Es regnet immernoch, als ich blind das Schulgebäude verlasse und das Gelände ablaufe, um einen geeigneten Platz zu finden.
Schließlich entscheide ich mich für eine Bank, die glücklicherweise gerade noch unter dem Dach der riesigen Turnhalle steht und lasse mich auf ihr nieder.
Die Hände vor der Brust verkreuzt, um nicht so schnell zu frieren, versuche ich die eben vorgefallene Situation zu verdauen.
Ich habe mit Konsequenzen gerechnet, ja. Aber niemals hätte ich gedacht, dass die wohl wichtigste Person in meinem Leben, natürlich neben meiner Familie, sich gegen mich stellt. Diese Tatsache schmerzt wohl mehr, als jeder verächtliche Blick, der mir auch nach dem Schulgong von besonders langsamen Leuten oder Schwänzern im Gang zugeworfen wurde.
"Du darfst nicht auf sie hören", ertönt eine Stimme neben mir und ich reiße meinen Kopf in die Richtung. Als wäre es selbstverständlich, setzt er sich neben mich und vergräbt seine Hände in den Hosentaschen seiner dunklen Jeans. Natürlich, Colin mied den Unterricht wie die Pest und hat wahrscheinlich jetzt schon, am Anfang des Schuljahres, mehr Fehlstunden als ich sie bis jetzt in meiner gesamten Schulzeit habe.
Während ich ihn anblicke und er so desinteressiert die Bäume neben dem Footballplatz betrachtet, verspüre ich auf einmal eine unglaublich große Wut. Wut auf ihn. "Verpiss dich", knurre ich und versuche nicht allzu überreagieren. Erstaunt sieht er mich an.
"Hau einfach ab verdammt, es ist deine Schuld. Wegen dir will Jade nichts mehr mit mir zu tun haben", schluchze ich halb und erst jetzt wird mir mein Handeln bewusst. Ich habe eine Freundin verloren und schreie hier gerade einen fremden Jungen an, nur um irgendwie Jade's Entscheidung rechtfertigen zu können. Nur um irgendwie einen Schuldigen für die Sache zu finden.
Die Tränen fließen mir über das Gesicht, natürlich ungewollt und ich wische sie hektisch mit dem Ärmel meines Sweatshirtes weg. Ich fange an, wütend auf mich selbst zu werden.
Umso überraschter bin ich, als Colin ohne Vorwarnung seine Arme um mich schließt und mich in eine Umarmung zieht. Sie ist kurz, vielleicht einen Atemzug lang, aber dennoch macht sie mich sprachlos. Eine Geste, die so viel mehr über ihn aussagt, als jedes seiner Worte es tun würden.
Bevor ich es realisiere, steht er auch schon wieder auf und zieht sich die Kapuze seines Pullovers über. "Weißt du Adina, manchmal kommt die Zeit, in der du einfach merkst, dass du nicht jedem vertrauen kannst. Anfangs ist es meist verdammt hart, aber halte dir immer vor Augen, dass jeder das kriegt, was er gibt", meint er. Seine Stimme klingt kratzig, irgendwie rau, als würde er kaum sprechen. Als würde es ihm schwer fallen, zu sprechen.
Ich mag seine Stimme.
Ich würde gerne länger über sein Gesagtes nachdenken, doch ich bemerke, wie er sich tatsächlich zum Gehen wendet und Richtung Ausgang läuft.
Die Wut ist verflogen, stattdessen beginnt das allen bekannte schlechte Gewissen an mir zu nagen. Ich bekomme das Gefühl, dass ich es ihm schulde, ihm Gesellschaft zu leisten.
Hektisch greife ich nach meiner Schultasche und springe auf. "Warte, warte, warte!", rufe ich ihm hinterher und renne los.
Er bleibt nicht stehen und dreht sich auch nicht um, jedoch merke ich, wie er seine Schritte verlangsamt, damit ich ihn einholen kann.
Ich komme völlig aus der Puste neben ihm an und verfluche mich für meine Unsportlichkeit.
Auch er sieht mich verblüfft an. "Du bist doch nicht wirklich schon nach dem kurzen Sprint außer Atem?", fragt er mich, während ich meine Hand in meine Seite drücke, da ich doch tatsächlich nach dem kurzen Weg Seitenstechen bekommen habe.
Ich versuche ihn gespielt böse anzugucken und fange daraufhin an zu lachen, da ich weiß, wie bescheuert mein Gesichtsausdruck aussehen kann. Er stimmt mit ein, kurz, leise und irgendwie schüchtern.
Grinsend boxe ich ihm freundschaftlich gegen die Schultern, während er mit einem leicht gesenkten Blick weiterläuft.
"Es wäre mir eine Ehre, den Rest meiner Schwänzzeit mit dir zu verbringen", teile ich ihm feierlich mit. Seine Mundwinkel zucken kurz, dennoch räuspert er sich und sieht mich dann wieder stumpf an.
"Ich verbringe meine Schwänzerstunden bevorzugt alleine", meint er. Ich bemerke, dass wir uns dem Schultor nähern.
"Das war jetzt ein Korb. Es ist meine erste Schwänzerstunden und ich möchte vom Profi lernen", sage ich und er sieht mich wieder nur verblüfft an.
"Was denn? Ich verpasse halt nicht wirklich gerne was. Ich dulde keine Widerrede", verteidige ich mich. Ich nehme nur ein kurzes Nicken war und seufze innerlich.
Es fühlt sich an, als würde man mit einem Stein reden. Genauso teilnahmslos, stumm und kalt.
Verzweifelt versuche ich das Gespräch auf dem Laufenden zu halten.
"Wohin gehen wir eigentlich?", frage ich.
Er lacht kurz leise und sieht mich dann wieder an. "Ich gehe nach Hause. Wohin du gehst, bleibt dir überlassen", antwortet er mir.
Ich rechne mir im Kopf aus, wieviele Fehlstunden es ergeben würde, wenn ich jetzt einfach gehen würde. Das Ergebnis, welches rauskommt, scheint für mich nicht allzu dramatisch zu sein.
Ich werfe mir die Schultasche über die Schulter und muss lächeln, als wir das Schulgelände verlassen und die plötzliche Freiheit und Sorglosigkeit mich übermahnt.
"Ich komme mit dir."
Adina, die, die nicht mehr zusehen wollten.
Adina, die, die anfing den komischen Jungen zu mögen.-
Wir sind übrigens auf Platz 6, was mich total überrascht. Vielen Dank!
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Break up
Short Story"Wir könnten Legenden werden. Wir würden niemals sterben, da unsere Namen noch generationenlang im Gedächtnis der Menschen verankert bleiben würden" -