Flucht

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2. Flucht

„Andere ... Welten", wiederholte Indigo tonlos, nachdem sie den Tee restlos aus ihren Atemwegen gehustet hatte. „Im Sinne von ... Planeten?"

„Im Sinne von Dimensionen, denke ich", erwiderte Moreno. „Ihr habt Geschichten darüber, nicht wahr? Bücher und Filme über fremde Universen, über ferne Königreiche voller Magie ..."

Magie?"

„Eines nach dem anderen", warf Lysanna rasch ein. „Das muss alles sehr schwer zu begreifen sein, aber ... nun, vielleicht hilft es dir, dass es auch nicht einfacher zu erklären ist."

„Es hält sich in Grenzen", murmelte Indigo.

„Im Großen und Ganzen wissen wir von zwei existierenden Welten", nahm Moreno den Faden wieder auf, „Dieser und der, aus der wir stammen: Lunadësia. Dort ist vieles ... nun, anders als hier. Wir haben keine Elektrizität ... keine Autos oder Schnellstraßen und so gut wie keine Schusswaffen. Stattdessen verfügen wir über eine Art ... innere Kraft –"

„Magie", wiederholte Indigo.

Moreno nickte. „Richtig. Magie. Natürlich wirkt das alles völlig absurd auf dich, aber du kannst uns glauben, dass es uns sehr ähnlich ging, als wir hierher kamen. Bisher haben die Welt der Menschen und Lunadësia praktisch unabhängig voneinander existiert und alles, was mit der Anderswelt zu tun hatte, galt bei uns als Legende. Es gab keine Beweise für die Existenz der Menschen, von einer Verbindung zwischen den Welten ganz zu schweigen –"

„Und jetzt seid ihr hier."

„Ja", bestätigte Lysanna. „Jetzt sind wir hier."

Unsinn!, schrie Indigos Verstand, doch sie hörte sich fragen: „Wie?"

Moreno seufzte. „Vor einigen Jahren gab es gewisse Ereignisse – die Details spare ich mir für ein anderes Mal, würde ich sagen – die es ermöglicht haben, Pforten zwischen den Welten zu öffnen. Nur die allerwenigsten Magier unserer Zeit sind mächtig genug, um so etwas zu schaffen und so wusste anfangs auch nur ein kleiner, eingeweihter Kreis über die Tore und die Anderswelt bescheid. Es gab einige Probleme, viele Diskussionen darüber, ob diese Tore überhaupt erstrebenswert sind und natürlich hatte man Angst vor unvorhersehbaren Konsequenzen. Wie sich herausstelle, zu Recht." Seine Miene verdüsterte sich. „Etwas stimmt nicht mehr in dem Gleichgewicht zwischen der Menschenwelt und Lunadësia. Die Tore wurden zwischenzeitlich geschlossen, doch etwas ist nachhaltig verändert. Schattenspäher – so nennen wir Magier, die Auren sehen können – berichten von Instabilität zwischen den Welten, fremden Energiespuren, die auftauchen und im nächsten Moment wieder verschwinden. Wir fürchten, dass es früher oder später zu spontanen, unkontrollierten Pfortenöffnungen kommen wird. Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie fatal ein ungeplanter Kontakt zwischen den Menschen und Lunadësia wäre. Deshalb hat unsere Regierung vor einiger Zeit besonders begabte Magier in die Anderswelt geschickt, um nach Toren zu suchen und sie zu stabilisieren oder zu schließen."

„Deshalb seid ihr hier?"

Morenos Lippen wurden eine Spur schmaler. „Nicht direkt. Ich bin ein Schattenspäher, aber keiner von uns beiden kann Tore öffnen oder schließen. Soweit wir wissen, braucht es dazu eine besondere, erst kürzlich neu aufgetretene Magie ... nun, vereinfacht gesagt sind wir hier, um nach diesen Toröffnern zu suchen."

Eine dunkle Vorahnung begann in Indigos Hals zu kratzen. Sie räusperte sich. „Ihr meint, Menschen mit ... magischen Fähigkeiten?"

Lysanna schüttelte sanft den Kopf. „Nein, Indigo. Keine Menschen. Lunadësier wie wir, die aus verschiedenen Gründen die Pforten passiert haben."

INDIGO EYES - Im Zeichen der ErdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt