With an empty heart

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Die ganze Fahrt zum Supermarkt musste Harry grinsen. Was für ein cooler Morgen! Er schmiss schnell alles Mögliche in den Einkaufswagen, um nicht zu viel Zeit zu vertrödeln. Außer beim Käsestand, da überlegte er lange und liess sich beraten. An der Kasse entdeckte er Kaugummis, an denen als Zugabe ein Plastikring aus Silber hing, und er legte eine Packung auf's Band.

Zuhause hatte sein unerwarteter Besuch bereits den Tisch gedeckt. Während des ausgiebigen Frühstücks erzählte Birgit ihm von sich. Sie arbeitete als Buchhalterin im Geschäft ihres Vaters, der eine Gärtnerei und zwei Geschäfte besaß. Nun hatte sie sich drei Monate Sonderurlaub genommen und nach England gereist, um möglichst viel über ihre Tante und den Selbstmord heraus zu finden. Birgit seufzte:

„Bridget war immer die verrückte Aussenseiterin in der Familie gewesen. Bis auf meine Mum und ihren leiblichen Vater gab es niemanden, der sie akzeptiert hat. Ich habe sie nur ein einziges Mal getroffen, ich war damals acht Jahre alt und wir besuchten Gran hier in England. Meine Tante sah schlimm aus, völlig abgemagert. Gran machte sie ständig nieder, weil sie noch keinen Mann hatte, keinen Job und so weiter. Und dann dieser Stiefvater, den alle nur Mr. Barlow nannten. Er war ekelhaft und wollte mich dauernd antatschen. Es war mir alles total unheimlich." 

„Das heißt, du weißt kaum etwas über deine Tante?" fragte Harry kauend.

Sie schüttelte den Kopf.

„Nur wenig. Als wir kurz nach unserem Besuch hörten, dass sie im Hillside aufgenommen wurde, hatte ich ihr geschrieben, weil sie mir irgendwie leid getan hatte. Daraus wurde ein regelmäßiger Briefkontakt, der sich bis zu ihrem Tod gehalten hat. Sie schrieb selten, aber das machte mir nichts aus. Durch ihre Briefe weiß ich, dass...ach, vielleicht möchtest du die Briefe lesen? Ich habe sie dabei. Sie sind im Hotel."

Harry nickte:

„Gerne. Du kommst ja kaum zum Essen vor lauter Erzählen. Wir haben noch viel vor, vergiss das nicht..."

Sie lächelte ihn an. Nach einer Weile lehnte sie sich zurück und sagte:

„Puh, das war echt nötig. Danke, Harry."

„Nichts zu danken. Du hast meine Küche auf Vordermann gebracht und mich auch. Ich bin froh, dass du hier aufgekreuzt bist!"

„Hm. Aber ich bin doch eine Wildfremde. Und du hast mich einfach reingelassen und hilfst mir."

Sollte er ihr sagen, dass er zwischen ihnen eine alte Verbindung spürte und dass es deshalb so war? Anscheinend merkte Birgit das nicht. Er antwortete:

„Weißt du, ich glaube auch, dass hier noch Erinnerungen an das Hillside Asylum herum schweben und ich bin genauso scharf darauf, mehr darüber heraus zu finden, wie du."

"Da habe ich ja wirklich Glück gehabt, dass du das Haus gekauft hast! Hey, ich würde gerne den See besuchen, in dem Bridget ertrunken ist. Können wir vielleicht ein bisschen spazieren gehen?"

Harry verzog das Gesicht.

„Der ist ziemlich weit weg. Und es ist echt ungemütlich draußen..."

Birgit nickte verstehend.

„Dann lieber ein anderes Mal. Bridget hatte mir von einer Gartenlaube geschrieben, in die sie sich immer zurück gezogen hatte...vielleicht gibt es die noch?"

„Ja. Sie ist morsch und zu gewuchert, aber komm, ich zeig sie dir." antwortete er.

Der Sturm tobte immer noch und sie kämpften sich durch vertrocknete Büsche. Birgit schüttelte den Kopf.

„Warum hat dieser Deacon hier alles so verkommen lassen?" rief sie gegen den Sturm an.

Harry zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung, vielleicht war's ihm wichtiger, drinnen alles in Ordnung zu bringen. Er war seit zehn Jahren nicht mehr hier gewesen." antwortete er laut.

„Wie konnte er nur! Dieser Garten braucht nur ein bisschen Liebe und er wird wunderschön werden!" seufzte Birgit und blieb vor der Gartenlaube stehen.

„Ist es bei Menschen nicht auch so?" lächelte Harry.

Birgit schaute ihn an.

„Mag sein, aber du hast das echt nicht mehr nötig."

Er zog eine Flunsch.

„Das heißt, ich habe keine Liebe nötig?"

„Jedenfalls keine, durch die du schöner wirst. Du bist schon sehr attraktiv, und noch mehr würde echt gegen die Genfer Konventionen verstoßen!" lächelte sie.

„Also wirst du mich nicht aus Liebe heiraten?"

„Doch. Aus Liebe zu diesem Garten." grinste sie.

„Warum bist du eigentlich noch nicht verheiratet?" fragte Harry neugierig.

„Lange Geschichte. Hey, schau mal hier..."

Harry stellte sich hinter die fröstelnde Frau und lehnte sich vor, sodass er sie fast berührte. Sie zeigte auf eine Gravur in einem Holzbalken.

„B&H" stand dort, darum ein Herz gemalt.

Plötzlich rüttelte eine Windboe so heftig an der Laube, dass Birgit nach vorne kippte. Harry griff nach ihr und der Wind machte ein Geräusch, welches sich wie ein erzürnter Schrei anhörte. Es knarzte über ihnen, doch bevor das lose Brett auf die beiden runterstürzen konnte, hatte Harry Birgit schnell aus der Laube gezogen. Die dunkelhaarige Frau zitterte am ganzen Körper, während Harry vorweg lief und sie hinter sich her zog. Der Orkan tobte und schleuderte ihnen Äste und Dornen ins Gesicht, beide hielten sich den freien Arm vor das Gesicht. Plötzlich stolperte Harry über eine Wurzel und musste Birgit loslassen, sonst wäre sie mit ihm gefallen. Während er sich aufrappelte, konnte er beobachten, wie sich eine vertrocknete Rosenranke um Birgits Hals wickelte. Sie riss ihre Augen auf, griff nach der Ranke, stolperte nach hinten und wurde vom Dickicht verschluckt. Trotz der Mittagsstunde war es stockdunkel. Harry sprang auf und schlug, ohne darüber nach zu denken, die Büsche aus dem Weg. Voller Panik verfluchte er seine Idee, in den Garten gegangen zu sein und rannte ziellos durch das vertrocknete Labyrinth. Sein Atem ging schnell, das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er rief nach Birgit, doch es kam keine Antwort. Sie war verschwunden. Dann wurde es heller, die Wolkendecke brach auf und Stille legte sich über den Garten. Doch es war eine unheimliche Stille, die nichts Gutes verriet. Und plötzlich sah er die Frau, die gerade erst in sein Leben getreten war. Ihre starren, leeren Augen blickten ihm entgegen, sie war mit einem Draht aufrecht an einen Baum gefesselt.

Harry schrie so laut, dass einige Vögel erschreckt aufflatterten.

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