Kapitel 11

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„Runter!", brüllte ich und versuchte irgendwie mich zu bewegen, ich hatte natürlich keine Chance. Lucia war lachend aufgesprungen und während sie mit dem Finger auf mich zeigte sprang Chico auf, umgriff meine Hüften und schmiss mich über seine Schulter.

„Lass mich runter, du Idiot!", brüllte ich während ich auf seinen harten Rücken trommelte. Natürlich war er davon sehr beeindruckt...

„Oh Gott! Oh Nein! Chico, bitte! Ich tue alles was du willst, aber oh Gott nein!", schrie ich als ich bemerkte, was er vor hatte. Er ging ins Meer. Mit mir.

„Nein!", ich schrie, als würde ich meinen persönlichen Alptraum durchleben, während er laut lachte. Okay ehrlich, ich genoss sein Lachen. Ich hatte es noch nie zuvor gehört und es war wunderschön. Leider verfluchte ich ihn eine Sekunde später auch schon wieder, denn er ließ mich ohne Vorwarnung einfach los, sodass ich wie ein Sack Mehl ins Wasser plumpste. Ich konnte mir gerade noch rechtzeitig die Nase zu halten. Wenn ich etwas hasste war es Wasser in der Nase, Salzwasser machte das Ganze noch viel schlimmer. Als ich aufstehen wollte erfasste mich jedoch die blanke Panik. Da war kein verdammter Boden! Wieso war das Wasser so tief? Ich konnte nicht stehen! Ich tauchte auf und schnappte erschrocken nach Luft. Chico schwamm neben mir und lachte noch immer. Ich krallte meine Nägel in seine Schultern und klammerte mich an ihn. Wieso war das Wasser so tief? Er war doch hinein gelaufen? Oh Gott! Ich sah nach unten, da war nichts! Ich konnte überhaupt nichts erkennen! Wahrscheinlich waren da unten Haie und giftige Seeschlangen. Ohne dass ich es hätte steuern können legte ich meine Arme um seinen Hals und meine Beine um seine Hüften. Ich glaube, so sehr hatte ich mich noch nirgends festgehalten.

„Wieso ist das hier so tief?", rief ich hysterisch als ich mich sicher und fest an Chicos Körper gepresst hatte. Der dagegen lachte plötzlich nicht mehr. Er schaute mir direkt in die Augen und als ich seinem Blick begegnete wurde mir auf einmal klar, was ich hier gerade tat. Innerhalb einer halben Sekunde ging ich die Modalitäten durch: Chico los lassen und ertrinken oder mich weiterhin festklammern und die ohnehin schon peinliche Anspannung noch schlimmer werden lassen. Ich wählte die peinliche Anspannung!

„Das Meer fällt hier plötzlich ab!", erklärte Chico mit einer noch raueren Stimme als sonst. Ich schaute nach links und tatsächlich, ich sah den hellen Sand.

„Bring mich da hin!", forderte ich, ließ ihn allerdings nicht los. Ich war erleichtert, als Chico tat, was ich forderte und mich nicht noch länger ärgerte. Ich löste meine Beine und Arme von seinem Körper und genoss das Gefühl des Sandes an meinen Füßen. Sicherheitshalber ging ich noch einen Schritt weiter weg von der Schlucht. Nachher würde eine Unterwasserwelle mich wieder hinein spülen. Mit etwas Unbehagen bemerkte ich, dass sein Blick noch immer auf mir lag. Ich biss mir auf die Unterlippe und hob mutig meinen Kopf an. Sein Blick lag auf meinen Lippen, unwillkürlich wanderte mein Blick ebenfalls von seinen dunklen Augen zu seinen vollen Lippen. Und dann machte er etwas, womit ich niemals, niemals gerechnet hätte. Innerhalb einer Sekunde stand er unmittelbar vor mir, er knurrte ein tiefes „scheiß drauf!", und legte seine Hände an meine Wangen. Ich hatte noch nicht einmal Zeit nach Luft zu schnappen, da streiften seine Lippen ganz zärtlich über meine. Es war so sanft, dass ich nicht wusste ob es wirklich geschehen war oder nicht. So, als wollte er prüfen, ob ich ihn wegstoßen würde, entfernte er sich wenige Millimeter. Doch ich würde ihn nicht wegstoßen. Selbst, wenn ich wollte, ich könnte es nicht. Ich konnte nur noch an seine vollen Lippen denken. Und da legten sie sich auf meine. Wir verharrten kurz, dann bewegte er seine Lippen und automatisch bewegten meine Lippen sich synchron zu seinen. Ohne, dass ich es hätte steuern können legten sich meine Hände auf seine Brust. Das Feuer, das durch mich hindurch loderte, war einerseits kaum zu ertragen, andererseits war es so, als würde ich niemals wieder ohne es leben können. Chicos Lippen schmeckten salzig vom Meerwasser. Noch nie in meinem Leben hatte ich etwas Besseres geschmeckt. Er war perfekt. Schließlich lösten wir uns voneinander, beide atmeten wir schwer. Er schien nicht weniger überrumpelt zu sein als ich. Seine Hände lagen noch immer an meinen Wangen, meine Hände an seiner Brust. Ich wusste nicht, was oder ob ich etwas sagen sollte. Ich brachte noch nicht einmal ein Lächeln zustande. Wie versteinert sahen wir uns an.

„Wir... wir sollten raus... ähm... zu den anderen meine ich...!", stammelte ich schließlich unbeholfen. Chico nickte und löste seine Hände von meinen Wangen. Sicher hatte ich einen knallroten Kopf. Unsicher watete ich hinter ihm her heraus aus dem Wasser und schließlich über den weichen Sand. Dass der Sand glühend heiß war nahm ich in diesem Moment überhaupt nicht richtig wahr. Lucia zwinkerte mir kurz zu, als ich mich neben sie auf mein Handtuch fallen ließ. Was zur Hölle war das da gerade im Wasser gewesen? Dieser ungehobelte Kerl hatte mich einfach geküsst und mir hatte es gefallen!

***

Tito ließ uns zurück bei Maria nur aussteigen, dann fuhr er sofort weiter. Die Stimmung war irgendwie komisch aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Maria empfing uns herzlich wie immer. Nach einer kurzen Dusche zitierte sie uns in die Küche und wir halfen ihr dabei das Essen zuzubereiten. Doch letztendlich aßen wir allein. Keiner der Jungs ließ sich blicken. Die Tacos schmeckten mir trotzdem unheimlich gut.

„Iss noch einen, Liebes! Du bist viel zu dünn!", sagte Maria als ich den leeren Teller von mir schob. Ich war eigentlich satt, und zunehmen wollte ich auf keinen Fall! Doch als Lucia beherzt zugriff konnte ich es mir nicht verkneifen auch noch einen Taco zu nehmen. Maria nickte zufrieden.

„Wo sind denn die anderen heute?", fragte ich, während wir die dreckigen Teller aufeinander stapelten um sie in die Küche zu tragen.

„Wahrscheinlich gab es noch etwas zu tun.", meinte Maria während sie Wasser ins Spülbecken einließ.

„Was machen sie denn den ganzen Tag?", meine Neugier siegte letztendlich doch.

„Das ist nicht dein Krieg, Liebes.", Maria beendete das Thema, wie es alle hier ständig machten, indem sie Lucia aufforderte, das Abtrocknen zu übernehmen. Ich war etwas frustriert, weil keiner mir sagte, was hier los war. Natürlich war ich fremd hier und erst seit wenigen Tagen da, doch wie sollte ich je dazugehören, wenn sie mich nicht einweihten? So könnte ich die Kultur und das Benehmen doch niemals verstehen, oder?



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