September, erster Tag im neuen Schuljahr.
Alles sah aus wie immer. Auf den Wänden klebten Plakate, die Tische waren zusammengeschoben und die mittlere Neonröhre flackerte, was einen wahnsinnig machen konnte. Der Klassenraum roch nach Tafelkreide, Bodenreiniger und abgestandener Luft, untermalt von einer feinen Schweißnote.
Alle redeten kreuz und quer und wurden trotzdem von Steffis penetranter Stimme übertönt, die mir schon frühmorgens eine Gänsehaut verpasste. »Kaum zu fassen, dass diese Seekuh über den Sommer noch fetter geworden ist«, lästerte Steffi. »Ich meine, muss man wirklich jede Chipstüte auffressen, die man in die Hände kriegt?« Mit verschränkten Armen lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück. Ihre feuerroten Haare umgossen ihre Schultern wie ein Flammenmeer, was teuflisch schön und ganz schön teuflisch aussah. »Hey, Yuki, kleiner Tipp für dich! Friss nicht so viel Reis, sonst bricht deinetwegen noch eine Hungersnot in China aus.«
Steffis Freundinnen lachten.
Yuki zeigte Steffi den Mittelfinger und drehte sich nach vorne. Einen Moment lang zögerte sie, dann nahm sie ihre Brotbox, stopfte sie zurück in den Rucksack und schlüpfte trotz der Hitze im Klassenraum in ihre Sweaterjacke.
Ich musste die Augen schließen, so genervt war ich.
Lizzy, meine Sitznachbarin, ächzte verächtlich. »Glaubst du, sie hat sich die Knie aufgeschürft? Als sie aus der Hölle gekrochen ist, meine ich?«
»Gut möglich«, antwortete ich. Niemand könnte dieses Teufelsweib auf Dauer ertragen, nicht mal ihr Bräutigam selbst.
»Keine Ahnung, was Sam an ihr findet.« Den Blick auf die letzte Reihe gerichtet, zog Lizzy ihre kurzen weißblonden Zöpfe zurecht. Ihre Augen wurden schmal und ihr Eyeliner legte sturzbereit die Flügel an. »Ich meine, Steffi ist heiß, schon klar. Aber ein hübsches Paar Titten macht die Beziehung mit einer Sadistin auch nicht erträglicher.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher.« Mein Blick ruhte auf Sam, der seinen Arm um Steffi gelegt hatte und wie ein milchhungriger Einjähriger in ihren Ausschnitt glotzte. »Sam sieht ziemlich zufrieden aus, wenn du mich fragst.«
»Aber nur weil heute der erste Schultag ist«, meinte Lizzy. »Heute muss Steffi noch allen zeigen, dass Sam Kattler ihr gehört. Aber spätestens morgen ist die Message angekommen, und dann wird Sam zum Bitchableiter degradiert.«
Das brachte mich zum Schmunzeln. »Bitchableiter?«
Lizzy zuckte die Schultern. »Irgendwo muss Steffi ihren aufgestauten Frust entladen, nicht wahr? Und zufällig steht bei Sam eine Fangeinrichtung ab, die sich perfekt dafür eignet.«
»Ew!«, machte ich. Ich wollte nicht darüber nachdenken, was bei Sam abstand.
Lizzy stieß mir den Ellbogen in die Seite. »Zieh dir das rein!« Sie nickte in Richtung Steffi, die gerade über ein neues Opfer herzog und dabei voll in Fahrt geriet. Diesmal hatte sie Luca ausgesucht – eine schlechte Entscheidung, wie ich fand.
Yuki mochte sich verarschen lassen, Luca definitiv nicht.
»Aww, herzzerreißend!«, flötete Steffi. »Der traurige Emo-Junge hat sich die Haare schwarz gefärbt und die Fingernägel schwarz lackiert.« Steffi wickelte sich eine feuerrote Strähne um den Zeigefinger. »Fehlt nur noch der passende Kajal.«
Steffis Freundinnen, Lina, Ruby und Gina, lachten und blickten zu ihr auf wie die Anhänger einer Sekte zu ihrem Oberhaupt.
Luca, der mit seinen fetten Beats-Kopfhörern in seinem Stuhl lehnte, rührte sich vorerst nicht.»Und diese Lippenpiercings«, fuhr Steffanie fort. »Wer lässt sich schwarze Snakebites machen? Glaubt er, das sieht sexy aus?«
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Gemalter Herzschlag
Chick-LitSeit die siebzehnjährige Cherie ihre Mutter verloren hat, sucht sie verzweifelt nach einem Sinn - bisher ohne Erfolg. Dann lernt sie den jungen Straßenkünstler Jake kennen, der nach einem Schulverweis in ihre Klasse versetzt wird. Jake interessiert...