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Kapitel 6 - Hinter dem Vorhang

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Ich stand im Wohnzimmer und schaute hinaus in den Garten. Die Sonne war verschwunden, und die ersten Sterne tauchten am Horizont auf.

Meine Eltern hatten sich bereits zurückgezogen und mir eine gute Nacht gewünscht, aber ich konnte mich noch nicht dazu entschließen, in mein Zimmer hochzugehen.

Ich wusste nicht, woran es lag, aber ich war aufgewühlt. Mein Blick wanderte über den Garten, die Beerensträucher, die sorgfältig vom Unkraut befreiten Wege und frisch angelegten Beete. Der Schuppen, an dem jede Menge Schaufeln, Hacken und Harken lehnten, warf einen langen Schatten im bleichen Licht des Mondes. 

In der Ferne verschmolz der Himmel langsam mit den Baumkronen des angrenzenden Waldes, bis man kaum mehr wahrnehmen konnte, wo das eine begann und das andere aufhörte.

Mein Herz hatte schon vor Langem aufgehört, so seltsam zu klopfen, und ich war mehr als froh darüber. Ich konnte mir keinen Reim auf meine Reaktion machen. Es war ja nicht so, als würden wir überhaupt nicht miteinander reden, und bei unserem Schlagabtausch mit den Zetteln hatte ich noch nie ein so starkes Gefühl verspürt. 

Außer natürlich Ärger, Frust und ein kampflustiges Gefühl des Wettstreits. 

Sicher lag es daran, dass ich nicht darauf vorbereitet gewesen war, ihm so unvermittelt gegenüberzustehen. 

Immerhin hatte ich ihn seit fünf Jahren nur durchs Fenster gesehen. 

Das war in etwa so, als würde man jemanden im Fernsehen beobachten oder in einem gigantischen Terrarium. Man klopfte gegen die Scheibe und hoffte auf eine Reaktion, und wenn man sie bekam, war man zufrieden. Wenn nicht, dann klopfte man einfach weiter und zog dabei einen Schmollmund, bis der Tierpfleger kam, um einem die Ohren langzuziehen.

Wir hatten das Schlangenhaus danach eine ganze Weile gemieden, und ich, die mit meinen sieben Jahren nicht so recht verstehen konnte, was ich falsch gemacht hatte, fand erst wieder Trost, als wir zum Gehege mit den Fenneks kamen.

Die hatten so lustige lange Ohren, dass ich sicher war, sie wären dem gleichen Tierpfleger begegnet wie ich und würden mein Leid teilen. 

Als meine Mutter mir dann erzählte, wie schlau diese Tiere waren, vergaß ich meinen Kummer bald, und die Schlangen waren Geschichte. 

Was war eine kaltblütige, instinktgetriebene Schlange schon gegen einen süßen schlauen Wüstenfuchs? Eben.

Ich schüttelte den Kopf. Irgendwie kam ich nicht umhin, Lukas und mich mit diesen beiden Tieren zu vergleichen. Aber was mir vor einer Woche noch ein viel breiteres Grinsen entlockt hätte, ließ meine Mundwinkel nun langsam nach unten sinken.

Denn Lukas hatte nicht geklungen wie eine Schlange. Nicht giftig und doppelzüngig. Und weder falsch noch zischelnd. Die nagende Stimme in meinem Inneren wollte einfach nicht aufhören, mich an den Augenblick zu erinnern, als Lukas den Kopf senkte und »Danke« gesagt hatte. 

Zuerst dachte ich noch, es würde mich stören, dass er so wortkarg gewesen war. Als wären meine Mutter und ich nur ein knappes Nicken wert, oder ein beiläufiges »Jaja«.

Aber in Wirklichkeit war es der Klang seiner Stimme, der mich verwunderte. 

Wenn ich in meinen Erinnerungen an unsere gemeinsamen Zeltferien als Kinder kramte, konnte ich nur ein helles, schadenfreudiges Lachen hören. Ein Lachen, das ich ihm bei mehr als einer Gelegenheit am liebsten aus dem Gesicht geprügelt hätte. 

Ich dachte daran, wie er mich mit einem Regenwurm quer über den Zeltplatz gejagt hatte und dann den ganzen Abend am Lagerfeuer prustend einen Lachanfall unterdrücken musste, während ich lustlos in meinen Spaghetti stocherte.

All die Worte zwischen unsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt