überhaupt nicht.

Ich setzte mich in das Haltestellenhäuschen und hielt erwartungsvoll Ausschau nach dem Bus. Der würde aber auch nicht eher kommen, wenn ich weiter wie ein Irrer in die Richtung starrte. Ich ließ meinen Blick schweifen und blieb auf einer Eisdiele, direkt gegenüber von mir haften. Ich erkannte sie sofort wieder. Hier saß ich mit meinen Großeltern ganz oft, als ich noch klein war. Fast jeden Sonntag im Sommer. Das war schön, ich liebte meine Großeltern. Und wünschte mir, dass sie noch bei mir wären.

Und dann sah ich etwas, dass mir den Atem verschlug. Die Erinnerung an meine Großeltern verflogen sofort und in meinem Magen breitete sich ein flaues Gefühl aus. Ich starrte so lange hin, bis sie meinen Blick traf.

Alinas graue Augen trafen direkt in meine.

BANG BANG BABYWo Geschichten leben. Entdecke jetzt