"Liska?" Sofort bin ich wach. Obwohl James geflüstert hat, fühlt es sich so an, als hätte er mir direkt in die Ohren gebrüllt. "Hey", sage ich leise. Meine Stimme klingt kratzig und alt. Schnell räusper ich mich. "Wie geht es deinem Arm?" Vorsichtig greift er danach, aber schon zucke ich durch den Schmerz zusammen. "Immer noch nicht so gut, aber das geht schon. Du darfst nicht alles auf dich nehmen", sage ich leise. "Lis, ich bitte dich. Mit dem Arm kannst du im Moment gar nichts machen. Ich beschaffe uns Essen und du ruhst dich aus. Wenn es deinem Arm besser geht, kannst du vorsichtig wieder anfangen, okay?" Ich nicke ergeben. "Was hast du uns denn heute beschafft?" Wiederhole ich seine Worte und sehe mich um. Mein Blick schweift über seine leeren Hände, die eingefallenen Taschen und über seinen bedauernden Gesichtsausdruck. "Du hast nichts erwischen können, oder?" Er schüttelt langsam den Kopf. Traurig streiche ich meine Haare mit dem rechten Arm zurück. "Schon okay. Geh schlafen."
"Sicher?" Ich nicke und er legt sich hin. Aus einem Auge betrachtet er mich noch lange, aber ich sehe nicht zu ihm hin. Ich bin mir sicher, dass man mir den nagenden Hunger ansehen kann und ich will nicht, dass James Schuldgefühle bekommt. "Liska?" Leise meldet er sich dann doch irgendwann zu Wort. "Hmm?"
"Es tut mir leid. Morgen bekommen wir wieder was zu essen, versprochen!" Lächelnd drehe ich mich zu ihm um. "James, ich bin jetzt 15 Jahre alt. Ich kann wohl ein paar Tage ohne Essen auskommen", lache ich. Ob das Lachen echt oder gefälscht ist, weiß nicht mal ich. Manchmal überlege ich, wer ich bin und ob man sich eigentlich wirklich ändern kann. Oder ist es einfach nur die Fassade die man ändert? Kann ein Mensch sich wirklich so verändern, dass sich auch das Innere komplett umkrempelt? Geht es, dass sich jemand so verändert, dass man ihn nicht wieder erkennt? Dass man eine andere Person wird? Kopfschüttelnd, lege ich mich auch hin und schließe die Augen. Aber ich kann noch längst nicht schlafen. Ich liege da und denke nach. Denke über das Leben nach und alles was damit zusammen hängt. Denke über James und meine Zukunft aus. Er ist mein bester Freund, ja, beinahe mein Bruder und egal wohin ich gehe, er soll immer bei mir sein. Ich glaube, dass wenn ich es schaffen könnte hoch zu kommen. Eines Tages angesehen zu werden und etwas bewirken zu können. Er aber nicht, dann würde auch ich unten bleiben. Ich würde bei ihm bleiben, wohin auch immer er geht. In den Jahren sind wir eine Einheit geworden. Er achtet auf mich, ich achte auf ihn. Zusammen schaffen wir das, das haben wir uns vorgenommen. Ich habe es ihm versprochen.....und ich halte meine Versprechen!
Am nächsten Morgen wache ich erst auf, als James schon weg ist. Ich setze mich auf und halte mir sofort Arm, Bauch und Kopf. Den Arm, weil die Verletzung sich immer noch so anfühlt, als wäre sie die Hölle persönlich, den Bauch, weil der Hunger ihn selbst auf zu essen droht und den Kopf, weil ich nach all den Jahren immer noch nicht gelernt habe, wo dieser verflixte Balken hängt. Ich glaube ich stoße meinen Kopf jeden Morgen an diesem Balken. Müsste mein Kopf da nicht schon längst resistent sein? Aber ich bin es ja auch nicht gegen Hunger, also kann ich meinen Kopf wohl oder übel nicht verklagen. Summend krabbel ich aus dem Unterschlupf und strecke meinen Körper. "Hallo Lina!" Ich sehe nach rechts und erblicke Boris und Bill. "Hey ihr zwei", sage ich grinsend. Sie kommen winkend näher. "Und ich heiße Liska", füge ich hinzu. "Stimmt ja. Liska", lacht Bill. Irgendwie scheint er ein Problem mit Namen zu haben. "Wo ist denn James?" Suchend sieht sich jetzt Boris um. Seine grüne Augen durchsuchen die ganze Gasse von oben bis unten. "Der ist schon weg. Ich kann leider nicht..." Sage ich und sehe auf meinen geschundenen Arm. "Deswegen, Laski sind wir hier", grinst Bill breit und offenbart so, seine fehlenden Zähne. "Liska", verbesser ich ihn schnell und muss leicht grinsen. "Ja ja, sagte ich doch. Jedenfalls waren wir gerade hier in der Gegend und dachten uns, wir kommen mal vorbei." Ich lächel ihn weiter freundlich an. "Gerne. So hab ich wenigstens jemanden." Sie nicken zustimmend und erwidern mein Lächeln. "Und wie geht es euch so?" Fragt Boris. "Normal. Der Hunger frisst mich beinahe von innen auf. Ich habe seit einigen Tagen nichts mehr gegessen und die Jäger werden immer mehr, sodass James nicht bekommt. Euch?" Die Bettler tauschen einen vielsagenden Blick aus und es ist dann schließlich Boris der antwortet:"Die Jäger sind in der ganzen Stadt vermehrt und schnappen immer mehr von uns. Vorgestern haben sie in der Wensington Street drei Frauen verhaftet. Die eine war Mutter mit einem Kind. Das ließen sie dort zurück. Ganz klein und verloren. Unsere Freundin Klara hat es aufgenommen, aber mit ihren sechs Jahren kann sie nicht vernünftig für ein Kind sorgen." Ich ahne schon was jetzt kommt, versuche den nahenden Gedanken aber zu verdrängen. Ein dritter Magen wäre im Moment alles andere als günstig. Aber ein Baby verhungern zu lassen, geht ja auch nicht. "Jedenfalls suchen wir seit heute Morgen eine nette Mutter, die es aufnehmen würde. Wenigstens nur auf Zeit, bis wir einen richtigen Ersatz gefunden haben und wir wollten dich fragen, ob du nicht vielleicht Lust hättest, die Kleine einige Zeit zu übernehmen? Klara ist so überfordert, sie schafft das nicht!" Bittend sehen sie mich an. "I-ich weiß nicht...Wir haben so wenig zu essen und dann auch noch meine Verletzung....findet sich denn kein anderer?"
"Nein, jeder sieht sie als Belastung an. Bitte Laura, ich schwöre dir, dass sie auch nicht lange bleibt. Wir brauchen nur etwas mehr Zeit zum suchen und du hättest eine Beschäftigung! Jemanden zum reden und ankuscheln! Jemandem mit dem du deine Zeit vertreibst und dich um sie kümmerst. Bitte, Laski, ich flehe dich an!" Beinahe panisch sieht er mich an. Die Not in seinen Augen entgeht mir nicht. Mitgefühl überrollt mich wie eine Lawine und reißt mich mit sich, aber ich kann das nicht einfach so entscheiden. Was wenn sie dann doch keine Mutter finden und ich auf ihr sitzen bleibe? Wenn sie dann der Grund ist, warum James und ich es nicht schaffen oder sogar sterben würden? Tausend Fragen schwirren in meinem Kopf und ich halte ihn mir schwer atmend. "Ich.....ich......", beginne ich stotternd. Bilder schießen mir in den Kopf. Schlimme Bilder. James und ich, tot auf dem Boden. Ein lächelndes Gruselbaby sitzt oben drauf und leckt sich die blutigen Finger ab. Keuchend sehe ich in die hoffnungsvollen Gesichter von Bill und Boris. "Ich...ich kann das nicht! Nein! Nein! Ich...ihr müsst wen anderes finden! Verschwindet! NEIN!" Überfordert fahre ich mir durch die Haare. Immer und immer wieder streiche ich sie zurück. Hole schnappartig Luft und spüre den schnellen Herzschlag unter meiner Brust. "Ich kann nicht..." Wiederhole ich verzweifelt. Enttäuschung legt sich auf die Gesichter der Bettler, als sie sich abwenden und gehen. Kurz bevor sie um die Ecke verschwinden, dreht sich Bill noch einmal um. "Du bist ihre einzige Chance, Liska!" Traurig und vor allem verzweifelt schüttel ich den Kopf und verschwinde im Unterschlupf. Bills Satz schwirrt mir hallend im Kopf herum und will einfach nicht verschwinden. "Du bist ihre einzige Chance, Liska!"
"Du bist ihre einzige Chance, Liska!"
"Du bist ihre einzige Chance, Liska!"
"Du bist ihre einzige Chance, ihre einzige Chance! Liska, ich flehe dich an, du bist ihre einzige Chance, Liska! Ihre einzige Chance! LISKA!"
Flatternd schlage ich die Augen auf. Ich liege mit der rechten Seite auf dem Boden, meinen linken Arm über meine Hüfte. Mein Kopf brummt, als hätte man mit einem Baseballschläger dagegen gehauen und noch einmal dagegen getreten. Verwirrt setze ich mich auf. Du bist ihre einzige Chance, Liska!" Sofort erinnere ich mich. Das Kind! Klara! Ich! Seufzend schließe ich die Augen, aber sobald mich eigentlich das Dunkle in Empfang nehmen sollte, sehe ich das gruselige, blutige Baby auf unseren Leichen sitzen und grinsen. Panisch schlage ich die Augen auf. Aber dort erwartet mich ja wieder die bittere Realität. Die Realität, in der ich ein Baby seinem Schicksal überlasse. Die Realität, in der ich zuerst an das Wohl von James und mir denke und es über das anderer hebe. Aber machen das nicht die Adeligen? Die, die ich so sehr verabscheue? Sollte ich nicht besser sein? Sollte ich nicht anderen helfen? Schritte nähern sich plötzlich rasend schnell dem Unterschlupf und kurz darauf, kann ich James blonden Schopf sehen. "James", rufe ich erfreut und umarme ihn, sobald er drinnen ist. "Bist du wahnsinnig?" Zischt er und drückt mir seine Hand auf den Mund. Und dann höre ich sie auch. Die Schritte haben nicht aufgehört. Irgendwer hatte James verfolgt und ich wette ich weiß wer. "Jäger", zische ich durch seine Hand. Stumm nickt er. Leise verharren wir in der Position und warten, bis die Schritte verklungen sind. Erst dann nimmt er seine Hand von meinem Mund. "Schau mal was ich hier habe", singt er schief und holt ein extrem langes, helles Brot hinter seinem Rücken hervor. Verwirrt lege ich meinen Kopf schief. "Welcher Bäcker hat das denn gebacken?" Lachend legt James es auf dem Teppich ab. Dreckig wird es ja sowieso irgendwann. "Das ist extra so." Meine Augen weiten sich verwundert. "Echt? Seit wann gibt es ellenlange, dünne Brote?"
"Die nennt man wohl Bagät oder so..." Jetzt heben sich meine Augenbrauen. "Bagät?" Er nickt stolz. "Hab es einer Adeligen aus dem Korb gestohlen. Die hat sich vielleicht aufgeregt! Du hättest mal sehen sollen, wie die aussah. Streng, Hakennase und komplett in Pink. Ich wollte schon fragen, ob ihr Schlüpfer die gleiche Farbe hat!" Lachend hält sich James den Bauch. Auch ich muss grinsen, aber meine Gedanken liegen immer noch beim Baby. Sollte ich es James erzählen? Oder es ruhen lassen?
Hey ihr Verrückten da draußen :), das ist jetzt die weiter Entwicklung. Was meint ihr? Soll sie es ihm sagen oder das besser für sich behalten? Ich hab schon ein paar richtig süße Ideen, aber ich will euch ja nichts vorweg nehmen, also.......Was meint ihr? Und was haltet ihr überhaupt von der Idee ^^ ?
Würde mich über Feedback sehr freuen :) und natürlich wenn ihr für mich einmal dieses kleine süße Sternchen drücken würdet. Dankeschön ;-)