vierzehn / fourteen / quatorze
Während die Kälte des Regens bis zu meinen Knochen vordringt und mich langsam anfängt zu lähmen, laufen wir zurück zu der Klinik.
Savannah mit ihrer Infusionsstange in der Hand und ich mit meiner Kapuze tief in mein Gesicht gezogen. Und dennoch fühle ich mich anders. Erfüllter, und vielleicht nicht mehr ganz so leer.
Jedoch wird mir klar, dass es Ärger geben wird, als uns die erste Krankenschwester, die uns entgegenkommt, anspricht und Savannah sofort hochschickt. Mit einem Grinsen im Gesicht läuft sie zum Aufzug, während ich ihr verwirrt folge.
„Ich habe schon lange nicht mehr etwas derartig Vebotenes getan", meint sie, aber ihre Stimme hört sich trotz ihres Grinsens stumpf an.
„Das wird Ärger geben. Sie haben es also doch herausgefunden", murmele ich und drücke auf die leuchtende Zahl. Die schweren Türen schließen sich und grässliche Aufzugmusik ertönt.
„Also bitte, ich habe eine beschissene Kamera in meinem Zimmer. Die überwachen ihre Patienten doch krankhaft übertrieben", antwortet sie und ich stimme ihr zu.
Als wir den Gang betreten, sehe ich schon meine Mutter auf uns zulaufen, ja schon fast halb rennen, und ihr Gesicht ist verzerrt. Super Austin, daheim kannst du dir erstmal eine Portion Gürtelschläge und noch mehr Stress, als du sowieso schon hast, abholen.
Energisch sperrt sie die Eingangstür auf und funkelt mich wütend an. „Wo zur Hölle kommt ihr her? Was fällt euch ein, einfach so zu gehen?"
Ihr Blick fällt auf die durchnässte Savannah, die immer noch breit grinst. „Fräulein, du bist auf der Geschlossenen. Weißt du, was das heißt? Du darfst nicht einfach rausspazieren wenn du Lust darauf hast. Deine Eltern bezahlen uns dafür, dass du geschützt wirst", zischt sie. Savannah sieht die abschätzend an und lacht dann verächtlich auf.
„Das beschissene Geld von meinen Eltern können Sie sich in Ihren fetten Hintern stecken. Ich bin keine Gefangene, und ich lasse mir auch sicherlich nichts von Leuten wie Ihnen sagen", antwortet sie kalt und drängt sich an meiner Mutter vorbei. Sprachlos sieht ihr Mum hinterher, auch ich schaue ihr stumm nach.
Savannah ist komisch. Wie ein Messer, wenn du nicht aufpasst, schneidest du dich an ihr. Und Mum ist gerade volle Kanne in sie hineingerannt, die Quittung dafür ist eine klaffende Wunde. Denn die Figur war für sie eines der schlimmsten Themen, ein wunder Punkt, mit dem man sie immer treffen kann.
Nachdem sie den kleinen Schock überwunden hat, den ihr Savannah bereitet hat, schien ihr wieder einzufallen, dass ich auch noch anwesend war und etwas zu dem kleinen Ausflug beigetragen habe. Und wie immer sammelt sie all ihre Wut zusammen und lässt sie an mir aus.
„Bist du eigentlich völlig bescheuert?", sie holt kurz Luft und wird rot wie eine Tomate. Ein Zeichen, dass sie schon weit über 180 ist.
„Wie kannst du einfach mit einer Patientin hier rauslaufen, trotz meines Verbotes und trotz den Regeln hier im Krankenhaus? Es hätte sonstwas passieren können!"
Ja. Sie hätte von einem Auto überfahren werden können, hätte mitten auf dem Weg vor lauter Anstrengung zusammenbrechen, oder direkt neben mir verrecken können. Aber hast du es denn nicht gesehen Mum? Sie hat gelächelt. Ihre Augen haben geglänzt, verdammte scheiße. Sie haben dich nicht erfrieren lassen, das Eis in ihnen ist geschmolzen. Und du hast diesen verdammt großen Fortschritt nicht einmal bemerkt, nein, du hast dafür gesorgt, dass sie sich wieder verzieht.
„Sie wird noch verrückt hier drinnen, merkst du das denn nicht?", antworte ich ihr kalt und meine Mutter rollt mit den Augen.
„Austin, merkst DU denn nichts? Sie ist schon verrückt."
Ich blicke meine Mutter fassungslos an, auch sie scheint ihre Aussage kurz zu bereuen, denn ein kleines Fünkchen Reue erscheint in ihren Augen. Doch kurz darauf schüttelt sie kurz den Kopf, als wolle sie den Gedanken loswerden, und sieht mich dann wieder fest an.
„Ich will, dass du deinen Schlüssel abgibst, Austin. Ich will dich hier nicht mehr haben. Es war von Anfang an ein Fehler, dich hier her zu bringen, du bleibst sowieso wie dein Vater. Los, gib mir den Schlüssel und hau ab. Das Auslandsjahr ist hiermit für dich gestrichen und diese Station wirst du nicht mehr betreten, verstanden?", sagt sie mit einer ruhigen, aber dennoch zittrigen Stimme.
Fassungslos starre ich sie an, mein Herz beginnt zu rasen. Ihre Worte hallen in meinem Kopf wie ein Echo.
„Ist das dein Ernst?", frage ich rhetorisch, obwohl ich weiß, dass diskutieren nichts bringt.
„Mein voller Ernst." Ihre Lippen sind zu einer Linie zusammengepresst und sie sieht mich an, als würde sie mich am liebsten umbringen wollen.
Wut steigt in mir auf, Wut auf sie, auf ihr Gesagtes, auf ihre Handlung.
Energisch krame ich nach meinem Schlüsselanhänger und reiße die zum Krankenhaus dazugehörigen Schlüssel ab. Wütend knalle ich sie ihr entgegen und Mum hat Mühe damit, sie zu fangen.
„Viel Spaß damit", zische ich und will mich gerade umdrehen, als sie noch einmal ansetzt.
„Ach ja, ich möchte auch nicht, dass du weiterhin Kontakt mit diesem Mädchen hast, das ist dir bewusst, oder? Sie scheint deinem Verhalten nicht gut zu tun."
Ich erstarre und will mir gerade eine Antwort überlegen, als ich die Tür hinter mir schon bereits zuknallen höre. Aggressionen stauen sich auf und ich stürme zum Treppenhaus und renne runter zum Ausgang.
Draußen angekommen kicke ich mit einem lauten Schrei gegen die Hauswand und muss mir sogar die Tränen verkneifen.
Binnen weniger Sekunden wurde mir alles genommen. Alles, was mir in letzter Zeit etwas bedeutet hat. Mein größter Traum, endlich meinen Vater wieder sehen zu können, der sich seit Jahren nicht mehr gemeldet hat. Und auch wenn ich es am Anfang nicht machen wollte und es eher nur Pflicht war, auch ein Job.
Und vielleicht sogar die Möglichkeit, mit jemanden Kontakt zu haben, der endlich einen kleinen Freundeskreis für mich darstellen könnte. Einen Freundin, dessen Freundschaftsbasis nicht aus Lügen und Hinterhältigkeit besteht.Mit einem Hass auf die Welt, auf meine Mutter und auf mich drehe ich mich um und laufe in Richtung nirgendwo.
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Savannah
Teen FictionAustin ist verzweifelt, auf Kriegsfuß mit seiner Mutter und zu von ihr persönlich zugestellten Sozialstunden auf einer Krankenhausstation, die sich mit Suizidgefährdeten und Magesüchtigen beschäftigt, verdammt. Er wird konfrontiert mit Personen, die...