Gehetzt von den Jägern hinter mir, renne ich durch die Straßen der Stadt. Vorbei an den Obdachlosen, den Streunern und Dieben. Vorbei an all dem Leid und Schmutz. Vorbei an allem, was ich auch bin, dreckig, diebisch, verlogen und heimatlos. Aber das wird sich ändern. Vielleicht nicht heute, denn ein Mensch kann sich nicht einfach ändern, aber irgendwann. Irgendwann bin ich wer anders, nicht mehr dieses schäbige, kleine Mädchen mit dem gestohlenen Brot in der Hand, um sich ernähren zu können. Irgendwann! Nicht mehr mit den Jägern im Nacken, die schreien, dass ich tot sein sollte. Nicht mehr mit diesem schrecklichen Schmutz und dem Hunger der allgegenwärtig ist. Irgendwann, in der Zukunft, kann ich endlich anfangen mein Leben zu leben. Aber das wird nicht jetzt sein, also renne ich um mein Leben. Die Straßen entlang, springe über am Boden liegende Bretter, Bettler und Kinder. Zwänge mich durch enge Häuserspalten und fliehe vor den Jägern. Ich biege um eine Ecke und zwänge mich in den kleinen Häuserspalt. Er ist gerade groß genug, dass ich meinen Rücken an die eine und meine Füße an die andere Häuserwand gestemmt, hochklettern kann. Gerade, als ich außer Sichtweite, der Leute unten bin, rennen die Jäger an meinem Versteck vorbei. Alle, bis auf einen. Er stockt und dreht sich zu dem kleinen Durchgang um. Mein Herz klopft mir bis zum Hals, als ich weiterklettere. Ein kleines Stück Putz löst sich und fällt beinahe in Zeitlupe zu dem Jäger nach unten. Direkt vor der Nase des Jägers fällt es zu Boden. Und er sieht hinauf, direkt in mein Gesicht. "Sie ist hier!" ruft er seinen Kumpanen zu und rennt unter mich. Seine Kollegen kommen angerannt, erblicken mich und rennen weiter. Vermutlich in das eine oder andere Haus an denen ich hinauf klettere, wahrscheinlich in beide. Ich bemühe mich, meine zitternden, erschöpften Beine weiter zu bewegen und vor den Jägern auf dem Dach zu sein. Von da aus, könnte ich entkommen, aber die Chance ist wie jedes Mal gering. Hektisch beginne ich noch schneller zu klettern. Ich muss vor ihnen auf dem Dach sein, ich muss einfach! Immer wieder muss ich stoppen um zu Atem zu kommen. Und jedes Mal sehe ich nach unten, wo der eine Jäger grinsend auf seinen Triumph wartet. Aber den werde ich ihm nicht geben! Entschlossen kletter ich wieder weiter. Mein Blick wandert nach oben. Es ist nicht mehr weit! Mit neuem Mut, strenge ich mich noch einmal an. Und dann, kletter ich auch schon aufs Dach und stehe. Ein lautes Poltern lässt mich zusammenfahren. Schnell sehe ich mich nach möglichen Gefahren um. Und die gibt es, wie immer. Auf beiden Häusern kommen Jäger mit ihren Waffen beladen, aus der Tür, die zu den Wohnungen unter ihnen führt. Was jetzt? Ich sehe mich um. Es gibt kein weiteres Haus auf das ich springen und fliehen könnte, keine Girlande oder Seil. Einfach nichts, durch dass ich entkommen könnte. Meine Hand schließt sich fester um das kleine Stück Brot und ich sehe hin und her. Auf beiden Seiten stehen fünf Wachen. Die einzige Möglichkeit zu entkommen, wäre, wieder denselben Weg zu gehen, den ich gekommen bin. Aber unten wartet der andere Jäger, der Anführer der Truppe. Und der ist mindestens genauso gefährlich wie fünf einfache Jäger. Ich sehe zu den Truppen und hinunter zu ihrem Anführer. Sie laden ihre Waffen und zielen auf mich. Ich atme ein paar Mal tief ein und aus. Versuche meine angespannten Muskeln zu entspannen, versuche wenigstens etwas zur Ruhe zu kommen. 1...2...3! zähle ich und springe durch den kleinen Spalt wieder auf den Weg nach unten. Über mir, knallen die Schüsse, gefolgt von zwei fürchterlichen Schreien voller Schmerz. Toll gemacht, ihr habt euch selber abgeknallt! Für eine kurze Zeit schließe ich die Augen und genieße das Gefühl des Fallens. Genieße das die Schwere nicht auf mir liegt, genieße diesen zwar angespannten, aber trotzdem ruhigen Moment. Schnell öffne ich wieder die Augen und sehe kurz nach unten. Der Jäger unter mir, ist kurz überrascht, fasst sich aber sofort und wartet auf meine Ankunft. Doch ich packe ein Fensterbrett des Hauses auf meiner rechten und halte mich daran fest. Mein Gewicht lässt es leicht knacken, aber nicht abbrechen. Tja, jetzt ist es doch mal hilfreich, dass ich so klein und abgemagert bin! Schmerzvoll beginne ich mich hochzuziehen und zerschmettere das Fenster vor mir. Schnell kletter ich rein. Vor mir sieht mich eine Familie beim Abendessen verwirrt und ängstlich an. Anscheinend waren sie gerade beim Beten, denn alle haben die Hände gefaltet. "Entschuldigung!" sage ich schnell und renne über den Tisch auf dem ich gelandet bin, bei meinem Einstieg. Aus Reflex nickt der wahrscheinliche Vater und ich schenke ihm ein kurzes, knappes Lächeln. Im vorbeirennen, schnappe ich mir eine Hähnchen-Keule und achte nicht auf das aufgebrachte "Hey!" hinter mir. So schnell ich noch kann, suche ich den Ausgang. Zum Glück ist diese Wohnung nicht groß und ich finde ihn schnell. Ich gelange auf einen Flur und sehe in beide Richtungen. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit bis die Jäger hier sind und dann muss ich wissen wie es weiter geht. Ob ich überhaupt noch entkommen kann. Meine Beine zittern, ich keuche vor Anstrengung, mein Herz rast und das Adrenalin macht mich nervös und hibbelig. Zu meiner linken geht es zu einem Aufzug und zu meiner rechten liegen weitere Zimmer. Ich muss mich entscheiden! Würde ich mit dem Aufzug fahren, würde ich höchstwahrscheinlich direkt in die Arme der Jäger laufen, wenn ich aber durch eins der Zimmer versuche zu türmen, könnte das genauso gefährlich sein. Was soll ich bloß tun? Hinter mir, öffnet sich die Tür zu der Familie, bei der ich gerade gestört habe. Aus purem Instinkt laufe ich nach rechts, das Brot und die kleine Hähnchen-Keule fest in der Hand. Ich renne in das Zimmer geradeaus und platze geradewegs in eine Meditation. Die paar Frauen die dort auf dem Boden sitzen sehen mich empört an. "RAUS!" schreit eine von ihnen und zeigt auf die Tür. Ihre Augen sehen mich eher ängstlich an. Sie wird mich nicht aufhalten. Im Laufe der Zeit habe ich gelernt das Sprichwort "In den Augen der Menschen, spiegelt sich ihre Seele" zu schätzen, denn es stimmt. Die wirklichen Emotionen und die innere Kraft lassen sich dort am besten erkennen. Und die Frau vor mir, sieht mich beinahe panisch an. Ich stoppe nur kurz und renne dann an den Frauen vorbei zum Fenster. Ich lehne mich weit heraus und präge mir die Umgebung sorgfältig ein. Mein Blick bleibt plötzlich an einer Girlande über der Straße über mir hängen. Wenn ich aufs Dach komme, kann ich über die Girlande auf die andere Straßenseite gelangen. Hinter mir, höre ich das Geschrei von den Jägern, wie sie hinter mir durchs Gebäude rennen. Warnend sehe ich die Frauen an. "HILFE!" schreit die eine. Na toll! Sofort nähern sich eilige Schritte. Ich muss handeln, jetzt! Ich kletter aus dem Fenster. Neben mir gibt es eine Feuerleiter nach oben! Ich kann entkommen! Ich kann entkommen! Gerade, als ich die Feuerleiter hochklettern will, umfasst eine starke Hand meinen linken Fuß! Das Gesicht des Jägers taucht auf. "Du kannst uns nicht entkommen, kleine Diebin!" ich blicke auf sein Gesicht und auf die Hähnchen-Keule in meiner Hand. Ich spucke ihm ins Gesicht und schreie:"Doch ich kann!" Anschließend haue ich ihn mit der Keule ins Gesicht und befreie meinen Fuß aus seiner Hand. So schnell ich nur kann, kletter ich die Leiter hoch, was mit nur einer freien Hand nicht mal so leicht ist. Als ich oben auf dem Dach stehe, gehe ich sofort zur Girlande. Hoffentlich hält sie! Ich stopfe das Brot und die Hähnchen-Keule, in die Taschen meines ramponierten Kleides und ergreife mit den nun freien Händen die Girlande. Ich hole tief Luft und lasse mich vollständig daran hängen. Unter mir, die steinerne Straße. Schwung für Schwung hangel ich mich immer weiter. Erst, als ich schon fast bei der anderen Seite bin und mir nur noch ein paar Meter bis zum anderen Haus fehlen, tauchen die gefürchteten Jäger wieder auf. Mit einem der Gewehre schießen sie auf die Girlande, versuche das dünne Seil aus dem sie besteht, durch zu schießen. Ich muss mich beeilen. Mal wieder strenge ich mich an, nicht einfach loszulassen und aufzugeben, dem Leben den Rücken zu kehren. Das wäre so viel einfacher, als jeden Tag um das nackte Überleben zu kämpfen. Aber ich werde weiterkämpfen, für ein besseres Leben, irgendwann! Ich schaffe es auf die andere Seite, bevor die Girlande hinunter zur Straße segelt, jedenfalls das eine Ende davon. Ein schwerer Stein fällt mir vom Herzen. Ich bin nicht in Schussweite und bis sie hier ankommen, bin ich schon längst weg! Und das wissen sie auch, denn sie bleiben stehen und einer rauft sich frustriert die Haare unter seinem Helm. Ich laufe los, doch nach ein paar Schritten halte ich inne. Langsam drehe ich mich zu den Jägern um und winke ihnen keck zu. Dann laufe ich endgültig los, über das flache Dach und springe aufs nächste. Renne in die kurze Freiheit, bis zu meinem nächsten Verbrechen. Renne durch die nahende Nacht.