Bis dass der Tod uns scheidet

⭐ Marlene ↪ Jasper ⭐

Geliebter Sohn.

Ich bete zu Gott, du mögest nicht verstorben sein, bei dem so grausamen Unfall. Man erzählte mir, du warst auf dem Heimweg, auf dem Rad, natürlich, und hättest das Auto übersehen, welches dir die Vorfahrt nahm. Ach, mein Sohn, ich bin mir so sicher, da stimmt etwas nicht. Ich bin nur am Überlegen, was das sein könnte. Nur bin ich zu alt, um Detektiv zu spielen. Wie sollte ich mich denn auf ein Buch oder einen Film konzentrieren können, während du augenscheinlich tot bist?
Ich weiß ganz genau, du würdest deine so geliebte Freundin nicht zurücklassen. Nicht freiwillig. Denn du erzähltest mir vor langer, langer Zeit, als unser Verhältnis noch besser war, du würdest sie mehr als dein eigenes Leben lieben. Du würdest deines sogar aufgeben, für sie. Deshalb brachst du auch den Kontakt zu mir ab, weil ich sie nicht leiden mag. Aber jetzt tut sie mir leid. Sie liebte dich mindestens genauso doll wie du sie, sonst hätte sie nicht zwei ganze Tage lang mit selbst organisierten Suchtrupps den Wald durchsucht, in dem man dich zuletzt sah.
Ach, geliebter Sohn, ich brauche deine Nähe, deine Wärme. Ich will dir zeigen, dass ich, trotz all meinen Fehlern, deine Mutter bin und es auch immer bleiben werde. Auch wenn du das anders siehst. Wie gerne würde ich die Zeit zurückdrehen und meine schwerwiegensten Fehler glatt bügeln. Zum Beispiel der, dass ich andauernd Treffen mit Jungs organisiert habe, mit denen du dich überhaupt nicht verstanden hast. Bloß, weil ich die Mütter sympathisch fand.
Es tut mir auch so unsagbar leid, dein SMS und E-Mails gelesen zu haben. Ich würde mir doch selbst nicht verzeihen.
Und jetzt sollst du verstorben sein, ohne dich mit mir versöhnt zu haben? Das lasse ich nicht zu.

In Liebe
Deine dich liebende Mum