Große Kämpfer

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Ihr Lieben,

es geht mal wieder weiter. Eigentlich habe ich gar nicht so viel zu sagen. Mal sehen, was ihr am Ende zu sagen habt. ;)

Kuss,

Luna

* * *


16. Große Kämpfer


Schweige, verbirg dich und halte

deine Gefühle und Träume geheim,

lass sie in der Tiefe deiner Seele

lautlos auf- und untergehen

wie Sterne in der Nacht;

erfreue dich an ihnen – und schweige.

(...)

Fjodor Iwanowitsch Tjuttschew: Silentium!

*

Indigo hatte nur vage Erinnerungen daran, was unmittelbar nach dem Verlassen des Versammlungsaals geschehen war. Irgendwie musste sie es durch die Korridore und zurück in ihr Gästezimmer geschafft haben, denn das Nächste, was sie wusste, war, dass sie langsam und fließend aus einem unvergleichlich erholsamen Schlaf erwachte. Zum ersten Mal seit Tagen hatte sie das Gefühl, tatsächlich wieder halbwegs Herrin ihrer Sinne zu sein. Der Erschöpfungselefant hatte sich endlich verzogen und in den ersten nebligen Sekunden, bevor sich die jüngsten Ereignisse gnadenlos ihren Weg zurück in ihr Bewusstsein bahnten, fühlte sie sich sogar irgendwie gut. Unglücklicherweise stellte sich der erste Dämpfer schon ein, sobald sie schlaftrunken nach einer neben der Waschschüssel zurückgelassenen Nachricht griff.

Jules – erwarte dich im Übungsraum (wenn ausgeschlafen). Für Hilfe berühre Kugel zu Parl. Bis später, Mio."

Auf der freien Stelle unterhalb der flüchtig hingekritzelten Zeilen konnte man mit etwas Fantasie eine sehr reduzierte Karte der umliegenden Korridore ausmachen. Eine gestrichelte Linie schien ihr den Weg in besagten Übungsraum weisen zu sollen, der sich offenbar in einem der Türme befand.

Indigo blinzelte. Sollte das ein Scherz sein? Bisher hatte man sie nicht einmal eine Türschwelle überqueren lassen, ohne ihr Begleitung an die Seite zu stellen. Offensichtlich hatte Mio eine andere Vorstellung von ihrem Orientierungssinn als die Königin oder Parl. Allerdings war sie sich nicht ganz sicher, wer sie in diesem Fall besser einschätzte. Kurz spielte sie tatsächlich mit dem Gedanken, über die Verbindungskugel um Hilfe zu bitten. Dann stellte sie sich vor, wie Parl Marsiy von Asteria – schrecklich groß, schrecklich gut gekleidet und schrecklich beschäftigt – eine schrecklich wichtige Arbeit unterbrach, um seine erwachsene Enkeltochter an der Hand zu ihrem Papa zu bringen. Sie verwarf die Idee. Wie groß konnte dieses Schloss schon sein?

Wie sich herausstellte: groß. Als Indigo sich fünf Minuten später mit der provisorischen Karte und einer verlockend aussehenden Frucht aus der Obstschale bewaffnet auf den Weg machte, brauchte es nur eine kurze Wendeltreppe und sie war völlig verwirrt. Auf der Suche nach etwas, das auf Mios Zeichnung aussah wie eine Art Springbrunnen, tigerte sie ganze zwanzig Minuten lang ziellos auf einem verlassenen Stockwerk hin und her, bis sie schließlich völlig entnervt genauer hinsah und erkannte, dass der Springbrunnen in Wahrheit ein Kronleuchter war. Obwohl diese Erkenntnis half, war Indigo heilfroh, dass die Gänge wie ausgestorben waren und ihr Augenzeugen erspart blieben. Hin und wieder glaubte sie, an der einen oder anderen Ecke eine Bewegung wahrzunehmen und vermutete Personal, das sich angesichts ihrer grimmigen Miene rasch für einen anderen Weg entschied.

INDIGO EYES - Im Zeichen der ErdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt