Kapitel 3

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„Du magst sie doch", sagte Stegi zu wiederholten Male
„Klar", antwortete Tim wie immer neutral. „Sie ist nett, wie schon gesagt."
„Mann, Tim", erklärte Stegi, „es ist nicht uncool, jemanden toll zu finden! Magst du sie nun?"
Tim gab ein wenig zu viel Gas, als er über die gelbe Ampel schoss und atmete aus, um dann wieder die Geschwindigkeit zu drosseln. „Nicht so, okay? Versuch nicht, mich zu verkuppeln."
Er musste aggressiver gewirkt haben, als er wollte, denn Stegi stieß einen komischen Laut aus. „Wenn du meinst...", sagte er gedehnt und nach einer kurzen Pause. „Sie mag dich jedenfalls."
In Stegis Welt schien es keine Leute zu geben, die nicht mit sympathischen Mädchen zusammensein wollten, die sie mit großen blauen Augen anklimperten, aber in Tims Welt gab es die. Zumindest ihn. „Wir kennen uns doch gar nicht", sagte Tim milder.
„Darum geht's ja auch! Dass ihr euch kennenlernt." Stegi verdrehte die Augen. „Ihr seid doch nicht sofort ein Paar, wenn ihr euch mal auf 'nen Kaffee trefft."
Tim sagte nichts weiter dazu. Er bog in die Straße ein, in der seine Wohnung war und parkte recht nah vor der Haustür. Er stellte den Motor ab, als Stegi fragte: „Oder gibt es schon wen, den ich nur nicht kenne?"
Als Tim ihn fragend ansah, ergänzte er schnell: „Nur, weil du so... reagierst." Stegi sah ihn an, als hätte ihm diese Frage sehr auf der Zunge gebrannt und als wäre er unsicher.
Tim lächelte beruhigend. In seinem Kopf rasten die Möglichkeiten, wie er antworten könnte. Er wollte nicht „Nein" sagen, weil es nicht stimmte, nicht „Nichts von Bedeutung", weil das sich furchtbar anfühlte, „Unerwidert" blieb ihm im Hals stecken. Er schlug einen heiteren Tonfall an: „Keine Sorge, ich liebe natürlich nur dich und wenn jemand anders kommt, sag ich es dir." Er wuschelte Stegi durch die Haare, um die Bedeutung der Worte weiter zu einem Witz zu schmälern. So klein zu machen, dass Stegi die Wahrheit nicht hören konnte. „Sina ist einfach nicht so ganz mein Typ."
Stegi zog protestierend den Kopf weg und zupfte an seinen Haaren rum. „Mach das doch nicht immer!", jammerte er. „Jetzt seh' ich aus, als wäre ich in einen dummen Ventilator geraten!"
Tim musste grinsen. „Oh ja, du siehst furchtbar aus. Deine Frisur ist eine Ruine."
„Du bist so ein Lauch, ey", murmelte Stegi und klappte die Sonnenblende runter, um seine Frisur anzugucken. „Bin doch kein Schoßhündchen."
„Doch", behauptete Tim. „Ein bisschen schon." Dann zog er den Autoschlüssel ab und stieg aus.
Er ging um das Auto rum und wartete, bis Stegi ebenfalls ausgestiegen war und die Tür zugeknallt hatte. Dann drückte er auf den Knopf am Autoschlüssel für die Verriegelung und folgte Stegi zur Haustür. „Bin ich nicht. Wenn dann, bin ich ein süßes Stegosauren-Baby, oder so. Und dann beiß ich dir die Hand ab, wenn du mir den Kopf wuscheln willst."
Tim starrte Stegis Rücken an und versuchte, nicht zu lächeln. „Das ist traurig", sagte er ernst. „Dass du meine Hand abbeißen willst."
Stegi drehte sich grinsend zu ihm um. „Jaah, selbst Schuld, 'ne? Wenn du mich halt nicht immer wie ein Hündchen behandeln würdest..."
„Aber ich mag flauschige Hündchen." Tim sah ihn traurig an. „Und ich mag dich."
Stegi starrte ihn kurz an und lachte dann. „Du bist süß", erklärte er. „Aber ich wuschel dir nicht durch die Haare, weil ich weiß, wie blöd das ist."
Tim seufzte laut und schob sich an Stegi vorbei, um die Tür aufzuschließen.
„Jetzt stöhn halt nicht so rum", maulte Stegi. „Das ist lächerlich."
„Ich stöhne nicht, ich seufze", erklärte Tim ihm und betrat seine Wohnung. „Du solltest den Unterschied kennen."
Stegi boxte ihn. „Du denkst auch immer nur zweideutig, du Schwerenöter."
Jetzt musste Tim aber wirklich lachen. Sie schmissen ihr Zeug ab und machten es sich im Wohnzimmer gemütlich. „Ich hol was zu trinken", sagte Tim und stand nochmal auf, um Gläser und eine Flasche Cola zu holen. Er stellte alles auf dem Tisch ab.
„Danke." Stegi lag schon wieder auf dem Bauch auf der Couch. „Du bist so führsorglich."
„Nö", gab Tim zurück. „Durstig." Er goss sich Cola ein.
Stegi sagte nichts und als Tim beim Eingießen hochsah, sah er, dass Stegi ihn anlächelte. „Du gießt gleich über", sagte Stegi und sah alarmiert auf Tims Glas.
Dieser riss die Flasche hoch, aber der Schaum quoll schon oben aus dem Glas raus und über den Tisch. „Kacke", murmelte er, stellte die Flasche ab und erhob sich. „Wo ist die verdammte Küchenrolle?"
„Küche?", schlug Stegi vor. „Hast du keinen Lappen?"
Tim war schon auf dem Weg. „Bestimmt irgendwo." Er schnappte die Küchenrolle und warf auch einen Blick zur Spüle – und tatsächlich lag daneben ein blauer zusammengeknüllter Lappen. Aber den müsste er nass machen...
„Tim, die Soße läuft schon am Tischbein runter!", rief Stegi lachend. „Beeil dich, Mann."
„Uh, verflucht", stieß Tim aus und ging mit langen Schritten zurück ins Wohnzimmer, wo er den Colasee eindämmte. Stegi unterstützte ihn mit einem wunderbaren unverkennbaren Lachanfall.
„Ach komm", meinte Tim. „Was war daran jetzt so furchtbar witzig?" Er musste selbst grinsen, aber mehr wegen Stegi, der vor Lachen rot im Gesicht geworden war.
Stegi holte nochmal Luft. „Keine Ahnung!" Dann lachte er noch kurz weiter, bevor er sich endlich wieder in den Griff bekam und sich daraufhin Cola eingoss – ohne Überlaufen. Daraufhin warf er Tim einen gespielt überheblichen Blick zu und hob die linke Hand. „Einhändig!", verkündete er und stellte die Flasche dann wieder auf den Tisch, um sie zuzuschrauben.
Tim klatschte in die Hände. „Ich bin begeistert. Hast du's mal mit dem Weltrekord versucht?"
„Noch nicht, aber die kommen schon noch an, um mich aufzunehmen." Stegi grinste blöd und trank dann. „Ach, bevor ich es vergesse", platzte es aus Stegi raus und er stellte sein Glas so hektisch ab, als würde der Satz sofort verschwinden, wenn er ihn nicht sofort aussprach. „Franzi und Sina wollten morgen mit uns abends weggehen. Hättest du Lust?"
Tim musste da nicht lange nachdenken. „Geht leider nicht. Ich muss das Turnier auf Timolia aufnehmen." Er verzog bedauernd das Gesicht, obwohl er ganz froh war, sich den Abend nicht geben zu müssen. Er hatte weder Lust auf Sina noch auf Franzi und Stegi, die wohl wie jedes verdammte Pärchen auf der Tanzfläche rumknutschen würde. Da hatte Tim echt keinen Bedarf. „Aber ist doch gut, dann langweilst du dich nicht, während ich hier aufnehme."
Stegi sah enttäuscht aus. „Das ist blöd", maulte er. „Darum lad ich nichts regelmäßig hoch. Das ist doch richtig blöd."
Tim musste lächeln. „Du hast doch zwei Grazien an deiner Seite, mit denen du dich über laute schlechte Musik hinweg anbrüllen kannst."
„Das stimmt", gab Stegi zu. „Und ich muss mir halt wirklich nicht geben, wie du im Endduell niedergemacht wirst."
Tim seufzte. „Danke für die aufbauenden Worte."
Stegi grinste nur. „Immer wieder gern."

Tim und Stegi hatten den ganzen Tag für sich. Es war so, wie es sonst war, wenn sie einander besuchten.
Klar dachte Tim ab und zu daran, dass Stegi abends noch weggehen würde und das mit Bambi, aber es war irrelevant. Sie alberten rum, spielten und hingen sogar ein bisschen mit den Jungs im TS ab, die sich natürlich die Stexpertwitze nicht verkneifen konnten – und Stegi und Tim zogen mit. Wie immer.
Das Schlimmste war, dass Tim wirklich glaubte, dass es recht unbeeindruckt aufgenommen werden würde, wenn sie tatsächlich ein Paar werden würden. Die Jungs würden einfach noch mehr Witze reißen, nach der ersten Ungläubigkeit. Er konnte es sich kaum anders vorstellen – nur dass es nie passieren würde.
Er fühlte sich so wohl mit Stegi an seiner Seite, wenn sie sich Pizza bestellten und dann eine Weile auf dem Sofa rumlagen und über irgendwas quatschten, vielleicht ein Thema, das sie schon mehrfach hatten und über das sie trotzdem noch tausendmal reden konnten.
Manchmal fragte Tim sich, wo Stegi den Platz zwischen ihnen hernahm, um da Franzi reinzuquetschen. Aber vielleicht war es nur subjektiv, wie nah er sich ihm fühlte. Sehr wahrscheinlich sogar.
Der Tag floss träge dahin. „Wann fängt dein Turnier eigentlich an? Ist das nicht nachmittags?", fragte Stegi irgendwann und sah auf sein Handy. „Ist schon 18 Uhr."
„Um acht." Tim seufzte. „Wir machen es auch manchmal um 16 Uhr. Je nachdem."
„Achso", murmelte Stegi. „Ich muss auch nochmal nachgucken, wie ich zu Sina komm."
Tim zog eine Augenbraue hoch. „Ich dachte, ich fahr dich einfach hin. In 'ner halben Stunde, oder so."
Stegi grinste und warf das Handy dramatisch von sich. „Sehr gut", sagte er. „Sonst hätt ich mich eh irgendwo verlaufen."
„Das glaub ich dir aufs Wort." Als Stegi Tim das erste Mal besucht hatte, hatte Tim arbeiten müssen und Stegi hatte behauptet, es wäre für ihn gar kein Problem, allein zu Tims Wohnung zu finden und mit dem Ersatzschlüssel reinzugehen. Am Ende hatte Tim früher Schluss gemacht und war Stegis wirren Erklärungen quer durch die Stadt gefolgt, bis er ihn mit seiner Reisetasche am Straßenrand aufgabeln konnte.
Tim würde Stegi ganz sicher niemals irgendwo aussetzen und denken, dass er schon zurückfinden würde. Wenn nicht mal mehr ein Smartphone mit Google Maps half... (Stegi hatte behauptet, er wäre mit dem Bus in die falsche Richtung gefahren... Und trotzdem.)
„Mobb mich nicht immer mit dieser alten Geschichte", grummelte Stegi. „Deine Wegbeschreibung war halt einfach blöd. Und das ist ewig her."
„Ich hab doch gar nichts gesagt!", verteidigte Tim sich amüsiert.
„Aber gedacht!", behauptete Stegi beleidigt.
„Vielleicht." Tim lächelte verschmitzt.
„Du bist blöd", murmelte Stegi maulig. „Aber danke, dass du mich fährst. Sonst müsste ich irgendwann doch mal Geld für Fahrkarten ausgeben." Er saß gammlig auf dem Sofa rum, seine Haare zerzaust und mit verknautschten, gemütlichen Klamotten.
„Willst du dich eigentlich fürs Feiern umziehen?", schlug Tim vor mit dem Gedanken, dass er ja doch ein bisschen vor dem Turnier am PC sein sollte und zu Sinas Wohnung mindestens 25 Minuten brauchte – wenn es nicht voll war.
„Warum? Seh ich nicht gut aus?", fragte Stegi provokant. „Findest du mich nicht hübsch?"
„Doch, zum Anbeißen", erwiderte Tim. „Aber nicht gerade clubtauglich."
Stegi zog eine Augenbraue hoch. „Zum Anbeißen?" Er grinste. „Das klingt irgendwie falsch." Er setzte sich auf und streckte seine Arme. „Aber du hast Recht. Ich sollte mal schauen, ob ich irgendein halbwegs manierliches T-Shirt eingepackt hab..."
„Ich hätt hier noch Merch von dir rumzuliegen", schlug Tim diabolisch vor.
Stegi streckte ihm die Zunge raus. „Damit wäre ich zwar perfekt angezogen und mein Attraktivitätslevel würde durch die Decke gehen...", erklärte er arrogant. „Aber gleichzeitig dürfte ich kein Wort sagen und auf keinen Fall lachen."
Tim zuckte mit den Schultern. „Dann musst du vielleicht doch so gehen."
Stegi stand auf und setzte sich auf den Boden neben seiner Tasche. Er wühlte eine Weile in den Klamotten rum und zog schließlich ein schlichtes schwarzes T-Shirt mit irgendeinem nichtssagendem Aufdruck raus. Er hielt es Tim hin. „Fancy genug?"
„Dein Merch ist schöner."
Stegi warf ihm das T-Shirt an den Kopf. „Schleimer!"
Tim zog es von seinem Gesicht und hielt es Stegi wieder hin. „Komm, das sieht aus, als würde eine Orange möglichst episch explodieren."
Stegi starrte den Aufdruck auf dem T-Shirt einen Moment an und lachte dann lauthals. „Idiot", stieß er aus. „Ich werde dieses T-Shirt jetzt nie wieder anziehen können, ohne an Orangen zu denken."
Tim zuckte mit den Schultern. „Los, hopp. Sonst musst du doch Öffentliche fahren."
Stegi seufzte und zog sein Gammel-T-Shirt aus, um es gegen das schwarze zu tauschen und Tim versuchte derweil, nicht hinzusehen, tat es aber trotzdem. War ja auch eigentlich nichts dabei... Eigentlich.
„Na? Präsentabel?", fragte Stegi und stand dann auf und zog das Shirt glatt.
Tim musterte ihn mit kritischem Gesichtsausdruck eine halbe Minute und Stegi verzog das Gesicht. „Blödmann", warf er ihm entgegen.
„Ich wollte gerade Ja sagen", verteidigte Tim sich grinsend. „Aber mit so einer Grimasse..."
Stegi boxte ihn in die Seite. „Und jetzt lass uns fahren, sonst müssen deine Kollegen Serverprobleme vortäuschen, um zu vertuschen, dass du zu spät bist."
„Würden die nie machen", widersprach Tim. „Die lassen mich eiskalt ins Messer rennen."
Stegi grinste. „Und der wilde Mob zerreißt dich in der Luft."
Tim grinste mit. „Bestimmt. Und dann musst du mich zusammennähen."
„Pah", machte Stegi. „Vergiss es." Sie verließen die Wohnung und alberten auf der Fahrt noch ein bisschen rum. Dann kamen sie bei Sinas Wohnung an und Stegi blieb noch einen Moment sitzen. „Übrigens hab ich keine Ahnung, wie ich wieder zu dir komm", stellte er fest.
„Ruf an", sagte Tim nur und stellte den Motor ab, falls das Gespräch noch länger dauerte. „Ist ja nicht so, als wäre ich um Mitternacht im Bett und würde dich nicht abholen können."
Stegi seufzte. „Ach, du bist doch nicht mein Taxifahrer. Ich ruf dich nur im Notfall an, klar?"
Tim musste grinsen. „Dann sieh Notfall als dehnbaren Begriff an, okay?"
Stegi nickte. „Das sowieso." Damit stieg er aus und beugte sich nochmal durch die offene Beifahrertür. „Viel Glück beim Turnier. Glück wirst du brauchen."
Tim verdrehte die Augen und Stegi schmiss die Tür zu. Er stand noch auf dem Bürgersteig, als Tim um die nächste Ecke bog und einen kurzen Blick zurückwarf. Der Anblick löste in Tim den Wunsch aus, umzudrehen und Stegi in den Kofferraum zu werden und wieder mit nach Hause zu nehmen... Aber natürlich tat er das nicht.
Stattdessen fuhr er kurz rechts ran, nahm sein Handy und schrieb: „Im Notfall hol ich dich jederzeit überall ab. Keine Scheu bei Notfällen, alles klar? :)"
Die Antwort kam schnell: „Also doch Taxifahrer! Danke."
Nachdem er das gelesen hatte, startete Tim den Motor wieder und fuhr nach Hause. Er hatte ein Turnier zu bestreiten – und vermutlich würde er verlieren, weil er ununterbrochen an Stegi dachte.  


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