REGEL 2
Stelle keinen Augenkontakt her und fange keine Gespräche mit irgendwelchen Leuten an. Das könnte dich interessant machen und daher die Aufmerksamkeit anderer anziehen. Und das willst du schließlich nicht ... stimmt's?
Nichts ist wirklich spannend oder anders an dieser Gegend, es ist das Gleiche wie bei unseren letzten drei Umzügen, bis man zwei Blocks in Richtung Altstadt geht.
Die Stadt ist nett. Wirklich nett. Alles ist alt, aber auf eine echt coole Weise. Die Front Street besteht aus altem Kopfsteinpflaster und sie führt an einem Fluss vorbei. Als wir darüberfahren, vibriert der Kombi. Kleine Restaurants und Bars wechseln sich mit Souvenirläden ab. Die meisten Gebäude bestehen aus altem Ziegelstein und Holz, genauso wie unser kleines Häuschen, und haben Balkone mit gusseisernen Geländern im ersten Stock. Das muss sich fast so anfühlen, als betrete man statt eines Ladens das Wohnhaus des Besitzers.
Wir überqueren eine schmale, kleine Brücke und die Geschäfte werden zu Wohnhäusern, und zwar die weitläufigeren mit großen Gärten, Hollywoodschaukeln und Büschen, die so dick und dicht sind, dass sie fast wie kleine Bäume aussehen.
Wir halten an einer Schule an und es kommen lauter jüngere Kinder in Sichtweite.
»Okay, Teeny, wir sind da.« Dad wirft im Rückspiegel einen Blick auf sie. Umso schlimmer es mit Teeny wird, desto weniger befasst er sich mit ihr. Es ist, als könne er mit der Veränderung in ihr nicht umgehen.
Teeny hat sich auf dem Rücksitz zusammengekauert und hält ihren Rucksack fest an ihre Brust gedrückt. Ich setze das strahlendste Lächeln auf, zu dem ich imstande bin. »Teeny, du wirst das bestimmt toll machen. Wir sehen uns nach der Schule. Keine Sorge.«
Ihr Lächeln sieht gequält aus. Sie steigt aus dem Auto und Dad und ich beobachten sie, wie sie langsam zu dem Gebäude geht. Ihr Kopf ist zum Boden gesenkt und sie lässt die Schultern hängen.
Die Luft ist voll von den Dingen, die wir beide einander gern sagen würden, aber keiner von uns spricht. Ich spiele am Heizungsregler herum, während Dad etwas Ekliges von der Windschutzscheibe kratzt.
Erst als Teeny außer Sichtweite ist, fährt Dad weiter.
Auf meinen Wunsch hin stoppt er einen Block weiter und lässt mich raus. Er murmelt irgendetwas von wegen er wird nach der Schule wieder hier sein, aber ich bin draußen, bevor er zu Ende gesprochen hat. Ich nehme meinen iPod heraus und stecke mir die Kopfhörer in die Ohren.
Es ist einfach, in der Menge zu verschwinden, da alle zur Eingangstür der alten Schule strömen. Ich werfe verstohlene Blicke auf die Kids und erkenne, dass es in dieser Gegend auch Geld gibt - viele Designerklamotten und -taschen, alle sind perfekt angezogen. Und ich dachte, ich würde mit diesen scheußlichen Klamotten nicht auffallen.
Die Gänge wimmeln vor Schülern und dem Lärm der Schließfächer, die geräuschvoll geöffnet und geschlossen werden. Ich dachte, ich hätte inzwischen jeden Akzent gehört, den es gibt, aber die Stimmen hier sind so anders - definitiv Südstaaten, aber da ist noch irgendetwas anderes.
Ich finde das Büro des Schulleiters und öffne langsam die Tür. Die Sekretärin im Vorzimmer ist außer sich, sie hantiert wild mit Papieren herum und bellt ins Telefon. Sie sieht erschöpft aus, obwohl es noch nicht einmal acht Uhr morgens ist. Ich nehme einen Kopfhörer heraus. »Heute ist mein erster Tag. Ich brauche meinen Stundenplan.«
Die Frau fängt wieder an, die Papiere durchzublättern. »Name?«
»Meg Jones.«
Sie blättert einen anderen Stapel durch. »Setz dich. Er ist hier nicht dabei.«
![](https://img.wattpad.com/cover/51538885-288-k395323.jpg)
DU LIEST GERADE
Spurlos
HorrorDiese Geschichte handelt von einem Mädchen. Einem Mädchen, die keiner kennt. Einem Mädchen, welches niemanden kennen will. Einem Mädchen, mit einer grauenhaften Vergangenheit...