Kapitel 6

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"Shouta!? Was um gottes Willen ist denn mit dir passiert?!" Entsetzt sah ich meinen kleinen Bruder an. Seine Schuhe waren nass, die Klamotten dreckig und sein Schulranzen vollkommen zerstört. Ich sah erschüttert auf sein drecküberzogendes Gesicht und wartete immernoch auf eine Antwort. "Es ist nichts.", sagte er leise und bedrückt. "Lüg mich ja nicht an! Als ob nichts passiert wäre, nachdem du so nachhause kommst! Sag mir die Wahrheit!" "Ich bin nur hingefallen!! Es geht mir gut und jetzt lass mich in Ruhe!!", schrie er mich an und rannte hoch in sein Zimmer und knallte die Tür heftig zu. Er blieb den ganzen Tag in seinem Zimmer und nahm kein Abendessen zu sich.  Am nächsten Tag ging er jedoch ganz normal zur Schule, trotzdem erzählte er Papa und mir nichts.  Auch ich ging zu meiner Mittelschule und erzählte Minako, dass etwas mit Shouta nicht in Ordnung wäre. Also beschlossen wir nach der Schule zu Shouta zu gehen, in der Hoffnung so etwas herauszufinden.
Wir kamen an und sowohl ich als auch Minako konnten unseren Augen nicht trauen. Ich sah von Weitem wie mein Bruder einem anderen Jungen, der einen Zettel in der Hand hielt, hinterher rannte. Hinter denen kamen noch andere Kinder dazu, die seine Schultasche hielten und so bildeten sie einen Kreis um ihn. Es schien so, als würden sie ihn ärgern und Shouta war total außer sich. Wir kamen näher um uns die Situation genauer zu betrachten, die mir von Anfang schon nicht gefiel. "HaHaHa! Da scheint unser Shouta wohl in Momoko verknallt zu sein! Und was ist das für ein schnulziger Liebesbrief?!", wedelte er den Zettel in der Luft. "Gib es sofort zurück!", brüllte er, "Das gehört mir!"
"HaHa! Ey Leute schaut euch das mal an! In seinen Büchern steht überall Momokos Name. Da auch! Und da auch! Er hat sie sogar gezeichnet!", lachte ein anderes Kind, der in seiner Schultasche rumwühlte "Das ist ja total abartig! Bist du etwa ein Freak?", ekelte sich  ein anderes Mädchen.  Alle haben seine Sachen über ihn hin und her geworfen und ich musste qualvoll mitansehen wie mein kleiner Bruder verzweifelt versucht hatte seine Sachen wieder zubekommen. "Du wagst es wirklich Momoko einen Liebesbrief zu schreiben?! Denkst du etwa du hättest eine Chance, jemand wie du verdient sie nicht!" Mit diesen grausamen Worten zerriss der kleine Junge Shoutas Brief. "Du-! Was zur Hölle hast du getan!!" Jeder fing an laut zu lachen, ich konnte diesen Anblick nicht mehr ertragen und ging zu denen. "Hört sofort auf damit!! Habt ihr alle nichts Besseres zu tun, als meinen Bruder zu ärgern?! Gibt mir auf der Stelle die Sachen von ihm zurück!" Plötzlich schwiegen alle und waren auch ein wenig schockiert. "Uuhhhh wie peinlich! Deine Schwester muss sogar extra kommen, um dir zu helfen!"
"HaHa alleine bekommst du echt nichts auf die Reihe!" Jetzt machten sie sich lustig über ihn, sogar mehr als vorher. "Was soll d-" "Misch dich nicht in meine Angelegenheiten ein! Das geht dich überhaupt nichts an! Ich regle meine Probleme alleine!", unterbrach mich Shouta und schrie mich dabei an. "Deine Probleme alleine lösen? Wie willst du das bewerkstelligen? Alles was du kannst ist doch nur zu betrügen! Du bist so ehrenlos! Sogar Momoko denkt das. Sie hasst dich!" Bei dieser Aussage zuckte er zusammen und rannte daraufhin weg.
Ich und Minako rannten ihm hinterher, nach einer Weile fanden wir ihn am Spielplatz. Er saß auf einer Schaukel und sah unglaublich deprimiert aus. "Shouta...", fing ich an, doch er schenkte mir keine Aufmerksamkeit, "Was ist los? Warum ärgern sie dich? Du kannst mit uns über alles reden, wenn du in Schwierigkeiten bist." Er schaute langsam hoch. "Ja genau, dafür sind wir doch da.", ergänzte mich Minako.
Auch wenn er anfangs etwas zögerlich war und sich nicht sicher war, ob er es sagen sollte, hat Shouta uns glücklicherweise doch noch eingeweiht.
"Ich... Ich werde zurzeit in der Schule gemobbt... E-es gibt ein Gerücht, das besagt, dass ich angeblich während der Prüfungen geschummelt haben sollte, weil man in meiner Schultasche die Prüfungen mit den Lösungen gefunden hat.  Außerdem hat man in einem Überwachungsvideo gesehen, wie ich in meinen Akten meine Noten geändert habe... Aber glaubt mir bitte!! Ich war das nicht! Jemand hat das ausgeheckt und das Video manipuliert! Ich war das wirklich nicht, nur kann ich es nicht beweisen..." Ich merkte, dass er am Rande der Verzweiflung war und das er unbedingt seine Unschuld beweisen möchte. "Keine Sorge, ich und deine Schwester glauben dir. Wir wissen, dass du soetwas niemals tun würdest.", tröstete ihn Minako sanft. "Minako hat recht, das ist nämlich nicht deine Art.", grinste ich um seine Laune zu verbessern, "Shouta ich verspreche dir, dass du nicht mehr leiden musst! Ich werde dich beschützen und den Übeltäter finden, der dir das angetan hat. Immerhin bin ich ja deine Schwester ;)"
"Hör auf damit, dass ist ja sowas von peinlich! Ich bin doch kein Kind mehr, ich gehe schon in die 5. Klasse ich brauche keine Argumente, die mich aufmuntern.", sagte er beschämt und wurde leicht rot. Dennoch konnten wir sehen, dass es ihm etwas besser ging und sein Selbstbewusstsein kehrte wieder zurück. Anschließend haben wir uns von Minako verabschiedet und gingen heim. "Ey Shouta?", fragte ich, "Wer ist denn diese Momoko?"  "W-was?! Irgendein Mädchen aus meiner Klasse. Wieso fragst du?"  "Die anderen meinten doch, dass du dich in sie verliebt hast. Und? Wie ist sie so?", fragte ich mit einem erwartungsvollem Blick. "Sie... Sie ist die Einzige, die nett zu mir ist und auch die Einzige, die glaubt, dass ich unschuldig bin.", sagt er mit einem strahlenden Lächeln, was mich sehr gefreut hat.
Am nächsten Tag ging ich wieder zu Shoutas Schule, diesmal alleine, weil Minako ihrer Mutter aushelfen musste. Ich wollte sicher gehen, dass mein kleiner Bruder nicht nochmal verärgert wird. Doch mir stockte der Atem, als ich ihn endlich gesichtet habe. Fassungslos schaute ich mit großen Augen nach oben... versteinert stand ich da, weil ich nicht realisieren konnte, was ich da sah. Shouta... mein kleiner Bruder... er stand auf dem Schuldach und war bereit runter zuspringen. So schnell wie der Schall rannte ich mit einem furchtbaren Gefühl hoch, ich sprintete in seine Schule zu den Treppen. 'Shouta! Shouta wehe du tust was Falsches! Wehe!' Das war der einzige Gedanke, den ich im Moment fassen konnte.  Als ich die Tür zum Schuldach aufriss, war es schon zu spät. Bevor er absprang, drehte er sich noch zu mir um und sagte mit erstickender Stimme zu mir "Es tut mir leid Schwester". Mit letzter Kraft versuchte ich ihn noch zu erreichen um seine Hand zu halten, aber es war aussichtslos.  Alles was ich sehen konnte, war sein tränenüberströmtes Gesicht mit einem traurigen Lächeln. "Nein... Nein! NEIN! DAS KANNST DU MIR NICHT ANTUN!! NEINNN!! SHOUTAAAA!! NEEIIINNNN!!!" Ich weinte, während ich gleichzeitig auch schrie. Ich schrie mir die Seele aus dem Leib. Ich weinte, bis ich kaum noch atmen konnte und wegen meinen eigenen Tränen erstickte...

"Neeeiiiinnn!!!" Verschwitzt wachte ich auf und atmete schwer.  Als ich dann aufstand, holte ich schnell und tief Luft. Mein Herz raste und ich konnte das Herzklopfen sogar laut und deutlich hören. 'Ein Traum also... Warum habe ich ausgerechnet von damals geträumt? Dabei hab ich gedacht, ich sei davon hinweg gekommen.' Blitzartig merkte ich meine höllischen Kopfschmerzen und ziehte eine qualvolle Grimasse, dann legte ich mich wieder hin. Angestrengt und verwirrt sah ich mich im Raum, wo ich mich befand, um. "Wo...bin ich?", fragte ich mich schwach. "Du bist gerade beim Tierarzt.", nahm ich eine zarte Frauenstimme wahr. Dann hörte ich wie eine Tür zuging und die Schritte der Frau immer näher kamen. "Wer sind sie?", fragte ich sie erschöpft. "Ich bin die Assistentin und auch die Ehefrau des Tierarztes hier." Sie war sehr hübsch in ihrem schwarzen Rock, rotem Oberteil und ihrem weißen Kittel. Sie hatte einen langen Zopf und eine schöne Figur. "Du scheinst einen Alptraum gehabt zu haben. Ich habe dich im Schlaf schreien gehört."  "Es war nicht wirklich ein Alptraum, sondern eine unangenehme Erinnerung. Mein Bruder hat wegen Mobbing Selbstmord begangen..." Sie guckte mich sehr geschockt an und schwieg daraufhin. "Er hat sich vom Schuldach gestürzt..." Ich konnte meine Tränen noch knapp aufhalten, als ich an ihn denken musste. "Das tut mir sehr leid für deinen Bruder.", kam es von ihr besorgt. "Vielen Dank. Eigentlich hat er es nicht ohne Grund getan, denn in seinem Abschiedsbrief, was er für mich hinterlassen hatte, stand, dass seine große Liebe dafür verantwortlich war, warum er gemobbt wurde. Außerdem hat man, bevor er sich umgebracht hatte, eine Blumenvase auf seinen Tisch gestellt, was man eigentlich nur für tote Mitschüler macht. Dieser Tag, wo er das alles erleben musste, hat ihn sicher traumatisiert..."
"Das muss bestimmt schrecklich für ihn gewesen sein, vorallem weil seine Liebe für all sein Leid verantwortlich war.", meinte sie mitfühlend. "Das Schlimmste ist einfach nur, dass ich ihn nicht retten konnte. Ich konnte meinen kleinen Bruder nicht helfen, dabei hatte ich es ihm doch versprochen. Er hat doch auf mich gezählt und ich habe ihn enttäuscht.", teilte ich mit. "Ich bin mir ganz sicher, dass er deine Hilfe zu schätzen wusste. Du warst für ihn bestimmt genauso wichtig, wie er es für dich war.", versuchte sie mich zu trösten. "Ja, sie könnten recht haben.  Auf jeden Fall muss ich voranschreiten, sowohl für mich, als auch für ihn. Immerhin habe ich es mir geschworen. Er will mich bestimmt nicht sehen, wie ich mir über vergangene Zeiten den Kopf zerbreche."  "Du bist ziemlich omptimistisch, aber das ist auch gut so. Man kann die Vergangenheit nicht ändern, aber man kann die Zukunft beeinflussen." Mit diesen aufmunternden Worten lächelte sie mich an.

*hust hust* Plötzlich musste ich heftig husten, weshalb ich mich am Hals fasste. "Wo ist er? Wo ist er bloß hin?" Ich schaute mich umher, aber ich fand es nicht. Die Assistentin guckte mich verwundert an. "Was ist los? Suchst du nach irgendetwas?" "Ich finde meine Halskette nicht. Sie muss hier irgendwo sein. Diese Kette ist mir sehr wichtig!" "Ach du meinst diese Kette hier?" Sie nahm eine kleine Schachtel raus, worin sich die Kette befand. "Tut mir leid, aber ich habe dir die Kette entfernt, weil es sicher unangenehm wäre, damit zu schlafen."
"Danke, vielen Dank. Sie bedeutet mir sehr viel. Es bereitet mir viel Freude, weshalb ich auch oft fröhlich den Tag verbringe.", sagte ich dankbar und erleichtert. "Ah ich verstehe."

"Ich hab da eine Frage, wieso bin eigentlich hier?, fiel mir plötzlich ein.
"Dein Freund hat dich hierher gebracht mit einem sehr verletzten Hund. Er hatte es ziemlich eilig gehabt. Dich wollte er dann zum Krankenhaus bringen, aber da du dich nicht zu schwer verletzt hast, haben wir dich hier ausruhen lassen." 
"Mein Freund?" 'Langsam erinnere ich mich wieder, da waren doch diese Schlägertypen, die den kleinen Welpen verprügelt haben und mich daraufhin auch. Bevor ich bewusstlos wurde, kam dann ein Fremder, leider konnte ich sein Gesicht nicht sehen.'
"Ja, er ist draußen beim Hund, der gerade behandelt wird." Sie zeigte mir die Tür, die zum Behandlungsraum führte. Ich stand auf und ging dorthin. Als ich die Tür langsam öffnete, sah ich, dass jemand den Griff auch festhielt und anscheinend ebenfalls die Tür öffnen wollte. Wir guckten uns beide verwirrt an.
"Hanami?"
"Ken?"

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 05, 2016 ⏰

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