Kapitel 1

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Harry P.o.V.

„Andrea, schicken Sie die neue Ladung sofort ab! Und sagen Sie John, er soll meinen Zehn-Uhr-Termin absagen und auf irgendeinen anderen Tag verlegen." Ein genervtes Schnaufen am anderen Ende der Leitung signalisierte mir, dass sie endlich nachgegeben hatte. Geht doch, warum nicht gleich so? Annoying girl. „Aber die Kosten-„ Wütend schnellte ich aus meinem Ledersessel hoch, mit dem Geschäftstelefon in der Hand, und schrie sie durch den Hörer an. „Shout up and do it! Was habe ich nur für Mitarbeiter...", knurrte ich, tigerte genervt durch das großräumige Büro und biss fest die Zähne aufeinander. „Wenn die Ladung in zwei Stunden nicht aus meinem Lager verschwunden ist, können Sie etwas erleben, Andrea. Das ist mein letztes Wort." Damit legte ich auf, ließ sie wahrscheinlich völlig verdattert zurück, doch das war mir egal. Können Angestellte nicht tun, was man ihnen sagt?

Eine herumliegende Kiste mit irgendeinem Kram darin machte Bekanntschaft mit meinem Fuß, als ich ausholte und ihn in dem Karton versenkte, der sofort nachgab wie Papier unter einem Stein. Chill down, Styles. She's only a annoying girl. Tief durchatmend stützte ich mich an einer Wand ab, entspannte meine angespannten Muskeln und wurde ruhiger. Doch meine innere Ruhe wurde sogleich von einer aufgehenden Tür und einem besorgten Blick von Daniel zerstört, welcher anscheinend erst nach meiner angepissten Reaktion merkte, dass das wohl eher keine gute Entscheidung gewesen war. „Sir? Ist mit Ihnen alles okay?" Ich nickte nur und deutete auf meine leere Kaffetasse. „Machen Sie mir bitte einen neuen Kaffe. Mit Milch und Zucker. Ich bin in einer Stunde zurück, bis dahin will ich mein Büro aufgeräumt und ein Mittagsmenü auf dem Tisch stehen haben. Welches, ist mir egal." Daniel nickte gehorsam, ich schnappte mir meine Jacke, zog sie mir an und ging mit schnellen Schritten durch den riesigen Komplex, vorbei an Büroräumen, den Laboren und Produktionsstätten, in denen eifrig gearbeitet wurde.

Als ich aus der Eingangstür trat, atmete ich die frische Luft ein, als wäre sie ein willkommenes Entspannungsbad, als würde sie meine schlechte Laune vertreiben. I'm tired, dachte ich in mich hinein, und steckte mir eine Zigarette an. Eigentlich wollte ich aufhören, aber der Arbeitsstress zwang mich sozusagen dazu. Diese ganze Streiterei mit den Mitarbeitern treibt einen an die Grenzen, und die Interviews sind einfach nur nervig. Ich ging noch eine Weile am Gehweg entlang, bis ich eine Bank erblickte und mich erleichtert darauf fallen ließ. Sie war kühl, wie fast alle Gegenstände draußen. Kein Wunder im Herbst. Die Bäume verloren ihre Blätter, der Boden war übersät davon. Grün, Gelb, Rot. Die typischen Herbstfarben. Seufzend schmiss ich die halb gerauchte Zigarette in eine Pfütze, die darauf zischend erlosch, lehnte mich nach hinten, schloss die Augen und versuchte, mich zumindest einmal am Tag zu entspannen.

Louis P.o.V.

Gelangweilt schlenderte ich die Straße entlang, hatte den Kopf gesenkt, den Blick auf meine Füße gerichtet, die Schritt für Schritt weitergingen, ohne irgendein Ziel. Die Hände tief in den Hosentaschen vergraben und mit einer dicken Wollmütze, die ich mir fast bis zu den Augen herunter gezogen hatte, stapfte ich träge dahin. Vielleicht hoffte ich, dass irgendetwas passieren würde, vielleicht wollte ich aber auch einfach irgendwas tun. Auf Dauer wurde das Studieren und Jobben dermaßen langweilig, dass ich einfach einmal Abwechslung brauchte. Eine Bank trat in mein Blickfeld, ich hob den Kopf und erblickte einen jungen Mann im Anzug dasitzen, nach hinten gelehnt, mit geschlossenen Augen. Seine Locken waren akkurat nach hinten gegelt, aber kleine Löckchen schafften es, dem Gel zu widerstehen. Schmunzelnd setzte ich mich neben den mysteriösen Mann, sah ihn von der Seite an und fragte mich, wie ein Mensch gleichzeitig schön und gestresst wirken konnte. Denn den Stress sah ich ihm an. Wahrscheinlich war er Geschäftsführer eines bekannten Unternehmens und wollte eine ruhige Pause nur für sich haben, was ich absolut nachvollziehen konnte. „Stressiger Arbeitstag?", grinste ich, als er ein genervtes Grummeln von sich gab und den Kopf in meine Richtung drehte; die Augen noch immer geschlossen. Als ich auf seine Lippen sah, stockte mir der Atem. Ich prägte mir die Konturen seines Mundes ein, stellte mir vor, wie sie sich auf meinen anfühlen würden, wie es wäre, ihn stürmisch zu küssen, ihn an eine Wand zu pressen, ihm seinen verdammt heißen Anzug vom Leib zu reißen und- Okay, stopp, Louis! Schwer schluckte ich, atmete tief durch. Lass die Gedanken bleiben, Tomlinson. Wieso sollte er auch mit dir schlafen wollen? Sie ihn doch mal an! Erfolgreich, reich, verwöhnt. Und du? Ein typischer Student, meistens pleite, jobbst nebenher als Autowäscher. Wieso sollte er dich nehmen, wenn er jeden anderen bekommen könnte? Abgesehen davon: Er ist wahrscheinlich gar nicht schwul.

„Was verstehen Sie schon davon?", riss mich seine raue, tiefe Stimme aus den Gedanken, ein Schauer lief meinen Rücken hinab und sofort hörte ich den Klang seines Stöhnens im Ohr, stellte mir vor, wie er „Mehr, Master!" stöhnen und sich unter mir winden würde, wie ich mit einer Lederpeitsche seinen Körper hinab fahren und ihn dann gnadenlos ficken würde... Verdammt! Ich hasste meine Fantasien. Sie überfielen mich jederzeit, egal ob beim Einkaufen, Essen oder einfach beim Entspannen. Denn eine bestimmte Region meines Gehirns suchte anscheinend immer irgendeine Zweideutigkeit in Dingen, die total harmlos erscheinen. Kreppband, Seile, Rasierschaum, Eiswürfel, sogar Sahne! Ich schüttelte den Kopf, um den Gedanken wegzuwerfen, und beantwortete so ungewollt die Frage des Mannes. „Also lassen Sie mich in Ruhe, ich bin vielbeschäftigt." Erstaunt sah ich ihn an, blickte zum ersten Mal in seine atemberaubenden Augen. Außen ein dunkelgrüner Ring, innen hellgrün wie eine saftige Wiese im heißen Sommer. Ich biss mir auf die Unterlippe, zog sie zwischen meine Zähne und starrte ihn an. Er starrte zurück. Einschüchternd, gestresst, nicht nachgebend. Ein schelmisches Grinsen hob meine Mundwinkel an, er hob eine Augenbraue und sah mich fragend an. „Tut mir leid, Mister..." „Styles." Ich nickte dankend und fuhr fort. Dabei wendete ich den Blick keine Sekunde von seinen Augen ab. „Tut mir leid, Mister Styles, ich war in Gedanken. Ich verstehe sehr wohl etwas von Stress, ich studiere nämlich." Erst war er verblüfft, bis er dann auf einmal zu lachen anfing und sich Grübchen in seine Wangen drückten.

„Was?", schmollte ich, sah ihn grummelnd an, während er sich über etwas totlachte, was ich nicht verstand. Wieso lacht er? Habe ich etwas Peinliches gesagt? Ich wartete, bis er sich beruhigt hatte, und verschränkte herausfordernd die Arme vor der Brust. „Also? Ich höre." Er lachte noch immer leise, schüttelte amüsiert den Kopf und richtete seinen Blick auf meine Augen. „Studieren ist nichts im Vergleich zu dem, was ich tue, Kleiner." Böse funkelte ich ihn an. Schon oft hatte mich mein Umfeld „Kleiner" genannt, und ich hasste es. Styles grinste und zwinkerte mir zu. „Tut mir leid, falls ich dich verärgert habe, aber es ist die Wahrheit. Es ist sicher kein Problem, wenn ich dich duze, oder? Nein, natürlich nicht. So, du musst jetzt leider auf meine amüsante Gesellschaft verzichten, meine Mittagspause ist vorbei." Verdattert sah ich ihm hinterher, als er aufstand, mir nochmal zuzwinkerte und dann den Weg in die andere Richtung ging. „Man sieht sich immer zweimal im Leben, Styles!", rief ich ihm noch grinsend hinterher, hörte noch, wie er auflachte, und machte mich dann selbst auf den Weg zurück. Er war frech. Ich stellte mir vor, wie ich ihm diese Frechheit austreiben würde. Holy Shit...


Alpha || Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt