REGEL 3

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REGEL 3

Sei unauffällig. Keine Markenklamotten oder Sachen, die im Entferntesten gut aussehen – das gilt auch für Schuhe. Es ist ja sowieso nicht so, dass diese Kleinstädter ein schönes Paar Jimmy Choos zu schätzen wissen.

Dad wartet an der versprochenen Stelle und hat Teeny im Auto. Ihr Kopf hebt sich ein kleines bisschen, als sie mich sieht, und ich versuche, den letzten Block nicht zu rennen.

Bei jedem Wechsel zwischen den Kursen habe ich Ethan gesehen. Einmal bin ich buchstäblich in ihn hineingerannt, als wir gleichzeitig durch die Tür in das Klassenzimmer wollten, und wir haben beide unsere Bücher fallen lassen. Es hat auch nicht geholfen, dass die Sportskanone mit der geplatzten Lippe auch in dem Kurs war. Ethan hat nicht mehr versucht, mit mir zu sprechen, aber er hat immer wieder zu mir geschaut. Es macht mich nervös, wie er mich ansieht, und auch ein bisschen kribblig, was sehr, sehr, sehr schlecht ist. Ich bin mir außerdem ziemlich sicher, dass ich jedes Mal wie ein Trottel rot geworden bin, wenn er in meine Nähe gekommen ist.

Teeny ist still. Ich frage sie nach ihrem Lehrer, ihrer Schule, den Mitschülern, nach allem, sogar was sie zu Mittag gegessen hat. Jede Antwort besteht aus genau einem Wort.

Dad nimmt einen anderen Weg zurück nach Hause als heute Morgen.

»Wo fahren wir hin?«, frage ich.

Er braucht einen Moment, bis er antwortet. »Dachte, wir könnten heute Nachmittag ein wenig Sightseeing machen. Uns ein bisschen in der Stadt umschauen.«

Das ist Codesprache für: Mum hat sich die Kante gegeben und Dad gibt ihr Zeit bis zum totalen Blackout, bevor wir nach Hause fahren.

Ich lasse es geschehen, denn es schadet nicht zu sehen, was diese Stadt zu bieten hat. Außerdem habe ich keine Eile, ein alkoholgeschwängertes Gespräch mit meiner Mutter zu führen.

Die enden nie gut.

Die Straßen in der Nähe des Flusses sind eng und überlaufen. Da die meisten Straßen Einbahnstraßen sind, fahren wir schließlich im Kreis bis wir es aus der Altstadt hinausschaffen. Je weiter wir rausfahren, desto mehr verändert sich das Bild. Originelle kleine Shops werden zu Fast-Food-Ketten.

Ich beobachte Dad beim Fahren. Er starrt mehr in den Rückspiegel als durch die Windschutzscheibe. Ein paarmal werfe ich auch einen Blick nach hinten, aber ich sehe nichts, was ungewöhnlich aussieht. Nachdem er einige Male plötzlich abgebogen ist, ohne den Blinker zu setzen, frage ich: »Wonach suchst du?«

»Was?« Er steigt auf die Bremse und wir werden nach vorn geschleudert. »Wovon sprichst du?«

»Du schaust total oft in den Rückspiegel. Ständig. Ist da jemand hinter uns?«

Ich schaue wieder nach hinten, aber noch immer wirkt alles normal.

Dad schüttelt den Kopf und murmelt etwas in seinen Bart. Er ist inzwischen ein Profi im Murmeln.

Nach etwa dreißig Minuten hält Dad auf einem Parkplatz vor einer Eisdiele an, die neben einem Klamottenladen liegt.

»Wie wäre es mit einem kurzen Stopp hier?« Dad schaltet auf Parken.

Ich hüpfe aus dem Auto, die Tasche an meine Brust gedrückt, und stolpere fast über ein Mädchen, das ich aus der Schule kenne. Es ist eine ganze Gruppe Mädchen, die alle aus einem Geländewagen herausklettern, und die meisten von ihnen waren in einigen meiner Kurse. Während ich schnell an ihnen vorbeigehe, kichern sie und flüstern sich etwas zu. Als ich mein Spiegelbild im Fensterglas sehe, weiß ich auch, warum sie lachen. Der lässige, luftgetrocknete Look von heute Morgen hat nicht gehalten. Meine Haare kleben an meinem Kopf und haben weder Form noch Volumen. In der langweiligen Jeans und dem grauen Kapuzenpulli würde ich glatt als Junge durchgehen. Und kein sehr toller.

SpurlosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt