Chroniken der Erzengel - Weihnachtsgeschichte Teil 2

2.6K 208 26
                                    

Teil 2: Engel

Jasmins Sicht:

Innerhalb einer halben Stunde waren alle geladenen Gäste erschienen. Jetzt saßen auf unseren Sofas Raphael und Cammi, Maman und ihr Freund, meine leiblichen Eltern, bei den ich mir die amerikanische Bezeichnung angewöhnt hatte, Uriel und Samira, sowie Gabriel und ich. Der Weihnachtsbaum, den wir vorgestern aus dem Wald geholt hatten – Gabriel hatte darauf bestanden, dass wir ihn selbst schlagen müssten – strahlte mit roten Kugeln und einer langen Lichterkette, die Gabriel zum Glück mit einer seiner Gaben an den Christbaum geheftet hatte.

Meine Gaben benutzte ich seit dem Vorfall mit Michael nur noch sehr selten. Ab und zu, damit ich es nicht ganz verlernte, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Es gab immer noch einige Nächte, in denen ich schweißüberströmt aufwachte, weil ich die Erlebnisse wieder im Traum durchlebte. Nach und nach waren Erinnerungen an die Momente zurückgekehrt, als ich Michael gegrillt hatte. Seitdem wünschte ich mir das Vergessen wieder her, denn ich erkannte mich selbst in diesen Erinnerungen nicht mehr. Es war als hätte man mich mit einer anderen Person ausgewechselt.

„Das Essen ist fertig", verkündete Marissa und riss mich damit aus meinen trüben Gedanken, die so gar nichts mit Weihnachten zu tun hatten.

Gabriel reichte mir lächelnd die Hand und zog mich in Richtung Esstisch, der so verlängert worden war, dass wir alle daran Platz hatten. „Es freut uns sehr, dass ihr unserer Einladung gefolgt seid", begann ich, wurde jedoch sofort von Raphael unterbrochen.

„Jasmin, nicht so formell. Wir sind hier nicht bei einem Geschäftsessen."

Ich versuchte ihm einen wütenden Blick zuzuwerfen, doch meine Mundwinkel wanderten unweigerlich nach oben. „Frohe Weihnachten wünsche ich euch allen", sagte ich also nur noch, womit ich den Großteil meiner extra hierfür geschriebenen Rede übersprang.

Mir echote ein frohe Weihnachten entgegen, während Marissa den ersten Gang servierte. Gabriel und ich grinsten uns kurz an, da wir beide daran dachten, als wir mit unserer Haushälterin das Menü geplant hatten. Aus den geplanten drei Gängen waren vier geworden, weil wir uns einfach nicht zwischen einer Suppe und einem Salat als Vorspeise entscheiden konnten. Jetzt gab es eben beides.

Mein Freund hatte auf eine Kokos-Zitronengras-Suppe bestanden, was ich immer noch als eine sehr gewagte Mischung ansah. Aus diesem Grund beäugte ich auch den Teller vor mir mehr als skeptisch, bevor ich nach dem Löffel griff. „Ich bin mir sicher, sie wird dir schmecken", schlich sich Gabriel in meine Gedanken ein.

Das hatte er in der letzten Woche schon oft gesagt, aber so richtig glauben konnte ich es ihm noch nicht. Erst wollte ich mich selbst davon überzeugen. Ehe ich den Löffel zum Mund führte, ließ ich meinen Blick den Tisch entlang wandern. Alle aßen ihre Suppe und bei keinem konnte ich Anzeichen entdecken, dass es ihnen nicht schmeckte.

Und so war es dann auch. Diese ungewöhnliche Kombination machte das Gericht zur besten Suppe, die ich jemals gekostet hatte und ich war eigentlich kein Fan von Suppen.

Na, schmeckt es?", wollte Gabriel neckisch in meinem Kopf wissen. Seine blauen Augen glitzerten schelmisch, während er mich ganz genau beobachtete.

Als Antwort nickte ich nur, da man eigentlich nicht mehr dazu sagen musste.

Während dem Essen unterhielten wir uns über unwichtige Dingen, denn wir hatten den Erzengeln das Versprechen abgenommen, dass an Weihnachten kein Wort über die Probleme fallen würde, die der Umbruch nach dem Krieg mit Michael zur Folge gehabt hatte. Die vier hatten sich einen Tag verdient, an dem sie sich auch ein Mal ausruhen konnten und nicht an die Gruppierungen denken mussten, die gegen die Macht der Erzengel aufbegehrten.

One Shots, Kurzgeschichten und ähnlichesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt