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siebenundzwanzig / twenty-seven / vingt-sept.-

Unsicher betrete ich das große Haus und sehe mich um. Es ist alles sehr modern eingerichtet und blitzeblank sauber. Kaum zu vergleichen mit Mums und meinem Haus.

„Ah, Austin?", ertönt eine weibliche Stimme aus irgendeinem Raum und ich bleibe verdattert stehen. Eine blonde Frau mit einer Schürze und zusammengeknoteten Haaren erscheint im Türrahmen neben mir und lächelt mich an. Verdutzt mustere ich die neue Freundin, oder besser gesagt Frau, meines Vaters.

Bevor ich reagieren kann, schließt mich das kleine, zierliche Wesen in eine Umarmung, die ich zögernd annehme. Sie riecht etwas aufdringlich nach Rosen.

„Ja Austin, das ist meine neue Lebensgefährtin. Ihr Name ist Marie und sie möchte auch so genannt werden", erklärt mir mein Vater, der mit dem Koffer in der Hand neben mir auftaucht.

„Marie hatte Englischunterricht in der Schule, sie kann mehr oder weniger flüssig Englisch sprechen, genauso wie ihre Tochter Gina. Hier ist es ein Hauptfach, weißt du?", meint Dad und ich nicke zögernd.

Er spricht kurz mit Marie, auf Deutsch, sodass ich es nicht verstehen kann. Schlagartig fühle ich mich Fehl am Platz.

„Du kannst dich in die Küche setzen, die Mädchen kommen gleich", sagt Dad und ich befolge seine Anweisung. Zögernd laufe ich Marie hinterher und lasse mich auf einen Stuhl in der, ebenfalls riesigen und schönen, Küche fallen.

„Wie war der Flug? Ich habe gehört, dass du nur selten geflogen bist?", fragt Marie und man hört einen leichten Akzent aus ihrem Englisch heraus.

Ich zwinge mir ein Lächeln auf. „Das war das zweite Mal. Es war ganz okay, ich habe komischerweise durchgeschlafen", antworte ich ihr höflich und sie lacht kurz.

„Na dann wünsche ich dir viel Spaß mit deinem Jetlag", provokant lächelt sie mich an.

Ich muss zugeben, dass sie nicht übel ist, aber dennoch ist sie mir nicht wirklich symphatisch.

Ich wollte gerade etwas erwidern, als zwei Mädchen inklusive mein Vater den Raum betreten. Die Ältere mit langen, dunkelbraunen Haaren, sieht mich desinteressiert an und ich kann ihr ansehen, dass sie wahrscheinlich so gut wie keine Lust auf mich und der Austauschsache hat.

„Das ist Gina und die Kleine hier ist Emely", stellt mein Vater die beiden vor. Mein Blick fällt auf meine kleine Halbschwester, die ein wenig aussieht wie ihre Mutter, nur in klein und jung.

Sie sagt etwas, was ich nicht verstehen kann und mein Vater antwortet ebenfalls auf Deutsch.

„Sie kann noch kein Englisch. Das lernt man hier erst ab der Unterstufe und sie geht noch in den Kindergarten", erklärt mir Marie, nachdem ich recht hilflos dreingeblickt haben muss.

„Kannst du Deutsch?", fragt mich Gina und ich verneine. Vielleicht hätte ich mir vor dem Aufenthalt mal einen Deutschduden anlegen sollen.

„Ein paar von Ginas Freundinnen sind da. Vielleicht lernst du sie ja mal kennen, dann bist du in der Schule nicht ganz so alleine", meint Marie und ich nicke langsam.

„Ich zeige ihm zuerst sein Zimmer und dann kann er ja mal zu uns", wirft Gina ein und deutet mir, ihr zu folgen.

„Dein Koffer müsste bereits oben sein", sagt sie und führt mich durch den riesigen Gang zu einer Zimmertür. Schnell öffnet sie diese und macht eine einladende Geste.

„Meins ist nebenan. Da kannst du ja hinkommen, wenn du fertig bist. Meine Freundinnen Isabell und Natalie sind da und sie freuen sich ziemlich darauf, dich kennenzulernen", lachend dreht sie sich um und läuft zu ihrem Zimmer, während ich einen Blick in mein Vorübergehendes werfe.

Es ist schlicht, aber dennoch modern eingerichtet. Die Farben grau und weiß dominieren und irgendwie erinnert mich der Raum an die Klinik.

Seufzend hebe ich meinen Koffer auf mein Bett und beschließe, ihn erst heute Abend auszupacken, um nicht gelangweilt rumsitze zu müssen, während ich am Jetlag sterbe.

Nach wenigen Minuten rappel ich mich schließlich dazu auf, Gina zu folgen und ihr und ihren Freundinnen Gesellschaft zu leisten. Etwas nervös klopfe ich kurz, bevor ich eintrete.

Ginas Zimmer wirkt auf den ersten Blick etwas gemütlicher und nicht ganz so kalt wie das, in dem ich untergebracht wurde. Die Wände sind mit Fotos zutapeziert und in der Mitte des Raumes liegt sie mit zwei weiteren Brünetten auf den Boden.

Gespannt blicken sie mich an, während ich ratlos dranstehe. Eine von den beiden Freundinnen sagt etwas auf Deutsch, dass anscheinend an mich gerichtet ist.

„Er kann kein Deutsch, du Idiot", fährt Gina sie an und sie winkt mich in das Zimmer.

„Ups, das habe ich ganz vergessen. Ich bin Natalie", stellt sie sich vor und lächelt mich an. Ihr Englisch ist etwas unsicher, aber dennoch verständlich.

„Das da ist Isabell", wirft Gina noch ein und zeigt auf die andere, die mich stumm lächelnd anblickt.

„Setz dich doch!", befiehlt mir Natalie und klopft auf den Boden. „Wie alt bist du? Woher kommst du?", bombadiert sie mich und Gina und Isabell lachen auf.

„Natalie, du verscheuchst ihn in der ersten Runde", meint Gina und ich grinse kurz, bevor ich ihr antworte. Ein lockeres Gespräch entsteht und alle drei sind mir symphatisch, auch wenn Isabell sich etwas zurückhält mit den Fragen.

„Und jetzt die Fragen aller Fragen", schelmisch blickt Natalie mich an. „Hast du eine Freundin?"

Gina stöhnt genervt auf, sagt etwas auf Deutsch zu ihr und schlägt ihr spielerisch gegen die Schulter. Diese aber rollt nur mit den Augen und grinst mich an.

Zögernd suche ich nach einer Antwort. Schlagartig fällt mir ein, dass ich WLAN bräuchte, um zu gucken, ob Nachrichten von Savannah eingegangen sind. Was sie wohl gerade tut?

„Er zögert. Er hat eine", analysiert Gina und Natali seufzt enttäuscht. „Game over, Nat.", lachend steht Gina auf, um sich etwas zu trinken zu holen.

Verwirrt sehe ich sie an. „Ich habe keine Freundin."

„Aber dafür jemanden, der es sein könnte. Aus Respekt halte ich mich deshalb mit meinen Verkupplungskünsten zurück", witzelt Natalie.

„Es gibt auch niemanden", streite ich ab und sie steht kurzerhand auf und gibt mir einen Nackenklatscher. „Lüg nicht, Mister. Ich sehe es dir an."

„Nat, der Liebesengel", lacht Isabell und Gina stimmt mit ein.

„Hey, es ist immer schwer, sich die Wahrheit einzugestehen, sie ist meistens ziemlich hässlich", antwortet diese mit einem Schmollmund.

Verwundert sehe ich sie an und reibe mir den Nacken. Und während die anderen über Isabells Spruch lachen, fällt mir auf, dass ich vielleicht der zersplitterten Liebesgeschichte endlich ins Auge sehen sollte. Wenn die Wahrheit hässlich ist, könnten Savannah und ich die zwei schönsten Lügen werden.

SavannahWo Geschichten leben. Entdecke jetzt