Er war immer da

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» Überarbeitet « (Stand: 22.07.2019)

Ich hatte keine Pause gemacht. Ich war gerannt und gerannt, bis zu unserem Haus. Immer wieder hatte sich das Szenario vom Kunstraum in meinem Kopf wiederholt, ich versuchte es zu ignorieren doch das Kratzen in meinem Hals erinnerte mich wieder daran. Tränen flossen meine Wangen entlang und ich fühlte mich so wahnsinnig hilflos. Ich ließ die Haustür hinter mir zu knallen und Esme war die erste, die auf mich zukam. Sie sagte etwas, doch ich nahm ihre Worte kaum wahr. Mein Herz schlug so schnell und ich hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Da war immer noch dieses unerträgliche Verlangen in meinem Inneren. Ich ließ mich die Wand herabsinken und drückte meine Fäuste an meine Schläfen, doch es half nichts. Seths Gesicht tauchte vor meinen tränenverschleierten Augen auf. Ich hörte ihn meinen Namen sagen, doch ich konnte nicht antworten. Plötzlich wusste ich, was Luisa mit Blutdurst meinte. War das Verlangen erst einmal da, wurde man es nicht mehr los. Es gab nur einem Weg diesem ein Ende zu setzen – man kam dem Verlangen nach. Meine Augen erfassten Seths verzweifeltes Gesicht, meine Ohren nahmen Esmes Stimme wahr es klang als würde sie telefonieren. All das wurde ausgeblendet, als ich den entscheidenden Geruch roch, sofort bewegte ich meinen Kopf in die Richtung. Es war Edward von dem der Geruch aus ging, dann erblickte ich den Becher in seiner Hand. Er ging vor mir in die Hocke, ehe er mir den Becher reichte. Kaum hatte ich in de Händen, leerte ich ihn augenblicklich. 

Edward hatte das Problem in meinen Gedanken erfasst und anschließend gehandelt. Wie sich herausstellte, hatten die Cullens immer eine Notfallration Blutkonserven für Renesmee im Haus. Erst nach zwei Blutbeuteln war ich wieder in der Lage halbwegs klar denken zu können und mich langsam zu beruhigen. Seitdem saß ich auf dem riesigen Sofa, Seth war keine Sekunde von meiner Seite gewichen und strich mir immer wieder durch das Haar. Carlisle – Esme hatte ihn sofort angerufen, als mich so gefunden hatte - saß gegenüber von mir und anstatt mich böse anzuschauen, hatte er wie immer den sanften Gesichtsausdruck. „Was ist in der Schule vorgefallen?" fragte er mich mit ruhiger Stimmlage. Sofort stieg erneut das Szenario aus dem Kunstraum  in meinem Kopf. Der Schrei. Der Geruch. Die Panik in mir. Das Blut. Das Brennen in meinem Hals. Das Verlangen. Das Gefühl die Kontrolle zu verlieren. Neue Tränen quollen aus meinen Augen. Seth neben mich, zog mich mit seinem Arm näher an sich heran als würde er versuchen wollen mich vor meinen eigenen Gedanken zu beschützen. Mit meinen Pullover Ärmeln strich ich mir die Tränen aus dem Gesicht. „Es war im Kunstkurs, ich hab es nicht einmal richtig mitbekommen. Plötzlich war da dieser Geruch und ich sah, dass eine Mitschülerin blutete. Dann folgte diese Verlangen auf sie los zu stürmen.." ich stoppte, der Gedanke das ich tatsächlich kurz davor war dieses Mädchen anzugreifen, nur ihres Blutes wegen ließ mich mich noch schlechter fühlen. Carlisle behielt seine sanfte Miene, schien jedoch immer noch auf das Entscheidende zu warten. Ich wusste worauf er wartete und ich wusste auch, dass es keinen Weg mehr Drumherum gab. „Seit ich denken kann, gab es bei uns Menschenblut. Meine letzte Ration liegt nun schon mehrere Wochen zurück. Ich dachte.." ich machte eine kurze Pause. „Ich wollte niemanden etwas davon erzählen, ich dachte das würde sofort ein schlechtes Bild auf mich werfen. Da ich menschliche Nahrung zu mir nehme dachte ich, ich könnte die Sache mit dem Blut komplett weg lassen." ich hob meinen Blick und schaute zu Carlisle. Doch weder in meinem Blick, noch in dem von Esme oder Edward hatte sich etwas geändert. Ich dachte, wenn sie erst einmal wussten, dass ich mich von Menschenblut ernährte würde sich ihr komplettes Bild über mich ändern. „Du bist immer noch zur Hälfte Vampir, Verdrängung war der falsche Weg. Du könntest uns demnächst zum Jagen begleiten, hm wie wäre das?" ich nickte auf Carlisles Worte und versuchte so gut es geht zu lächeln. Er strich mir durch Haar, ehe er aufstand und in Richtung der anderen lief. Und in meinem Kopf blieb nur eins zurück: Ich hatte noch nie gejagt.

**

„Das lief doch gar nicht mal so schlecht." sagt Seth, während wir gemeinsam durch den Wald zurück zu unserem Haus liefen. Seit dem Vorfall in der Schule war ein Monat vergangen, seitdem hielten sich meine Mitschüler von mir fern. Zu Beginn hatte ich gedacht, es würde an der Sprachbarriere liegen doch schnell merkte ich, dass sie mich aus einem anderen Grund mieden. Ganz im Gegensatz zu Renesmee. Damit sich der Vorfall nicht wiederholte, ging ich wöchentlich mit Seth auf die Jagd. Tierblut kam geschmacklich bei weiten nicht ans menschliche heran, aber es war vermutlich einfach nur eine Gewöhnungssache. Man konnte es mit Menschen die an einer Intoleranz leiden vergleichen, wenn man anderes gewöhnt war – schmeckte das Ersatzprodukt ebenfalls nie genauso gut. Es war nicht der Geschmack der mir Sorgen bereitete, sondern viel eher das Jagen an sich. Ich war in diesem Fall quasi ein hoffnungsloser Fall. Seth war am Ende immer der, der dafür sorgte dass ich nicht blutleer ausging. Ich antwortete nichts auf seine Antwort, sondern lief durch die Terrassentür bis hoch in mein Zimmer. Seth folgte mir, blieb gerade mit verschränken Armen am Türrahmen stehen. „Das wird vermutlich nie was." brach es deprimierend aus mir heraus und ließ mich auf mein Bett fallen. Ich hörte Seth seufzten, ehe er sich neben mir fallen ließ und mich in seine Arme zog. „Ach was. Du bist halt anders aufgewachsen. Wir üben noch ein wenig und dann wirst du sehen, klappt das irgendwann wie Fahrrad fahren." versuchte er mich zu motivieren. Ich hob meinen Kopf um ihn anzusehen. „Ich bin noch nie Fahrrad gefahren." antwortete ich und Seth verdrehte die Augen und wir lachten beide. Eine Weile lagen wir einfach da. Niemand sagte etwas, Seths Hand strich über meinen Arm, während ich seinen Herzschlag lauschte. „Seth?" flüsterte ich, weil ich die Stille eigentlich zu sehr genoss, um sie unterbrechen. „Hm?" kam es von ihm ebenso leise zurück. „Danke, dass du immer da bist." seit wir in Helsinki wohnten war Seth niemals weit gewesen. Jeden Tag wenn ich aus der Schule kam war er der Erste, der sich nach meinem Tag erkundigte. Er verlor nie die Geduld oder gab auf, wenn ich es bereits schon getan hatte. Er hatte immer ein Witz parat um mich aufzumuntern. Er ließ mich immer wissen dass er da war, mal mit Worten und manchmal auch einfach mit seiner Anwesenheit. Ich hob erneut meinen Kopf um ihn anzusehen zu können, er lächelte mich warm an und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Für einige Sekunden schauten wir uns einfach nur in die Augen, ehe ich mich strecke und zaghaft meine Lippen auf seine legte. Ebenso vorsichtig erwiderte Seth den Kuss, er hielt lange an und als wir uns lösten blieb die Stille. Sowohl mein Blick als auch seiner sagten in diesem Moment vermutlich mehr als Worte.



Bis(s) das Leben neu beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt