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„Hast du völlig den Verstand verloren?", fragte ich.

Sie kam auf mich zu, ignorierte die unsichtbare Mauer zwischen uns, die ich durch den Rasierschaum in meiner Hand signalisierte.

„Lass uns darüber in Ruhe sprechen.", meinte sie und fasste für einen kurzen Augenblick meinen Oberarm an.

„Vergiss es. Du bist das aller letzte, wirklich."

Ich drückte auf den schwarz gekennzeichneten Knopf des Rasierschaums, der nur wenige Sekunden später im Gesicht meiner Mum landete. Das konnte sie doch nicht ernst meinen? Bestimmt hatte ihre Midlifecrisis begonnen, so musste es sein. Anders konnte ich mir ihre Sinnesstörungen nicht erklären.

Ich lief vom Badezimmer ins Gästezimmer und schloss ab. Dann schmiedete ich den Plan, wie ich am besten von dieser Verrückten wegkommen konnte. Wirklich, auf ein Gespräch mit Mum und Dad wollte und konnte ich verzichten, dass Mums Entscheidung feststeht, hatte ich selbst deutlich erkannt und den Bullshit den sie mir so oder so verzapft hätten, war ich satt gewesen.

Eine Stunde später also saß ich im Taxi. Ich hatte Grandma und Grandpa einen Brief geschrieben, in dem nicht die ganze Wahrheit stand. Ich wollte sie nicht beunruhigen.

Dad würde alles von Mum oder meinen Großeltern mitbekommen. Ich hatte keine Nerven mit ihm zu sprechen und ich war froh gewesen, dass der Taxifahrer mich erst schief ansah als ich ihm sagte wo ich hin möchte, aber ohne Murren die Herausforderung auf sich nahm. Der nächste Zug wäre durch die ständigen Bauarbeiten momentan erst am nächsten Morgen gefahren, so lange konnte ich nicht mehr warten.

Als wir da waren, reichte ich ihm meine Kreditkarte. Ich glaube, er war froh, dass ich die Strecke auch bezahlen konnte und keine Geisteskranke war, die ihn zu irgendeinem Ort lotste.

Kira war meine einzige Hoffnung wieder einen kühlen Kopf zu bewahren. Sie war meine beste Freundin seit ich denken kann. Ihr Vater ist auch Arzt und so hatten wir uns schon früh kennengelernt. Er wollte immer, dass Kira so wie er Medizin studiert und einmal seine Praxis übernehmen würde. Vielleicht war das der Grund, wieso sie es gerade nicht tat. Sie war schlau, aber sie wollte ihren eigenen Weg gehen.

Nach einem Jahr auf der High School zog sie Nach Los Angeles, mit Billy, ihrem Freund. Er war neun Jahre älter als sie und hatte eine Tochter. Klar waren ihre Eltern überhaupt nicht begeistert von ihrem Plan, wenn ich mich recht erinnern kann, war ich immer die Einzige die hinter ihr gestanden hatte, auch wenn ich nicht gut fand was sie tat.

Billy war Surfer und sein Traum war es einen eigenen Surfshop zu eröffnen. Am Strand, wo er auch anderen Leuten das Surfen beibringen konnte.

Wir haben nie viel über sein Geschäft gesprochen, aber ich weiß, dass es anfangs ziemlich hart für sie gewesen sein musste. Ich versuchte sie immer zu unterstützen, auch wenn es schwer war, weil wir uns die letzten drei Jahre höchstens vier Mal gesehen hatten und mehrere Flugstunden zwischen uns lagen.

Dennoch konnten wir uns auf den anderen verlassen und ich wusste, dass sie im Moment die Einzige war, die mich wirklich verstehen würde. Deshalb hatte ich sie angerufen und sie hatte gleich gemeint, ich könne sofort zu ihr kommen.

Kiras kleines Häuschen lag direkt am Strand. Sie hatten es vor ein paar Wochen erst gemietet und ich war noch nie dort gewesen. Anscheinend war es in der Nähe des Surfshops und Billys Tochter hatte es von dort nicht weit zur Schule.

Es ist schön, dachte ich mir als ich ankam. Im Vorgarten standen einige Palmen und das ganze Grundstück war mit einem weißen Holzzaun umrandet. Direkt gegenüber war der Strand und ich konnte die Möwen hören. Eines der Dinge die ich in Kanada unglaublich vermisst hatte.

Ich lief auf die Haustüre zu. Sie war Türkis und hatte ein kleines Glasfenster in der Mitte. Nachdem ich geklingelt hatte versuchte ich vorsichtig hineinzuspähen, aber alles was ich sah, war mein Spiegelbild und ich stellte fest, dass ich dringend eine Dusche nötig hatte.

Kira öffnete mir die Tür, sah mich verblüfft an, zog mich aber gleich darauf in eine Umarmung. Ich hatte das Gefühl wir hatten uns Jahre nicht gesehen.

„Du bist schon hier?", sagte sie verblüfft. Es roch nach Essen, angebranntem Essen.

„Ich bin mit dem Taxi gefahren", meinte ich und versuchte mühsam den Koffer über die Türschwelle zu ziehen.

„Mit dem Taxi? Das ist doch sündhaft teuer?", fragte sie und half mir. Er war wirklich schwer und man könnte meinen ich hätte alle Kieselsteine aus Grandmas Garten hineingeschmissen, aus Wut wegen Mum.

„Kann schon sein." Ich zuckte mit den Schultern. Diese Rechnung würde ich Mum schicken.

„Hast du gekocht?", fragte ich skeptisch.

„Ja, extra für dich.", antwortete sie und lief voraus.

„Denkst du das kann man noch essen?" Ich zeigte auf den Rauch der aus dem Zimmer rechts stieg.

„Verdammt nochmal.", fluchte sie und lief hecktisch hinein. Ich hörte wie sie das Fenster öffnete, dann den Ofen aufriss.

„Tut mir echt leid.", schrie sie hustend. Ich folgte ihr. Es war die Küche in der sie stand. Sie war groß und hell. In der Mitte war eine Kochinsel auf der Kräuter standen. Im vorbeigehen roch ich an ihnen. Dann sah ich mich weiter um. Am anderen Ende der Küche war der Essbereich und dahinter eine Tür zu der es in den Garten hinaus ging. Die eine Wand war Türkis angestrichen und es hingen zwei Surfboards daran. Ich berührte eines der Beiden.

„Das sind unsere ersten Boards mit denen wir hier gesurft haben. Billy meinte, wir müssen sie in Ehren halten." Sie zog hinter mir zwei Karte aus dem Küchenschrank.

„Sushi oder Pizza?", fragte sie und hielt sie in die Höhe.

„Pizza.", meinte ich und grinste. Obwohl sie schon ihre eigenen vier Wände hatte, war sie immer noch genauso verplant wie früher als wir noch zusammen zur Schule gingen. Sowas ändert sich anscheinend nie.

Während sie die Pizza bestellte, lief ich vom Esszimmer links weiter in das Wohnzimmer. Sie hatte mir schon erzählt, dass in diesem Haus fast alle Räume miteinander verbunden waren.

Es war genauso hell wie die Küche. Durch das Fenster neben dem Fernseher konnte man auf das Meer sehen. Nur wenige Leute waren am Strand. Ein paar Fahrradfahrer düsten die Promenade entlang und eine Frau mit einem riesigen, zotteligen Hund joggte die Straße hinauf. Es war schön hier und ich mochte es, obwohl mir Los Angeles noch nie wirklich sympathisch war.

Zu viel Tamtam um einen ganz normalen Ort. Es stimmt schon, dass hier ziemlich viele berühmte Persönlichkeiten wohnen, aber macht das eine Stadt zu einem Unikat? Das sind doch alles Menschen und nicht aus Diamant geschlagene Figuren. Ich hatte noch nie den Rummel um Promis verstanden. Irgendwie ging dieser Trend an mir vorbei.

Schon alleine dieses Gerede, Los Angeles die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten. So ein Quatsch. Nur weil ein Produzent eine schlaue Idee hatte und beschloss, dass Hollywood die Mutter aller Filme sein sollte und die Amerikaner meinten sie müssen weiße Buchstaben in die Berge stellen, heißt das noch lange nicht, dass man hier das erreichen kann was man sein ganzes Leben geträumt hatte.

Ich glaube, diese Menschen tat einfach die Kalifornische Sonne nicht gut. Anders kann man sich diesen Blödsinn nicht erklären.


The PromiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt