Inzwischen war das Wetter umgeschlagen. Dicke Tropfen prasselten im ungleichmäßigen Abstand auf das Kopfsteinpflaster und durchnässten Philips Shorts, bis diese an seiner blassen Haut kleben blieb. Seine karamellfarbenen Haare waren vorne klatschnass geworden und der Regen floss durch die Strähnen die nicht unterm Kapuzenpulli gesichert waren, seine Nase entlang,um dann von dessen Spitze auf seinen spröden Lippen zu landen.
Annie meinte immer, Regen könne Sorgen abwaschen. Das war ein halbes Jahr vor ihrem Tod.
Aber Philip wollte nicht an den letzten Winter denken, wollte sich nicht an Annie erinnern, sollte doch nicht auf dumme Gedanken kommen,also raus aus dem Regen. Schnellen Schrittes lief er ins He'Tant, ein kleines dunkles Café mitten in der Innenstadt.Anscheinend war Philip nicht der einzige mit diesem Gedanken: Die Teestube war rappelvoll und triefende Gestalten, welche auch von dem Regen überrascht wurden, zwängten sich auf die altmodisch bestickten Sesselstühle.
Glücklicherweise war Philips Stammplatz, ein 2er-Tisch in einem abgelegenen Erker, noch frei- wahrscheinlich weil niemand so ab vom Schuss sitzen wollte. Seufzend ließ er sich auf den gepolsterten Stuhl sinken und zum ersten Mal an diesem Tag konnte er mal mit den Gedanken abschweifen......Annie hätte jetzt wieder gemalt. Sie hätte die Menschen gemalt, sie hätte die Menschen durch ihre Zeichenkohle verstanden. Ach,wahrscheinlich wäre sie gar nicht erst hier reingegangen... Sie wäre in die Dünen geradelt und hätte sich vollregnen lassen- ihre Sorgen abgewaschen...Sorgen...wie ich dieses Wort hasse! Es ist so schwer. Es ist wie ein Klotz aus Metall, schwer und undurchdringlich, aber zu zweit könnte man so einen Klotz einfach zur Seite schubsen..hätte Annie ihre Sorgen doch nur mit mir geteilt! Sie war immer für mich da,ich hätte alles getan um dieses eine mal auch für sie da zu sein, sie einfach in den Arm genommen, meine süße Annie...
"Entschuldigung, ist hier noch frei für eine tattrige alte Oma?"
Eine warme, raue Stimme riss Philip brutal aus seinen Gedanken, welche sich unaufhörlich nur um Annie drehten,in sein Herz hineindrehten und mit einem Widerhaken aus Schmerz und den bittersüßen Spitzen aus Selbstvorwürfen mehr als nur ein Stück rotes Fleisch mit rausrissen."Äh,Klar..."
Die 'alte tattrige Oma' hängte also ihre kleine, weinrote Aignertasche und einige Einkaufstüten über die Stuhllehne, bevor sie sich mit etwas Mühe gegenüber von Philip an den Tisch setzte.
"Ich möchte ja die Jugend nicht stören,aber es war kein Platz mehr frei wo ich mich der Tapete hätte angleichen können", lachte sie," wie heißt du den überhaupt?"
Überrollt von der Kommunikationsfreudigkeit der alten Dame, und weil er höflich sein wollte, antwortete Philip zögerlich: " Philip. Also,Philip Klaber...und,ähhh...und sie,Madame?"
"Leider nicht Madame, nur Mademoiselle, weißt du, ich bin ein kleiner Freigeist...Also, Tabitha Rosenmond mein Name. Taby für dich."
"Taby?" Philip runzelte die Stirn.
"Wieso denn Taby?"Aus Tabys Mund ertönte ein kehliges Lachen." Ich dachte,dass das vielleicht etwas cooler klingt, haha!"
Unwillkürlich musste auch Philip schmunzeln. Es tat gut.
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Lebenswert - der letzte Punkt | #wattys2015
Fiksi RemajaWann hast du aufgehört zu fühlen? Da war Annie, schon immer. Und jetzt ist da ein Loch. Für Philip bleiben nur Erinnerungen, Erinnerungen an Brombeerpanther, Sternenhimmel und fruchtige Lippen, an Regenduschen und Kohlezeichnung. Sie hatte gesagt, e...