Mein Vater?

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„Hey, du bist wirklich gut!"

Irgendwie hatten sich diese Worte in mein Gehirn eingebrannt.

„Hey, du bist wirklich gut!"

Jede einzelne Silbe; die Betonungen; der Akzent, den ich inzwischen als irisch eingeordnet hatte, alles. Ich drehte mich auf die andere Seite. Mein Bett knarzte. Auch das noch.

„Hey, du bist wirklich gut!"

Hätte der Typ nicht einfach die Klappe halten können? Er hatte alles kaputt gemacht! Wobei... Es wäre wahrscheinlich normal gewesen, wenn ich ihm einfach geantwortet hätte. Irgendein cooler, lockerer Spruch, wie... Mir fiel noch nicht mal jetzt etwas ein, wie sollte ich spontan irgendetwas sagen? Frustriert boxte ich gegen die Wand und musste im nächsten Moment die Zähne zusammenbeißen um nicht vor Schmerz aufzuschreien. Vorsichtig bewegte ich meine Hand und der Schmerz ließ langsam nach.

„Mäuschen, dir ist schon noch bewusst, dass wir auch Nachbarn haben?" Ich drehte mich um, was das Bett wieder zum knarzen brachte. Meine Mutter stand mit verschränkten Armen im Türrahmen und lächelte mich wissend an. „Hm, ja", nuschelte ich als Antwort und zog meine Decke etwas höher.

Sie setzte sich ans Fußende meines Bettes. „Was ist los, hm?" Was sollte ich dazu jetzt sagen? „Nichts", meinte ich also und schaute sie unschuldig an. Im Endeffekt war das, über das ich mir Gedanken machte, ja auch ‚Nichts'. Es war unsinnig. Lächerlich. Das einzige, was der Kerl über mich wusste, war das ich Klavier spielte und neben ihm wohnte. Er würde mich nicht mal erkennen, wenn ich ihm direkt vor die Füße fallen würde.

„Wie läuft deine Hochzeitsplanung?", lenkte ich Mum ab, bevor sie auf die Idee kam weiter nachzufragen. Es klappte. Sie verzog das Gesicht. „Eigentlich sind die beiden ein ganz süßes Pärchen und die Braut ist wirklich nett. Aber der Bräutigam ist... Wie soll ich sagen? Ziemlich speziell. Ich würde den ja nicht heiraten. Ist so ein ‚Das-Glas-ist-halbvoll'-Typ, weißt du, was ich meine?" Ich nickte schnell, damit sie weiterredete. „Erst wollte er nackt heiraten, aber das konnten seine Verlobte und ich ihm zum Glück ausreden." Wir kicherten beide. „Na ja, aber sonst läuft es ganz gut. Die beiden wollen mich weiterempfehlen."

Sie stand auf und strich ihren Rock glatt. „Gute Nacht, Spätzchen. Und mach dir nicht mehr so viele Gedanken über ‚Nichts'." Mum zwinkerte mir zu. Ich lächelte zurück und kuschelte mich in die Kissen.

Als ich mich am nächsten Morgen aus dem Bett quälte, wollte ich aus Gewohnheit gleich die Balkontür aufmachen und mit dem Gesang meines Nachbarn wach werden. Dann jedoch fiel mir ein, was gestern Abend gewesen war und ich hielt mich lieber zurück. Lieber wandte ich mich meinem Kleiderschrank zu und suchte nach einer frischen Jeans und einem warmen Pullover. Besser als mich noch mehr zu blamieren. Und außerdem musste ich ja auch zur Schule. Das waren doch Gründe genug, oder?

Meine Mutter riss die Tür auf. „Mäuschen, machst du auch eben dein Fenster auf? Ich lüfte durch!" Verdammt, sie lüftete nie durch! Warum, musste sie jetzt damit anfangen? Das warf alle meine Pläne durcheinander. „Und dann kommst du in die Küche, wir müssen was besprechen!" Was besprechen? Ich fing an die letzten Tage im Kopf durchzugehen. In der Schule war ich immer brav gewesen, das konnte es nicht sein. Hatte ich sonst irgendwas gemacht? Eigentlich nicht.

Widerwillig näherte ich mich der Balkontür. So vorsichtig und leise wie möglich drehte ich den Griff waagerecht und öffnete sie. Mit angehaltenem Atem lauschte ich, doch da war nichts, außer das Gebell zweier Hunde und einem schreienden Kind. Es wurde nur kalt, also schnappte ich mir meine Klamotten und ging ins Bad, um mich anzuziehen und meine Haare in einen einigermaßen vorzeigbaren Zustand zu bringen, auch wenn das ein eher hoffnungsloser Fall war. Irgendwann knallte ich meine Bürste frustriert an ihren Platz zurück und beschloss heute nicht mehr in den Spiegel zu gucken.

Me and my GuitarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt