Nur ein Traum?

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In der Nacht schreckte Lina plötzlich aus dem Schlaf. Ein Laut hatte sie geweckt, aber ob das komische Geräusch in ihrem Zimmer war oder in ihrem Traum, konnte sie nicht wirklich einordnen. Da – wieder das seltsame Hüsteln. Benommen starrte sie auf ihren Koffer, auf dem sie im schwachen Mondlicht, welches durch den Spalt zwischen ihren Vorhängen fiel, eine kleine Gestalt mit goldenen Augen ausmachen konnte. War das ein Monster? Wieder erklang das sonderbare Geräusch, das sich nach einem kränklichen Röcheln gepaart mit leisem Knurren anhörte. Linas Herz begann schneller zu schlagen, raste fast schmerzhaft in ihrem Brustkorb. Ein fremdes Vieh, nachts, und in ihrem Zimmer ... Das war der Stoff, aus dem Albträume gemacht waren! Plötzlich kratzte etwas an ihrer Tür. Vor Schreck wäre Lina beinahe aus dem Bett gefallen. Als sie dann aber Kajas leises Knurren hörte, entspannte sie sich augenblicklich wieder und die Müdigkeit kehrte schlagartig zurück. Warum machte der Hund nachts so einen Lärm, das war doch gar nicht ihre Art? Als Lina die Bettdecke zurückschlug, war am Ende ihres Bettes kein fremdes Wesen mehr. Vielleicht hatte sie sich das Tier ja doch nur eingebildet ... Schlaftrunken wankte sie zur Tür und sobald diese auch nur einen Spalt geöffnet war, schoss Kaja schnurstracks auf den Kleiderschrank zu und knurrte diesen bedrohlich an.
„Da is nichs", murmelte Lina verschlafen und plumpste gähnend zurück auf ihr Bett. „Geh ... Körbchen und ... sei still." Kaja knurrte aber weiterhin den Schrank an, von dem unvermittelt ein dunkler Schatten zu Lina aufs Bett sprang. Kaja hörte plötzlich auf zu knurren, legte den Kopf schief und sprang dann ebenfalls zu ihnen auf die Decke. Verdutzt betrachtete Lina das eigenartige Duo neben sich, viel zu überrumpelt, um sich zu erschrecken. Freiwillig würde sich ihr Hund doch niemals neben eine Katze setzen, als welche Lina den ungebetenen Besucher grob identifizieren konnte. Viel lieber rannte die Hündin dieser Tiergattung kläffend hinterher. Lina rieb sich die Augen und kniff sich in den Arm, aber die beiden blieben steif auf dem Bett sitzen. Achselzuckend wandte sie sich wieder der Katze zu. Ob sie nun träumte oder nicht, wurde ihr mit jeder Minute gleichgültiger. Ihre Müdigkeit hatte ihr schon so einige Male seltsame Dinge vorgegaukelt.
„Mieze, wo kommst du denn her?" Die Katze begann zu knurren, Kaja saß aber weiterhin seelenruhig neben ihr und kratzte sich am Ohr. Das musste eindeutig ein Gespinst ihrer Fantasie sein. „Du brauchst keine Angst zu haben. Und seit wann verträgst du dich mit Katzen, Kaja?" Warum redete sie überhaupt mit den Tieren, antworten konnten diese doch sowieso nicht. Außer, das war doch ein Traum.
„Nenn ihn lieber nicht noch einmal Mieze. Sonst könntest du seine Krallen zu spüren bekommen", erklang eine helle Stimme.
„Lass den Blödsinn, Jan! Es ist mitten in der Nacht und ich will schlafen!" Lina gähnte ausgiebig, rieb sich erneut die Augen und scheuchte die beiden Tiere vom Bett. „Bleib, wenn du willst, Kaja. Aber geh ins Körbchen!" Sie sah noch einmal verwundert zu der Samtpfote hinunter, die abwartend auf dem schmalen Läufer vor ihrem Bett hockte.
„Und morgen suchen wir nach deiner Familie." Die Katze legte den Kopf schräg und starrte Lina mit ihren merkwürdig hellen Augen an. Lina wollte sich gerade wieder hinlegen, als erneut die kindliche Stimme maulte. „Ich will aber mit im Bett schlafen."
„Wer spricht denn da?" Angestrengt in die Dunkelheit blinzelnd, versuchte Lina den Urheber ausfindig zu machen, aber bis auf die beiden Tiere befand sich kein weiteres Wesen im Zimmer. Wenn sie nicht so müde gewesen wäre, hätte sie langsam wirklich Panik bekommen. Fremde Stimmen waren kein gutes Zeichen, genauso wenig wie plötzlich auftauchende Katzen.
„Na die, die du soeben unsanft von deinem Bett geschubst hast." Verblüfft blickte Lina zu ihrem Hund hinunter. „Äh, sprichst du mit mir?"
„Na wer denn sonst! Dein Bild da drüben?!" Lina klappte der Mund auf. Dann schüttelte sie nach dem kurzen Schock verwirrt den Kopf und schob sich weiter unter die Decke. „Das kann nur ein Traum sein. Hunde können nicht reden", murmelte sie und kuschelte sich wieder in ihr Kissen.
„Wenn du meinst", murmelte Kaja. „Ich will trotzdem mit dir im Bett schlafen."
„Vergiss es. Solche Sachen wollen wir uns gar nicht erst angewöhnen." Auch wenn das nur ein Traum war, wollte sie dennoch ein Wörtchen mitzureden haben. Aus dem Augenwinkel sah sie den Schemen der Katze, die immer noch regungslos auf dem Boden hockte. „Und was mach ich nun mit dir, Mieze?" Kaja zog den Kopf ein, aber Lina übersah die Reaktion ihres Hundes. Bedrohlich langsam wurden scharfe Krallen ausgefahren. „Ich verbitte mir solch eine Anrede", erwiderte das Tier mit überheblicher Stimme und sprang erhobenen Hauptes erneut zu ihr aufs Bett.
„Jetzt reicht's aber. Das ist MEIN Traum und ihr macht, was ICH euch sage! Also runter und endlich Klappe halten! Ich will weiterschlafen." Wütend wollte sie sich auf die andere Seite drehen, die Katze vereitelte jedoch diesen Versuch, indem sie sich auf ihre Beine setzte. „Ich enttäusche Euch nur ungern, aber ich muss Euch widersprechen. Dies ist kein Traum. Ihr sprecht wahrlich mit uns."
„Jaja, klar doch. Und morgen kommt der Weihnachtsmann und tanzt mit dem Osterhasen Rumba." Die Katze sah sie fragend an, Kaja rollte aber lachend über den Boden.
„Lach du nur, Hund", knurrte Lina. Ihr wurde die ganze Situation zu blöd. „Ich schlaf jetzt einfach weiter. Macht ihr doch, was ihr wollt."
„Morgen wird's auch nicht besser", kicherte Kaja und setzte die Vorderpfoten auf die Matratze.
„Ich bin mit dem Hundefräulein einer Meinung."
„Ihr habt aber eine sehr gehobene Aussprache", bemerkte Lina genervt und schob die Katze von sich herunter. „Wie ist denn überhaupt Euer werter Name?" Blitzende Augen taxierten die ihren, dann erhob sich das Wesen galant. „Gestatten, Enerem mein Name. Ich gehöre der Gattung der Divinkatzen an und fungiere als Berater der Oberhäupter." Blinzelnd glotzte sie den Kater an.
„'Ne Katze? Als Berater? Ich träume definitiv."
„Keineswegs."
„Wenn das kein Traum ist, warum versteh ich euch dann, hm?"
„Ich konnte dich schon immer verstehen", antwortete Kaja flapsig und kratzte sich schon wieder. Hatte die Hündin vielleicht Flöhe? Lina machte sich eine geistige Notiz, das Fell einmal zu filzen, nur zur Prophylaxe. Dann erst wurde ihr langsam bewusst, was die Hündin da eben zugegeben hatte.
„Moooment mal." Schwer mit der Müdigkeit kämpfend, musterte sie den abwartend auf dem Teppich sitzenden Hund. „Warum hast du mir dann nie gehorcht?" Verlegen wackelte Kaja mit dem Schnurrbart und putzte sich ausweichend die Pfote.
„Äaah, ich musste doch die Hundevorurteile erfüllen." Lina kniff die Augen zusammen und rieb sich das Gesicht, in der Hoffnung, ein wenig wacher zu werden. Viel half es aber nicht. Die gesamte Situation erschien ihr weiterhin surreal. Träge schielte sie zu dem immer noch neben ihren Beinen sitzenden Kater und legte sich gähnend auf ihr wartendes Kopfkissen.
„Warum erscheinst du überhaupt nachts?" Weshalb er sich überhaupt in ihrem Zimmer befand, kam ihr nicht einmal in den Sinn zu fragen.
„Ich bin ein Divinkater. Nachts bin ich wach, des Tages schlafe ich zumeist."
„Also doch nur eine Mieze", grummelte Lina und kuschelte sich in die Decke. „Lass dir das aber ja nicht zur Gewohnheit werden! Ich schlafe nachts nämlich." Ihr fielen die Augen zu. Insgeheim dachte sie immer noch, dass alles ein Traum sei. Sprechende Tiere gab es eben nicht in der Realität. Dass Enerem noch etwas sagte und anschießend durch die Wand verschwand, bemerkte sie genauso wenig, wie die sich an ihrem Fußende zusammenrollende Kaja.

Sylnen - Der gefallene KriegerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt