Es war ein kühler Montagabend im November, als ich beschloss, der kalten Stille in meinem Elternhaus zu entgehen.
Der Ort, wo wir lebten, war nicht besonders groß, weshalb ich schnell einen Trampelpfad fand, der sich zwischen den umliegenden Äckern einen Weg bahnte.
Die Ortsbeleuchtungen rückten nach und nach in die Ferne und das einzige Licht spendete die untergehende Sonne. Ich versuchte mit meiner Handy Kamera den rosagefärbten Himmel einzufangen und fragte mich dabei, wie die unterschiedlichen Himmelsfarben entstehen können. Schon immer hatten Sonnenuntergänge mir gegenüber eine magische Anziehungskraft und heute, wie ich hier auf dem Feld stand, spürte ich diese ganz deutlich.
Wie von selbst setzten sich meine Füße in Bewegung und schlugen die Richtung nach Westen ein. Auch wenn es unmöglich war, irgendwann den Sonnenuntergang zu erreichen, ließ mich dieser Gedanke nicht los.
Der Regen in den letzten Tagen hatte für viel Matsch gesorgt und meine Schuhe schmatzten bei jedem Schritt.
Der kalte Wind kroch mir in den Nacken und strich über meinen Rücken, wo eine Gänsehaut zurück blieb.Ich hielt Ausschau nach einer Wiese, die höher gelegen war als ihr Umfeld, um genug Zeit zu haben, Fremde zu erspähen. Ich könnte dort liegen und dem Universum nah sein.
Doch um mich herum breiteten sich nur Äcker aus und zu meiner Linken lag ein Wald, der in die Schwärze der Nacht getaucht war.
Mit Unbehagen setzte ich meinen Weg auf einer Straße fort. Der Weg war von einem Bach und Büschen gesäumt, zu denen ich mich immer wieder aufmerksam umdrehte.
Erst jetzt bemerkte ich, wie leise es war. Kein Vogelgezwitscher und kein Rascheln, nur meine Schritte auf dem Asphalt.
In diesem Augenblick wünschte ich mir, ein Indianer zu sein. Wie konnten sie nur so geräuschlos einen Fuß vor den anderen setzen? Zwar gab es in ihren Geschichten keine geteerten Straßen, doch auch auf dem Feld verursachten meine Schritte ein verräterisches Geräusch.
Als ich von meinen Füßen aufblickte und dem Bachlauf mit meinem Blick folgte, entdeckte ich auf seiner Rechten einen Hochsitz.
Und da keine Wiese in Sicht war, entschied mein Gehirn kurzerhand über den Graben zu springen. Ich sprang - die Gummistiefel rutschten ab und ich landete mit dem Po im Wasser.
Wärst du lieber zu Hause geblieben, bei all den geliebten Leuten, bedankte ich mich bei meinem Hirn. Es antwortete mit einem Ziehen im Rücken, als ich versuchte aufzustehen. Na super.
Vorsichtig lehnte ich mich an dem Erdhang an und schaute hinauf zu den Sternen. Ein paar vereinzelte Wolken hatten sich gebildet und bildeten verschiedene Figuren am Himmel. Eine Blume. Einen Bierkrug. Eine Ente.
Vielleicht könnte ich Zuhause anrufen. Doch wie konnte ich ihnen erklären, wo ich war? Ich wusste es selber nicht. Folgt dem Wasser. Na super. Es gab wahrscheinlich tausend Bäche hier.
Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass es um acht war. Dann ertönte ein Piepsen und der Akku verkündete, dass es zu spät für einen Anruf Zuhause war. Das Gerät schaltete sich aus. Dann war meine Überlegung wohl geklärt. Außerdem wollte ich mich nicht von meinen Eltern retten lassen. Nicht in dieser Situation, denn das wäre mehr als demütigend. Ich kam gut alleine klar.
Ich zog meine Kapuze auf, um auch meinem Kopf die Möglichkeit zu geben, sich an der Bachböschung anzulehnen. Mein Blick fiel wieder auf den Jägersitz. Da ich unfähig war aufzustehen, blieb ich liegen.
Der Bach führte nicht besonders viel Wasser, weshalb nur mein Po durchnässt werden würde. Kurz nach diesem Gedanken schlief ich ein. Die Rehe im Nacken.
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Der Hochsitz
Short StoryEs war ein kühler Morgen, ohne Freude und Licht. Nur Trübsinn und Schweigen. Am Rande eines Feldes stand ein Mädchen, das nach Leben suchte. Ihrem Leben. Und dann gab es da diesen Jägersitz im Schatten der Bäume. Es war der erste Morgen der Endlosi...