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Kapitel 3 - Schildkrötige Gedanken

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Nachdem ich mich am Freitagmorgen aus dem Bett gequält und mir den Schlaf aus den Augen gerieben hatte, tigerte ich schlaftrunken hinunter in die Küche, um mir einen Kaffee zu holen. 

Meine Mutter rümpfte darüber zwar häufiger die Nase, aber ich war kein Kind mehr und hatte ihre Versuche, mir warme Milch anzudrehen, damit kommentiert, ob sie sie mir auch noch in ein Fläschchen füllen und mich damit füttern wolle.

Sie schüttelte nur den Kopf und murmelte etwas von Adoption, drückte mir dann jedoch einen Kuss auf die Stirn und verschwand zur Arbeit. 

Ich wusste, dass meine Eltern mich abgöttisch liebten und mir mehr durchgehen ließen, als manch andere ihren Kindern erlaubten. Das rechnete ich ihnen hoch an, weil ich häufiger in Schwierigkeiten geriet, als ihnen lieb sein konnte, und es ihr Leben bestimmt erleichtern würde, mich an einer kürzeren Leine zu halten.

Aber vermutlich wussten sie, dass eine kürzere Leine auch nicht so viel gebracht hätte. Ich zog Katastrophen an, als wäre ich der Honig und sie die Bienen. Aus diesem Grund war es mir auch nicht erlaubt, meiner Mutter beim Wäschewaschen in der Maschine zu helfen.

Ich hatte nicht gewusst, dass es so schäumen konnte, wenn man eine halbe Packung Pulver hineinwarf. Aber schlimmer war die Sache mit meinem neuen roten Shirt gewesen, das ich kurzerhand zu ihrem nächsten Waschgang gegeben hatte. 

Als der Waschgang durch gewesen war, hatte ich auf einmal einen spitzen Schrei aus der Waschküche gehört. Dabei wusste doch jeder, dass man Kleidung vor dem ersten Tragen waschen sollte. 

Nur eben nicht mit der Ladung Weißwäsche.

Ich verzog zerknirscht das Gesicht bei der Erinnerung und trottete zurück in mein Zimmer. Kein Wunder, dass Lukas über meine rosarote Bettwäsche lachte. Es war ja nicht einmal so, als würde ich die Farbe nicht mögen. Aber ich vermied es normalerweise, zu dick aufzutragen, was das anging, weil mich eh die meisten Menschen auf den ersten Blick für eine hohle Puppe hielten. 

Sie sahen meine sorgfältig lackierten Nägel, die blonden Locken und die vollgestopfte Einkaufstüte, wenn ich einmal wieder auf Shoppingtour war, und steckten mich automatisch in eine Schublade. 

Eine Schublade, die mit Glitzer, Federn und Pompons verziert war und keinen Platz für meine Bücher von Leo Tolstoi, Charles Dickens und Jane Austen ließ. 

Stattdessen fand sich darin eine Ecke für meine große Klappe, wenn die Leute feststellten, dass ich vorlaut war. Und vielleicht noch ein Plätzchen für meinen Dickkopf.

Ich packte meine Schultasche und stopfte ein paar Geschichtsbücher hinein. Dann warf ich sie aufs Bett und wollte mich in Richtung Bad davonmachen, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung im Nachbarfenster wahrnahm.

Ein Zettel, der da noch nicht gewesen war, hing im Fenster, und ich trat neugierig näher.

[Schönen Tag]

Ich starrte das Blatt an, als wäre es das erste Mal, dass ich Papier sah. Natürlich hatten wir ausgemacht, dass wir dem Wunsch unserer Eltern nachkommen würden, aber ich war es so gewöhnt, mich aufzuregen, wenn ich in Lukas' Fenster schaute, dass mich das Ausbleiben dieses Gefühls richtiggehend überraschte.

Ich blinzelte und las die Nachricht noch einmal. Aber dann entkam mir ein Schnauben. Schönen Tag? Das war ja mal so etwas von plump! Einfacher konnte man es sich selbst wohl nicht machen. 

Die mir bereits bekannte Gereiztheit breitete sich nun doch noch in meinem Magen aus, und obwohl es kein richtiger Zorn war, beruhigte mich das Gefühl paradoxerweise ein bisschen. Konnte er sich nicht mal etwas Originelles ausdenken?

All die Worte zwischen unsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt