Kapitel 2

42 6 2
                                    

"MELODY SHARPENS!"
"Wah!", ich zuckte zusammen und wäre beinahe gestolpert. Akrobatisch balancierte ich mein Tablett, das gefährlich schwankte. Man sollte in Gegenwart seiner Freunde am besten nicht tagträumen. Ups.
Mistle sah mich komisch an. Sowie einige andere Leute in der Mensa.
"Was ist?", fragte ich skeptisch und stellte meine Essensration auf einen Tisch ab.
"Wir haben dich was gefragt... und du hast nicht geantwortet.", Mya zuckte mit den Schultern und setzte sich neben mich.
"Und was?", erkundigte ich mich. Keiner von ihnen antwortete mir.
"Ist es wegen... IHM?", Mistle sah mich prüfend an.
"W-was?!", stotterte ich. Was sollte das? Mistle war bekannt dafür, innerhalb von Millisekunden das Thema zu wechseln.
"Ha!", Janette funkelte mich triumphierend an, "Du bist rot geworden!"
"Hey Mädels!", die Jungs kamen an und setzten sich vor uns.
"Ihr seid echt nicht lustig", zischte ich freundschaftlich, dennoch mit einem grimmigen Unterton. Trotzig stopfte ich mir Mittagessen in den Mund.
"Immer gern.", erwiderten Mistle, Janette und Mya im Chor und grinsten um die Wette.
"Was ist los?", Chris sah verwirrt von einem zum andern, "Haben wir was verpasst?"
Janette machte ihren Mund auf, doch ich rammte ihr meinen Ellebogen in die Seite.
"Autsch!", beschwerte sie sich.
"Gar nichts. Absolut. Gar nichts.", ich knurrte lächelnd (falls das überhaupt geht).
"Schmeckt das?", skeptisch stocherte Tristan in seinem Essen rum. Josh sah ihn mit vollem Mund an.
"Alwo if finds lecka", nuschelte er.
Tristan schlug ihn auf den Hinterkopf.
"Wie oft soll ich es dir noch sagen? Hör auf, während dem Essen zu reden!"
"'Fuldigung.", Josh saß da wie ein begossener Pudel.
Wir mussten lachen.
"Die Köchin wurde ausgetauscht.", erklärte Mya Tristan, "Wir haben jetzt einen neuen. Herr Freud. Sein Essen ist unübertreffbar. Jedenfalls was Kantinenessen angeht."
"Achfo, defhalb--"
Josh büßte wieder einen Schlag ein.
"Hab' nifts gefagt..."
"Probier doch einmal. Es ist echt gut.", nickte Jake Tristan zu.
"Echt so.", stimmte Delay zu und schob sich eine weitere Portion in den Mund., "Hat sich echt viel geändert, nachdem wir weg waren."
"Mehr als ein Jahr", erinnerte Chris ihn.
Josh machte schon wieder Anstalten etwas zu sagen und richtete sich auf. Doch sein Blick streifte Tristan. Die zwei führten eine Weile Blickduell, dann besann sich Josh und er sank wieder zurück. Ich musste grinsen. Er war so ein Tollpatsch.
Wir aßen eine Weile schweigend.
"Achja", Tristan sah hoch, direkt in meine Augen, "Was ich vergessen habe zu fragen..."
Oh oh. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
"Warum seid ihr heute", er fuchtelte mit der Gabel zwischen mir und Josh rum, "zu spät in den Unterricht gekommen?"
"IHR SEID ZU SPÄT IN DEN UNTERRICHT GEKOMMEN?!", die anderen sahen sofort in unsere Richtung und spuckten mir wortwörtlich ins Gesicht.
Ich räusperte mich und wischte mit einer übertriebenen Geste den unsichtbaren Speichel weg.
"Wir hören?", Janettes Augen leuchteten begeistert.
"Wo wart ihr?", wollte Jake wissen.
"Also?", Tristan wartete auf eine Erklärung und durchdrang Josh mit seinem Blick. Dieser hob unschuldig die Hände und zeigte auf seinen Mund. Tristan seufzte und wandte sich mir zu. Auch die anderen sahen mich erwartungsvoll an.
"Wir... ich habe ihm nur das Studio gezeigt..."
"DU HAST IHM WAS?!" Oh Mann.
"Ich hab ihm mein Studio gezeigt.", wiederholte ich brav.
"MELODY?!"
"Was ist jetzt so schlimm daran?", wollte Josh wissen. Ich seufzte erleichtert. Sein Mund war endlich leer. Er war ja noch gefräßiger als ich. Wenn man bedenkt, dass ich immer und überall was esse, ist das schon ziemlich verwunderlich, verfressener als ich zu sein. Dennoch. Zu früh gefreut. Alle fuhren nun zu ihm herum. Josh realisierte, was er gemacht hatte und riss die Augen auf, während er sich sogleich noch ein paar Kartoffeln in den Mund schaufelte. Schon saß er wieder mit Hamsterbacken vor uns.
"Sie hat keinem von uns ihr Studio gezeigt.", klärte Mya auf.
"Du bist der Erste!", Janette konnte es immer noch nicht glauben.
"Ihr hattet ja auch keine Zeit.", kommentierte ich schwach.
"Und danach?", Jake kam wieder auf den Punkt.
"Danach... öh... waren wir bei meinem Spind...", nuschelte ich.
Die anderen sahen mich gespannt an. Ich erwiderte die Blicke.
"Was?", fragte ich verwirrt.
"Und weiter?", bohrte Mistle nach.
"Dann...", ich überlegte krampfhaft. Was sollte ich sagen? Die Wahrheit? Nein nein nein nein nein, auf gar keinen Fall! "Gar nichts..."
"Als ob.", die anderen lehnten sich zurück.
"Melody, du kannst es uns nicht verbergen.", meinte Tristan.
"Du kannst nicht gut lügen", fügte Janette hinzu.
Ich stand auf. Sonst wäre ich explodiert und hätte es ihnen wirklich gesagt. Alle sahen zu mir hoch. Auch Josh. Ich wich deren Blicke nur aus.
"Ich habe keinen Hunger mehr.", murmelte ich und ging aus der Mensa raus. Ich schmiss mein Tablett achtlos auf den Wagen. Eine Frau, die in der Küche arbeitete, sah mich verdutzt an. Sie kannte mich. Sonst war ich immer freundlich und half ihr gelegentlich beim Geschirr. Naja. Jeder hat mal seinen schlechten Tag.
Ohne den Kopf zu heben, ging ich schnurstracks in die Schwimmhalle unserer Schule. Zu dieser Zeit war keiner dort, also hatte ich das ganze Becken für mich allein. Denn jetzt fanden alle begehrten Kurse statt. Ich brauchte meine Ruhe, also war es genau richtig für mich.
Auch in der Umkleide war es leer. Wie in Trance wechselte ich Schwimmsachen an.
Ich atmete den Chlorgeruch ein, nachdem ich mich abgeduscht hatte und die Schwimmhalle betrat. Dann sprang ich ins Wasser und schloss meine Augen. Ich schwamm die 6 Meter tief und genoss die Stille und Dunkelheit hier unten. Alles war still, man hörte nur das regelmäßige Plätschern des Wassers, wenn es am Beckenrand überschwappte, das typische Rauschen des Wassers und die Schwingungen, die die Vibrationen der Maschinen erzeugten. Ich schaltete mein Gehirn aus und bewegte mich nicht mehr. Das war die beste Art, Luft möglichst lange anzuhalten.
Nach einer Weile jedoch schwamm ich wieder in Richtung Oberfläche, da meine Lunge wieder nach Sauerstoff verlangte. Dort angekommen, holte ich tief Luft und machte meine Augen auf.
"Uah!", erschrocken sah ich auf die Person vor mir. Diese sah mindestens genauso geschockt zurück.
"Josh... was machst du denn hier?", meinte ich schwach.
"Naja...", dieser kratzte sich verlegen am Hinterkopf,

"Du bist aufgestanden und weggelaufen. Die anderen sahen sich mit komischen Blicken an. "Melody und kein Hunger?" Sie waren ziemlich verwirrt und hatten mich dabei leider immer noch nicht vergessen. Schließlich bin ich auch rausgegangen und hierher. Wusste ja nicht, dass du auch hier bist. Ich hielt es nicht mehr aus, die ganze Zeit was im Mund zu haben. Kein so tolles Gefühl, wenn man da so eine Pampe hat."

Ich musste lachen.
"Warum bist du weggelaufen?", wollte Josh schließlich wissen.
"Naja... ich hatte jetzt nicht gerade den Drang dazu, von... heute Morgen zu erzählen...", sagte ich leise.
Er kam mir ganz nah. Mein Herz klopfte automatisch schneller. Hrmpf.
"Lass das.", ich wandte mich ab.
"Heute Morgen. Das... tut mir Leid. War ein kleiner... Ausrutscher. Ich habe mich halt nur gefreut, dich wiederzusehen.", lächelte er unsicher.
"Ist schon in Ordnung. Ich freue mich ja auch. Wirklich.", ich stützte meine Arme an den Beckenrand und starrte vor mich hin.
"Die sind ziemlich aufdringlich gewesen, oder?"
"Hmhm", ich vermied es, ihm in die Augen zu schauen.
"Lass uns es einfach vergessen, ja?", Josh nahm mich in die Arme.
"Einverstanden.", flüsterte ich.
Denkst du wirklich, ich werde das jemals in meinem Leben vergessen?

Imprisoned in a GhosttownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt