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Es quetscht alle Luft aus mir und ich müsste eigentlich nach Luft schnappen, aber ich tue es nicht. Alles scheint plötzlich wie in Watte getaucht. Jedes Geräusch ist gedämpft, jedes Aufkreischen, jede Schritte und jedes Schießen, dass in der Luft liegt. Alles sieht verschwommen aus. Jedes Gesicht das sich über mich beugt, jede mitfühlende oder verabscheute Miene. Dann setzt der Schmerz ein. Wie eine Bestie krallt er sich in meinen Arm, der seltsam verrenkt unter meinem Rücken liegt. Schmerzerfüllt zerreißt mein Schrei die Luft. Mein linker Arm fühlt sich an, als würde eine Bestie ihn zerkauen. Ihre harten Klauen daran wetzen und meinen Arm mehr als nur hundert Mal gleichzeitig zu zerkauen. Er fühlt sich so an, als wäre alles darin zertrümmert worden und wahrscheinlich ist es genau das. "Lassen Sie uns durch!" Die Stimme des Jägers lässt mich sofort alles etwas klarer wahrnehmen. Ich bin immer noch nicht außer Gefahr. Ich muss hier weg, jetzt! Keuchend fülle ich meine Lungen mit Luft und setze mich auf. Nicht ohne Schreie erhebe ich mich, halte meinen linken Arm und renne möglichst schnell davon. Mein Blickfeld beschränkt sich auf ein Minimum und ich habe das Gefühl schräg zu laufen, aber ich stoppe nicht. Jeder Schritt den ich mache, schickt einen atemberaubenden Schmerz in meinen Arm und ich beiße mir fest auf die Zähne um nicht laut los zu schreien. Jeder Schritt ist eine Qual für mich, aber jeder Schritt bringt mich auch weiter weg von den Jägern und das ist es mir wirklich wert. Also laufe ich weiter, fliehe, wie ich es schon immer tue. Nach kurzer Zeit komme ich in einer Seitengasse an und stoppe. Keuchend lehne ich mich an die Backsteinwand und atme schwer. Mein Arm pocht vor sich hin, im Einklang mit meinem Herzen. "Wo ist sie hin?!" Wütend schreit einer der Jäger. "Keine Ahnung. Hier ist sie nicht", antwortet ein Zweiter. "Mist! Diese verdammte Göre!" Ja, das bin ich wohl....verdammt und verletzt und noch in Gefahr, also weiter. Obwohl ich höre wie die Jäger immer weiter verschwinden, beeile ich mich. Mit einer Verletzung ist es als Straßenkind noch schwieriger. Wenn dich jemand angreift bist du noch verletzbarer als sonst. Du kannst kaum was machen. Kein Essen stehlen, nicht wirklich gut fliehen, nichts. Ich hoffe James konnte heute etwas ergattern! Ich halte meinen Arm weiterhin und mache mich auf dem Heimweg. Es ist erst Mittag, aber mit dem Arm kann ich sowieso nichts mehr machen.

"Diese verdammten Jäger!" Ich schrecke hoch. Seit ich hier im Unterschlupf versteckt liege, war alles still. "Ja, ich hasse sie! Uns nennen sie Abschaum und selber...pah!" Eine zweite Stimme antwortet der Ersten wütend. Ich kenne beide nicht und höre nur noch mit einem Ohr zu. Das andere lege ich auf den kühlen Boden. Der abgetragene Teppich den wir darauf ausgelegt haben, bringt kaum noch etwas. "Gestern haben sie Marilyn erwischt und heute Bethany!"

"Ich habe heute auch gesehen, wie sie einen Jungen fest genommen haben. Er war total abgemagert. Blondes Haar, blaue Augen. Ungefähr 16 Jahre alt....sie haben auch einen Namen gesagt, aber ich weiß nicht mehr genau..... Jack?...Josh...?" Meine Augen sind vor Schreck geweitet. Blondes Haar? Blaue Augen? Um die 16 Jahre? Lass es bitte nicht James sein! Bitte nicht! Bitte! "Der Arme. Ich hoffe für ihn, dass er nicht erhängt wird. Das sollen sie jetzt mal mit nem Mann gemacht haben." Alles in mir krampft sich zusammen und ein furchtbares Bild schiebt sich vor meine Augen. James, wie er tot an einem Galgen hängt. Abgemagert, dreckig. Die blonden Haare ohne Glanz, die blauen Augen geschlossen. Um den Hals einen dreckigen, blutigen Strick. Wieder ergreift mich die Panik, aber dieses Mal gewaltiger und so riesig, dass ich sie nicht irgendwo verstecken kann. Aufgewühlt hechte ich aus dem Unterschlupf raus. Vor mir stehen zwei Bettler die mich überrascht und abschätzend ansehen. "James?!" frage ich hektisch. Der Eine überlegt stark. "Ja, ich glaube so hieß er. Kennst du ihn?" Ich kann nicht antworten. Nicht mein James. Bitte. Nicht er. Das hat er nicht verdient. "Hey, es gibt viele die so heißen. Das ist ein stark verbreiteter Name, okay? Ihm geht es sicher gut, deinem James", mitfühlend sieht mich einer der Bettler an. Habe ich etwa laut geredet. Kraftlos nicke ich. "Ja, ja, ihm geht es bestimmt gut. Ein anderer James ist tot. Es gibt viele die so heißen....und so alt sind....und so aussehen.." Zweifelnd sieht der eine den Ersten an. Er versucht seinen Blick noch zu verbergen als ich aufsehe, aber ich habe ihn gesehen. Tränen steigen mir in die Augen. Wenn James tot wäre, würde ich auch nicht mehr wollen. Es war immer der Plan zusammen nach ganz oben zu kommen, alleine würde ich das nicht schaffen und nicht wollen. Wenn James tot wäre, wäre ich das auch. Dumpf nehme ich Schritte war, aber ich reagiere nicht. "A-aber....du.....hä?!" Der Erste der Bettler fängt plötzlich an zu stottern. "Oh mein Gott, ich sehe Geister...." Verwirrt sehe ich auf. Bitte?! Mit großen Augen starrt er auf etwas. Ich folge seinem Blick und sehe...."James!" Ich renne auf ihn zu und umarme ihn stürmisch. Dann lasse ich ihn wieder los und drehe ihn einmal im Kreis. Den pochenden Schmerz in meinem Arm ignorierend. "Was?!" fragt er verwirrt. "Ich dachte du....oh mein Gott. Jagt mir nicht solche Angst ein", sage ich lachend zu den Bettlern. "Aber du wurdest doch fest genommen", stottert der Bettler. "Ja, aber ich wäre nicht James, wenn ich ihnen nicht wieder entkommen wäre." Schwach lächelt er. Meins verschwindet aber gerade. "Du musst vorsichtiger sein!" Schimpfe ich und umarme ihn wieder. "Mach ich, Lis. Tut mir leid", ich nicke und er umarmt mich auch. Leider etwas zu fest. Keuchend weiche ich zurück und halte meinen linken Arm. Fragend zieht er eine Augenbraue hoch. "Sieht so aus, als hätten wir heute beide Scheiße gebaut...", murmel ich und erzähle ihm die ganze Geschichte. Seufzend wendet er sich an die Bettler. "Ähm...bis dann", sagt er, lächelt höflich und krabbelt in den Unterschlupf. Ich winke und krabbel hinterher. "Ja...äh....bis bald mal.." Damit verschwinden sie, sich leise unterhaltend. "Dann haben wir heute wohl nichts zu essen...."

"Sieht so aus...." Traurig sehe ich in seine blauen, lebendigen Augen. "Morgen", verspricht James und legt sich hin. Ich lege mich dicht neben ihn und wie Pinguine wärmen sich unsere Körper. "Nacht James."

"Nacht Lis!" Gemeinsam versinken wir im Schlaf.



Hey, ihr da draußen :-D. Und schon geht es weiter, denn ich will ja nicht, dass euch langweilig wird ;-).

Liska - dark lightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt