Kapitel 29

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Ich wollte nach dem Schlüssel vom SUV greifen, natürlich war er nicht da. Überhaupt gar kein Schlüssel war da. Chico musste sie alle mitgenommen haben. Was für ein Arsch! Doch die Wut, die sich wie ein loderndes Feuer in meinem Körper ausgebreitet hatte gab mir nicht die Chance, logisch zu denken. Sie vernebelte meinen Verstand und ich konnte nur noch an Eines denken: Rache!

Genau dieses fehlende logische Denken hatte nun dazu geführt, dass ich mit rosa Shorts, weißem Top und flauschigen, rosafarbenen Häschen-Hausschuhen durch Mexikos Straßen joggte. Mano wohnte zum Glück nicht weit entfernt, sodass ich schnell und vor allem ungesehen, bei seinem Haus ankam. Es sah dunkel aus und ich fragte mich einen Moment, ob überhaupt jemand hier war. Doch dann sah ich Chicos Wagen in der Einfahrt stehen. Entschlossen trampelte ich zur Haustüre und klopfte so stark dagegen, dass mir die Hand wehtat.

„Autsch!", zischte ich leise und schüttelte die schmerzende Hand. Kurz darauf öffnete sich die Tür einen Spalt und ich erkannte Mano, der mich fragend ansah. Ich hatte meine Hände in die Hüften gestemmt und funkelte ihn wütend an. Wahrscheinlich sah ich einfach nur lächerlich aus in meinem Outfit, auch wenn ich so wütend schaute, wie wahrscheinlich noch niemals zuvor in meinem Leben.

„Ist Juan da drin?", knurrte ich. Mano schien überrumpelt zu sein. Ich sah, dass er mit sich haderte. Er wollte lügen, das spürte ich, doch ich gab ihm überhaupt nicht die Chance es so weit kommen zu lassen. Ich legte meine Hand energisch gegen die Tür und drückte sie auf. Mano starrte mich nur überfordert an als ich an ihm vorbei stolzierte. Ich sah Licht hinter einer der Türen und öffnete sie instinktiv. Im nächsten Moment blieb ich geschockt stehen. Ich stand im Wohnzimmer und circa fünfzehn männliche Augenpaare waren auf mich gerichtet. Meine Wut war gerade dabei sich zu verflüchtigen und mich ängstlich werden zu lassen als mein Blick den hohlen Blick von Juan traf. Er starrte mich abfällig an, an seinen Mundwinkeln zupfte ein zufriedenes Grinsen. Dieses würde ich ihm jetzt jedoch aus dem Gesicht prügeln. Die Wut kehrte so schnell zurück, dass ich nach Luft schnappte. Es war, wie eine Verwandlung, ich schien plötzlich nicht mehr Herr über meinen Körper zu sein und handelte instinktiv, wie eine Raubkatze.

„Du!", brüllte ich und stürzte auch schon auf den widerlichen Kerl mit dem vernarbten Gesicht zu. Ich sah, dass dieses Arschloch noch erstaunt seine Augen aufriss, doch ich war schnell und so reagierte keiner der anwesenden Männer schnell genug. Meine Hand kratzte einmal quer über das hässliche Gesicht dieses Widerlings. Ich hörte, dass er wütend aufschrie, ignorierte jedoch die Tatsache, dass ich ihm körperlich unterlegen war, sollte er mich angreifen. Ich griff gerade nach seinem Shirt, um ihm vermutlich ins Gesicht zu schlagen, da spürte ich, wie sich zwei starke Arme um meinen Bauch legten und mich von Juan zurück zogen.

„Nein! Lass mich los!", keifte ich während ich wild herum zappelte. Juan dagegen war genauso schnell wie ich einige Sekunden zuvor. Er stand auf, holte aus und das nächste, was ich spürte war ein höllischer Schmerz an meiner rechten Wange. Mein Kopf wurde nach links geschleudert und ich keuchte. Ich hörte für einen Moment die Vöglein singen, doch ignorierte den Schmerz und auch die Tatsache, dass ich Juan kurz doppelt sah. Er stand direkt vor mir und brüllte irgendwas auf Spanisch. Ich merkte, wie der Kerl, der mich festhielt, mich weiter von Juan weg zog. Das durfte nicht sein! Ich war noch nicht fertig mit ihm! Da ich keine andere Chance hatte spuckte ich ihm ins Gesicht. Ich erschrak als ich sah, dass es Blut war, was er sich jetzt vom Auge wischte.

„Schlampe!", knurrte er und kam einen Schritt auf uns zu.

„Nein, Juan!", hörte ich Chico direkt hinter mir knurren. Er war es also, der mich mal wieder von meinem Vorhaben abhielt. Das konnte er sowas von vergessen. Ich wand mich in seinen Armen und als ich so sehr mit den Beinen strampelte, dass einer meiner Häschen-Hausschuhe vom Fuß rutschte und quer durch den Raum flog, krachte mein Fuß gegen Juans Kiefer. Dessen Kopf wurde zurück geschlagen, er taumelte kurz, fing sich aber leider wieder. Doch er bekam nicht mehr die Chance, mich erneut anzugreifen. Ich sah wie Tito und Mano ihn festhielten. Während Chico mich immer weiter von Juan entfernte starrte ich diesen entsetzt an. Wie er da so in Manos und Titos Griff herumschrie und sich wehrte kam er mich vor wie ein Monster. Ein richtig ekelhaftes Monster, welches vor Nichts und Niemandem zurück schreckte. Ich gab meinen Widerstand auf und ließ mich, zugegeben, etwas erschöpft gegen Chicos Körper fallen. Er hielt mich sowieso so fest, dass ich nicht umfallen konnte. Er bugsierte mich hinaus in den Flur. Er schloss die Tür und ich hörte wie das Geschrei drinnen noch lauter wurde. Schließlich spürte ich seine Arme auf meinen Schultern, schwungvoll drehte er mich zu sich herum. Ich sah in seine dunklen Augen und es war, als würde mich ihr Anblick zurück in die Realität holen. Ich fühlte mich, als würde ich Watte aus meinen Ohren nehmen oder als würde ich von jetzt auf gleich vom besoffenen Zustand in einen komplett nüchternen Zustand fallen. Es war, als wäre ich nicht da gewesen und jetzt, durch Chico, war ich wieder hier. Ich keuchte. Wo war die Wut geblieben? Und wo war meine ganze Kraft?

***

Dass Chico sauer war, war mir schon klar. Es war mir schon klar gewesen, da war ich noch nicht einmal zu Juan aufgebrochen. Nachdem er mich aus dem Zimmer gebracht hatte, hatte er mich wortlos in seinen Wagen gesetzt. Genauso wortlos hatte er mich dann zu Maria gefahren. Er hatte lediglich die Haustür aufgesperrt, mich hinein geschoben und war dann wieder verschwunden. Vielleicht hätte ich wenigstens versuchen sollen, mit ihm zu reden. Doch ich war auch stur und sah überhaupt nicht ein zu Kreuze zu kriechen. Ich bereute nicht, was ich getan hatte, auch wenn ich mehr Glück als Verstand bei dieser Aktion gehabt hatte. Wenn Chico und die anderen Jungs nicht gewesen wären, würde ich jetzt vielleicht nicht mehr gerade stehen können. Vielleicht wäre ich auch tot. Juan traute ich alles zu.

„Wer ist da?", Marias Stimme hallte durch den dunklen Flur. Kurz darauf sah ich sie im Morgenmantel die Treppe herunter gehen. In ihren Händen hielt sie ein Gewehr.

„Ich bins.", murmelte ich schnell um mich bemerkbar zu machen. Nicht, dass sie noch auf mich schießen würde.

„Jamie? Wo kommst du her, Liebes?", fragte sie während sie das Gewehr sinken ließ und näher kam. „Um Gottes Willen, Kind! Was ist dir passiert?"

Sie starrte mich entsetzt an. Klar, wahrscheinlich war auf meinem Gesicht ein nettes Veilchen zu sehen.

„Wer hat dir das angetan?"

„Niemand.", murmelte ich und legte verlegen eine Hand auf meinen Wangenknochen. Es brannte und erst jetzt bemerkte ich, dass ich leicht verschwommen sah. Maria legte einen Arm um mich und führte mich in die Küche. Dort reichte sie mir eine Packung Tiefkühlerbsen, die ich vor Schmerz wimmernd auf das Auge legte.

„Also?", Maria kramte in einer der Schubladen herum während sie noch immer auf eine Antwort wartete. Ich stöhnte. Sie würde ja doch keine Ruhe geben. Also erzählte ich ihr, was passiert war. Die Standpauke, die ich danach von ihr erhielt, war beinahe noch erschreckender als Juan selbst! Maria war wirklich wütend. Sie fluchte auf Spanisch und ich war beinahe froh, dass ich sie nicht verstehen konnte. Wahrscheinlich hätte das die ganze Situation noch schlimmer gemacht. Ganz davon abgesehen lag einer meine Häschen-Hausschuhe noch immer im Haus von Mano...

***

Nachdem Maria mich in der Nacht entlassen hatte, konnte ich noch genau zwei Stunden schlafen. Ich hatte mir fest vorgenommen bei Zeit aufzustehen, um Maria beim Frühstück machen zu helfen. Ich wollte sie nicht noch mehr verärgern. Ich weckte sogar Lucia auf, die mich natürlich auch sofort über mein verbeultes Gesicht ausfragte. Da es sowieso bald jeder wissen würde, erzählte ich auch ihr die Wahrheit.

„Was?", mit riesengroßen Augen starrte sie mich an. Sie saß aufrecht im Bett, die Beine unter der rosafarbenen Bettdecke gesteckt. Ihre Locken standen wirr in alle Himmelsrichtungen ab. Ich stand vor dem Kleiderschrank und grapschte nach einem Shirt, welches ich heute tragen konnte.

„Ich war einfach so wütend, Lucia.", erklärte ich leise.

„Das ist... wow... du bist...!", Lucia schluckte einige Male lautstark. „Das ist wahnsinnig!"

„Meinst du, er wird mir etwas antun?", ich fuhr herum und betrachtete Lucia ängstlich. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen?

„Ja sicher!"

„Was?", das Shirt, welches ich gerade noch in den Händen gehalten hatte, fiel auf den Boden.

„Ähm.... ich meine klar, wenn Chico nicht wäre. Aber der lässt das nicht zu!", Lucia lächelte entschuldigend und gleichzeitig beruhigend.

„Hm.", ich hob das Shirt wieder vom Boden auf. „Ich weiß nicht, ob der mich noch beschützen wird."

„Wieso? Hast du ihn auch geschlagen?", fragte Lucia feixend. Ich schüttelte meinen Kopf.

„Nein, aber er war ziemlich sauer...!"

„Und darüber wunderst du dich? Natürlich ist er das! Aber deswegen wird er dich trotzdem beschützen.", Lucia klang sehr überzeugt. Ich seufzte und schlug die Schranktüren zu.

„Wie auch immer... wir sollten Maria helfen gehen... die ist nämlich auch sauer auf mich!", sagte ich und ging zur Tür.

„Mach das ruhig!", Lucia ließ sich wieder in die weichen Kissen sinken. „Ich schlafe noch eine kleine Weile!"

Ich wollte gerade widersprechen als Lucia gähnte und sich die Decke über die Locken zog. Dann zuckte ich mit den Schultern und verließ das Zimmer.


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