Prolog

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~29.02.1998~

Überglücklich hielt die junge Mutter ihre Tochter im Arm.

Das kleine Neugeborene hatte nun aufgehört zu schreien und sah ihre Mutter unverwandt an. Der Frau stockte der Atem, als sie in die blauen Augen des Mädchens sah. In die blauen Augen, die ihren so ähnlich waren und doch einen entscheidenden Unterschied vorlagen.

Der Vater des Babys merkte die plötzliche Gefühlsschwankung seiner Freundin und fragte, ob alles in Ordnung sei. Er erhielt keine Antwort, da die Frau immer noch wie gebannt in die Augen ihres Kindes blickte.

Der Mann trat an ihre Seite und sah nun, was die Aufmerksamkeit seiner Freundin auf sie gezogen hatte.

Eine Stimme erklang vom Eingang des Zimmer und das Mädchen, die Schwester der Mutter erkundigte sich, was passiert war, da auch sie bemerkte, dass etwas nicht mit rechten Dingen zu ging.

Daraufhin löste die Frau nun endlich ihren Blick vom Baby. Jetzt wo sie die Augen des Kindes nicht mehr anstarrte, wollte sie es auch nicht wieder tun. Ihr Baby war nicht normal, das stand fest und damit kam sie nicht klar. Ein merkwürdiges Gefühl kam in ihr hoch und der einzige Gedanke, der sie beherrschte war: Ich will dieses Baby nicht.

Die anfängliche Freude war wie weg geblasen und stattdessen beherrschte Abneigung die Handlungen der Frau. Sie tauschte einen Blick mit ihrem Freund aus und sie waren sich einig. Ohne ein weiteres Wort nahm der Vater sein Kind an sich und verließ den Raum. Die Schwester war völlig verdutzt und verstand nicht, was los war. "Er bringt das Kind weg. Wir können es nicht behalten", erklärte die Mutter mit starrem Blick, der keine Emotionen widerspiegelt. Es schien fast so als wäre sie ferngesteuert. 

"Das könnt ihr doch nicht machen!", rief ihre Schwester aus dem Impuls heraus, "Das ist doch euer Kind! Ist das euer Ernst? Wie könnt ihr über so etwas auch nur nachdenken?" Als sie keine Reaktion von ihrer Schwester bekam, machte sie sich daran dem Vater des Kindes zu folgen. Dieser ging schon nach draußen und stieg in sein Auto ein. Er startete den Motor und ignorierte die hysterischen Schreie, von dem Mädchen, die gegen das Fenster an der Fahrerseite klopfte und ihn anflehte das Kind nicht web zubringen. 

Dem Mädchen würde es zwar nicht einfallen ihre Nichte aufzunehmen, immerhin ging sie selbst noch in die Schule, aber sie wollte, dass ihre Schwester das Kind behielt. Sie verstand nicht was mit der monatelangen Vorfreude geschehen war. Diese Reaktion jetzt war alles andere als normal und sie konnte es beim besten Willen nicht verstehen. 

Mittlerweile war es auch schon zu spät, denn das Auto fuhr los. Wohin genau, wusste das Mädchen nicht.

Der junge Mann fuhr bis ins andere Stadtteil und machte erst bei einem relativ großen, weißen Gebäude halt. Er nahm das Baby, welches wieder angefangen hatte zu Schreien, in seine Arme und stieg aus. 

Eilig legte er sein Kind vor die hölzerne Tür ab und drehte sich, ohne dem Baby noch einmal in die Augen zu blicken, zu seinem Auto um. Er fuhr so schnell wieder weg, dass er gar nicht bemerkte, wie die Lichter in dem Gebäude angingen und im nächsten Moment eine ältere Dame die Tür öffnete und zum, in einer fliederfarbenen Decke eingewickelten, Baby blickte. 

Schockiert hob sie dieses hoch und brachte es ins Haus. Das Kind blickte neugierig in die Augen der Frau, bei der augenblicklich ein mulmiges Gefühl entstand. Ihr kam der Gedanke auf, dass das Baby nicht so war wie andere Neugeborene. Aber auch wenn sie das Gefühl hatte, dass das Kind nicht hierher gehörte, konnte sie es nicht einfach irgendwo anders hinbringen. Wenn schon ihre Eltern es nicht haben wollte, musste sie dort bleiben. Dafür war diese Einrichtung immerhin da.

Schnell wurde ein freies Bett für den Neuankömmling gemacht und so hatte das gerade mal ein paar Stunden alte Baby ein neues Zuhause, in einem Haus mit duzend anderen Kindern, die ungewollt waren oder ihre Eltern verloren hatten.

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