"Ich brauche etwas Zeit", brachte ich schließlich heraus. Ich konnte sehen, wie Xenjas Gesichtsausdruck etwas fiel und ihr Lächeln brach, aber sie fing sich schnell wieder und setzte erneut ein freundliches Lächeln auf. "Okay, kein Problem. Du weißt ja, dass ich morgen sonst auf dich im Laden warte", erinnerte sie mich und fügte noch hinzu, "Würde mich wirklich freuen, wenn du mehr erfahren willst und uns eine Chance gibst." Sie klang aufrichtig und ich glaubte ihr, dass sie es ernst meinte, sie würde sich freuen.
Mit einem etwas mulmigen Gefühl verließ ich die drei und ging nach Hause. Ich wusste nicht ob das mulmige Gefühl wegen dieser merkwürdigen Begegnung war oder weil ich nicht sofort zu gesagt hatte mit ihnen zu reden. Aber normelerweise vertraute man Fremden nicht einfach so, auch nicht wenn man endlich mal das Gefühl hatte, es gäbe jemanden der einen verstand, oder?
Ich verwarf meine eigentlichen Pläne, mich in der Gegend umzusehen, denn diese Begegnung hatte mich doch etwas aufgewühlt.
Eigentlich sollte ich ja glücklich sein und die Chance nutzen mit ihnen zu reden, denn sie hatten Recht, ich war anders und sie genauso. Ich dachte daran zurück, als ich es in ihren Augen gesehen hatte. Ich selbst hatte bei mir diesen kleinen Unterschied erst mit 11 Jahren bemerkt. Damals hatte ich vor dem Spiegel gestanden und bin plötzlich darauf aufmerksam geworden.
Normalerweise fiel es gar nicht auf, aber wenn man genau in meine Augen blickte, sah man um die Pupille herum ein Muster. Es waren kleine schwarze Verschnörkelungen die dann mit einem Kreis umrundet waren und außerhalb des Kreises sah meine Iris so aus wie jede andere.
Genau so eine Art von Muster hatte ich auch bei den drei Fremden gesehen. Während Megan genau wie ich blaue Augen hatte, hatte Xenja grüne Augen gehabt und Joseph braune. Alle hatten diese Muster in schwarz. Ich wunderte mich jedoch immernoch, weshalb ich das Muster in Joseph Augen nicht schon am Tag zuvor gesehen hatte. So eindringlich wie er mich angesehen hatte, hätte ich doch etwas merken sollen... Heute hatte ich das Muster jedenfalls deutlich sehen können.
Ein weiterer Gedanke kam mir in den Kopf. War dieses Muster wirklich der Grund dafür, dass ich mich immer so fehl am Platz gefühlt hatte? Nur weil ich so eine Muster in meiner Iris hatte, hieß das doch noch lange nicht, dass ich besonders war!
Wahrscheinlich würde ich auch nie eine Antwort darauf bekommen, wenn ich nicht am morgigen Tag mit Xenja reden würde.
Ich wusste nur nicht, ob ich wirklich eine Antwort darauf haben wollte. Ich hatte mich schließlich gerade erst von dem Heim und den damit verbundenen Gefühlen, der Zugehöriglosigkeit, verabschiedet. Ich hatte einen neuen Start gewollt. Neu anfangen und das alles hinter mir lassen, das hatte ich mir gewünscht.
So einfach war das dann leider doch nicht. Ich beschäftigte mich den ganzen Tag mit diesem Thema, da ich einfach nicht weiter wusste und mich auch nicht ablenken konnte. Sogar als ich den Fernseher angeschaltet hatte, schaute ich die ganze Zeit nur in die Augen der Leute. Alle hatten eine normale Iris. Vielleicht hatte ich am Vormittag das erst und letzte Mal so ein Muster bei jemand anderen gesehen. Dieser Gedanke machte mich irgendwie traurig und ich spielte wirklich mit der Möglichkeit am nächsten Tag zu dem Geschäft zu gehen. Aber nur damit sie sich erklären konnten! Ich musste ja wissen warum sie sich so merkwürdig verhalten haben... Das redete ich mir jedenfalls ein.
Die leise Hoffnung, dass ich dann auch etwas über mich erfahren würde, war natürlich auch noch da.
Als ich weitere zehn Minuten damit verbracht hatte einen Film anzusehen, aber dabei nur auf die Augen zu achten, schaltete ich den Fernseher aus und gab es auf mich abzulenken. Meine Neugier war geweckt, das konnte ich nicht bestreiten.
Kurzerhand ging ich zu meiner Kommode und kramte ein gelbes Buch heraus. In dem Buch waren Fotos, die ich angesammelt hatte und auch immer mal wieder von den Leitern im Kinderheim bekommen hatte. Es waren nicht sonderlich viele, aber genug als Andenken um in Erinnerungen zu schwelgen und in der Zukunft vielleicht mit meinen Kinder auf dem Sofa zu sitzen und ihnen zu zeigen, wie ihre Mutter früher aussah und wie meine Kindheit ausgesehen hatte.
Ich würde mich um meine Kinder sorgen, dass wusste ich. Mir würde nicht im Traum einfallen sie einfach allein zu lassen und wegzugeben. Ich lächelte traurig und mir wurde bewusst, dass ich es tatsächlich geschafft hatte auf andere Gedanken zu kommen. Ich war mir aber nicht sicher, ob diese Gedanken so viel besser waren, als meine vorherigen...
In dem Moment fiel mir sowieso wieder ein, warum ich das Fotoalbum hervorgeholt hatte.
Ich blätterte Seite für Seite um, um zu kontrollieren, ob ich auf jedem Bild das Muster in meiner Iris hatte.
Als ich fertig war, konnte ich mit großer Sicherheit sagen, dass ich damit geboren war und außerdem, dass niemand sonst im meinem Umfeld so eine Iris gehabt hatte.
Anscheinend hatte auch nie jemand gemerkt, dass meine Augen eine kleine Besonderheit aufwiesen. Weder meine Kollegen in der Arbeit hatten dies bemerkt, noch meine früheren Freunde. Sie hatten aber auch nie wirklich eine Möglichkeit dazu gehabt, ich hatte mich in den letzten Jahren schließlich ziemlich zurückgezogen.
Ein weiterer Gedanke kam mir. Wenn ich nun wirklich welche gefunden hatte, die so waren wie ich. Würden Sie dann länger in meinem Leben bleiben, als die anderen?
Da ich es, besonders in den letzten Jahren, nicht kannte jemanden zu haben, dem ich mich anvertrauen konnte, war dieser Gedanke schon ziemlich verlockend.
Ich hatte eigentlich gedacht, ich hätte mich damit abgefunden, wie ein Einzelgänger durch die Welt zu streifen, aber wo es nun eine andere Möglichkeit zu geben schien, wollte ich es doch nicht darauf ankommen lassen.
Ich legte das Fotoalbum zurück in die Kommode und legte mich ins Bett. Ich hatte mich entschieden die Chance anzunehmen und Xenja morgen einen Besuch abzustatten.
Ich war nervös, aber ich freute mich schon darauf endlich mehr zu erfahren, auch wenn ich noch keine Ahnung hatte, was für Informationen das sein würde.
![](https://img.wattpad.com/cover/57952408-288-k869859.jpg)
DU LIEST GERADE
Intercalary
Fantasi"Du bist anders. Das hast du wahrscheinlich selbst bemerkt und du hast das Gefühl, dass dich niemand versteht, aber das stimmt nicht. Wir verstehen dich. Wir sind alle anders." "Wovon redest du denn da?", rief ich aus, da ich langsam das Gefühl hatt...