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Kapitel 1 - Kacktusse

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»Ist das dein Ernst, Fräulein?!«

Meine Mutter schaute von dem Zettel auf, den sie mir aus der Hand gerissen hatte, und ihre Augen blitzten unheilverkündend. 

Sofort setzte ich ein zerknirschtes Gesicht auf und steckte die Kappe auf den dicken Filzstift, um ihn unauffällig über die Tischplatte zu meinem Federmäppchen zu schieben, gerade so, als wäre ich nicht eben auf frischer Tat ertappt worden.

»Ähm ...«

Ihre Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepresst, während sie auf meine Erklärung wartete, und ihr Fuß wippte ungeduldig. Ich wusste, dass ich mich gerade auf einem Minenfeld befand, und seufzte ergeben. 

Egal, was ich jetzt sagte, es wäre ganz bestimmt das Falsche. 

Das war nämlich eines meiner seltenen Talente. Die falschen Worte zu wählen, meine ich. 

Genauso wie im falschen Moment irgendwo aufzutauchen oder loszulachen. 

Manchmal musste ich einfach im dümmsten Moment an einen Witz denken, und die Bilder in meinem Kopf waren so lebendig, dass ich nicht anders als losprusten konnte. Nur um dann zu merken, dass der Pfarrer aufgehört hatte zu reden und sämtliche Trauergäste mich anstarrten. 

Zugegeben, nicht der glorreichste Moment in meinem Leben.

Tante Missa hatte fast einen Herzinfarkt bekommen und verschluckte sich vor Schreck an den Oliven, die sie vom Buffet gemopst hatte, weil wir bei der langen Rede fast verhungerten. Sie gab krächzende Geräusche von sich, während sie mich mit Blicken erdolchte, und ich bekam fast einen Lachkrampf, weil dabei der Vogel auf ihrem monströsen Hut auf und ab wippte. 

Es war zum Schreien komisch gewesen, aber Cousine Ines sprach seit dem Vorfall kein Wort mehr mit mir.

Der Zettel, den meine Mutter mir nun also ins Gesicht hielt, war gewissermaßen der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Aber meine Worte würden so was wie ein Roundhouse-Kick sein, der das Fass ins nächste Fettnäpfchen beförderte.

»Sara? Ich habe dir eine Frage gestellt!«

Ich lächelte gewinnbringend, aber ich sah schon, dass es seine Wirkung verfehlte.

»Na ja ...« Ich zog es in die Länge. »... ich denke, das kommt darauf an.«

Die Augenbrauen meiner Mutter schossen in die Höhe. »Wie bitte?«

»Ähm, na ja, von was für eine Art Ernst hier die Rede ist zum Beispiel?« Noch während ich sprach, konnte ich die Ader in der Schläfe meiner Mutter anschwellen sehen, aber mein Mundwerk war bereits am Laufen, und es gab kein Halten mehr. »Ich meine ja nur«, sagte ich, »meinst du ernst im Sinne von Aufrichtigkeit oder eher als das Gegenteil von lustig? Ich meine, woher soll ich das denn wissen, wenn du –«

»Sara Elfriede Jensmann!«

Ich zuckte zusammen. Scheiße, musste sie denn schreien? Lukas' Fenster war gekippt genau wie meines, und ich konnte nur hoffen, dass er nicht zu Hause wäre und uns hörte. Er würde mich bis an mein Lebensende nicht vergessen lassen, dass ich nach meiner Großmutter benannt war.

Meine Mutter stöhnte und lenkte damit meine Aufmerksamkeit zurück auf unser Gespräch. »Wieso musst du immer alles ins Lächerliche ziehen!«, rief sie. »Lukas ist ein lieber Junge, ich verstehe nicht, wieso du so feindselig bist.«

Ich schnaubte, aber sie überging es und schaute auf den Zettel. »Mal ehrlich, wie kannst du so etwas schreiben«, empörte sie sich, »Lukas ist doch keine ... keine ...« Sie konnte es kaum aussprechen, schaffte es dann aber doch: »Lukas ist keine lernbehinderte Amöbe

All die Worte zwischen unsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt