Kapitel 1 - Alltag.

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Was bedeutet es für dich zu atmen? Ich meine, ist es etwas völlig normales oder ist es ein Gefühl von Freiheit? Hätte man mir diese Frage vor einem Monat gestellt, hätte ich darüber hinweggelacht und mir gedacht was das für eine überflüssige Frage sei. Mittlerweile denk ich, seit dem ich weiß, dass ich bald sterben werde, ganz anders über dieses Thema. Denn ich bin krank.. So krank, dass ich nicht mehr viel Zeit habe. Nein, dass ist keine Geschichte worin es um 'Leb dein Leben solange du noch Zeit hast und arbeite deine To-Do Liste ab!' geht, es ist eine Geschichte einer Lügnerin.

1 Monat vorher..

'Gott, ich habe gar keine Lust jetzt auf Mathe, erst recht nicht auf Herr Schmitd!' fing sie wieder an. 'Asli, hör auf zu nörgeln, es ist nur Mathe und außerdem ist Herr Schmitd gar nicht so schlecht wie du immer denkst.' antwortete ich ihr und trank weiter mein Café.

Asli, war meine beste Freundin, ich kannte sie schon seit der Grundschule und momentan machten wir gemeinsam unseren Abi. Wie ihr vielleicht schon gemerkt habt, ist sie nicht wirklich ein großer Mathe-Fan, eigentlich hasst sie die Schule und wenn es nach ihr ginge, hätte sie nach der 10. Klasse eine Ausbildung angefangen, jedoch hatten ihre Eltern ganz andere Pläne für sie. Sie hatten eine ganz bestimmte Vorstellung was die Zukunft ihrer Tochter betraf, einen guten Realschulabschluss, natürlich mit Qualifikation damit sie weiter Abitur auf einem Gymnasium machen konnte. Sie wurde sozusagen dazu gedrängt, somit versuchte sie, auch wenn es ihr schwer fiel, die perfekte Tochter-Rolle für ihre Eltern zu spielen und ihren Vorstellungen zu entsprechen.

Und ich? Tja, ich war die größte Streberin und um ehrlich zu sein drehte sich in meinem Leben alles um Schule. Im Gegensatz zu Asli wäre es für mich undenkbar nach der 10. Klasse eine Ausbildung zu beginnen. Ich hatte mein Leben bereits voll und ganz durch geplant, einen guten Realschulabschluss, mein Abi machen, danach studieren und ab ins Ausland. Wer ich bin? Mein Name ist Nefes, bin 17 Jahre alt und ein Mädchen die nicht mehr viel Zeit zum Leben hat und es noch nicht weiß..

Mittlerweile war es schon Schulschluss, ich ging durch die Flure, durch die Tür und raus. Spürte die Sonne auf meiner Haut und atmete langsam ein und aus, bis mich jemand anrempelte und meine Bücher auf den Boden fielen. Sofort bückte ich mich um sie aufzuheben und haute genervtnoch paar Beleidigungen auf türkisch raus, da ich davon ausging, dass die Person, die mich angerempelt hatte, mich nicht verstehen würde 'gerizekali..(Schwachkopf)' .

Die Person bückte sich auch und half mir die Bücher einzusammeln 'Du weißt schon das ich dich verstehe?' Plötzlich wurde ich rot und schaute ihm ins Gesicht, es war ein Junge, wahrscheinlich aus der 12. Klasse. 'Hättest du aufgepasst und mich nicht angerempelt, hätte ich dich auch nicht beleidigt!'. Rasch stand ich mit meinen Büchern auf und war kurz davor weiter zu gehen bis er einen dummen Spruch abließ 'Wozu hast du überhaupt eine Tasche um deine Schulter, wenn du nicht mal deine Bücher darin verstaußt? Kleiner Tipp von mir : Wenn du nicht willst das dir deine Bücher runterfallen, dann tu sie gefälligst in deine Tasche und mach nicht andere für deine eigene Dummheit verantwortlich Süße!' mit offenem Mund stand ich vor ihm, war das sein ernst?

Er war der jenige der mich anrempelte und jetzt war es meine Schuld das meine Bücher runterfielen? Er war echt der größte gerizekali der mir jemals begegnet ist. 'Du solltest dich herzlich wenig darum kümmern ob ich meine Bücher in meiner Tasche verstaue oder nicht! Pass nur auf das du nicht wieder jemanden umrempe...' bevor ich überhaupt meinen Satz beenden konnte setzte er seine Sonnenbrille auf, drehte sich um und stieg in sein Auto. Gerizekali!!!!!

Nach dem er weg war, tat ich meine Bücher in meine Tasche um sie nicht noch einmal vom Boden aufsammeln zu müssen. 'Hey, wer war denn der gutaussehene Typ vorhin?' fragte mich Asli nach dem sie auch mal endlich den Weg zum Parkplatz fand. 'Niemand besonderes, können wir jetzt endlich los fahren?' Ohne weitere Fragen zu stellen stiegen wir in ihr Auto und fuhren nach Hause. Ich hatte noch keinen Führerschein, weil ich mich voll und ganz versuchte auf die Schule zu konzentrieren, mir reichten schon die Klausuren, da bräuchte ich nicht noch irgendwelche anderen Prüfungen, weshalb mich Asli zur Schule abholte und auch wieder nach Hause fuhr, da es sowieso auf ihrem Weg lag. Wenn ich früher oder später als sie schluss hatte, fuhr ich mit der Bahn.

Endlich zu Hause angekommen, tat ich mein Schlüssel zur Seite und rief laut Ist jemand zu hause? Keine Antwort. Kein Wunder das keine Antwort kam, schließlich lebte ich nur mit meiner Mutter zusammen und hatte auch keine Geschwister und mein Vater? Tja, der hatte meine Mutter mit einer 12 Jahre jüngeren Frau betrogen und sie anschließend verlassen, weil er es seinem 'Türkischen-Ego' nicht antun konnte nur der Zweitverdiener im Haus zu sein. Meine Mutter verdiente mehr als er und er war viel zu stolz um, dass noch weiter mit zu machen, er dachte, er könne nicht seine Männlichkeit unter beweiß stellen wenn er nicht der Haupternährer der Familie sei. So ein Idiot.

Um ehrlich zu sein war ich sogar froh das sie sich getrennt hatten, ich konnte die ständigen Streitigkeiten der beiden nicht mehr mit anhören. Aber die Wahrheit war, das meine Mutter das größte Vorbild für mich war, - dieses Abi machen, studieren, im Ausland arbeiten - wollte ich nur, weil ich später genau so wie sie plante fest im Leben zustehen und nicht auf einen dummen Mann angewiesen zu sein, der sein eigenes Ego damit befriedigt die Rolle des Haupternährers der Familie zu übernehmen.

Naja, so viel zu meinem Leben.

Nefes - Und die erste Lüge beginnt.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt