6 - Siebzehn Uhr

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Da sitzt sie. Mit verschränkten Armen und den Kopf darin, in dem rechten Eck des Zimmers. Sie hat ebenfalls das gleiche Nachthemd an und ihre langen Haare verdecken ihr ganzes Gesicht. Verängstigt hebt sie langsam ihr Kopf und murmelt währenddessen etwas vor sich hin. Ich gehe langsam zu ihr hinüber und greife sie am Arm an. Sie zuckt leicht und es dauert ein bisschen, bis sie auf mich schaut und mich erkennt. Ich lächel ihr zu, ihre Pupilen weiten sich und sie springt mir über den Hals.

"Gott sei Dank! Du bist am Leben!"
Ich beginne zu weinen und füge in einem gemurmel hinzu:
"Ich bin auch froh dich zu sehen."

Wir lösen uns von der langen Umarmung und sie streicht sich die Haare aus dem Gesicht. Ich erstarre und weiß nicht was ich sagen oder tun soll.
Starr es nicht so an! Leichter gesagt als getan, denn wenn das linke Auge deiner besten Freundin fehlt ist es schwer so zu tun, als ob nichts wär. Sie merkt die Unruhe, die sich gerade in mir bildet und sagt:

"Es tut nicht mehr so weh, wie vor zwei Wochen. Es brennt nur ab und zu."
"Vor zwei Wochen? Nein. Solange sind wir hier nicht!" füge ich panisch hinzu.
"Doch Keena." Sie geht ein paar Schritte zur Seite und ich sehe auf der Wand Striche, die Sonja reingeschnitzt hat. Es sind sogar mehr als eine Woche. Insgesamt 17 Tage.

"Keena was hast du am Schienbein?" fragt Sonja erschrocken.

"Mein Druckverband. Gefällt es dir?" füge ich ironisch hinzu.

"Nein wirklich, was ist passiert?"
Und ich erzähle ihr nicht von den 17, sondern von den mir bekannten drei Tagen. Sie schaut mich schockiert an, bis sie mir wieder über den Hals fällt und weinend sagt:

"Es tut mur do leid! Alles was hier passiert ist meine Schuld. Ich hätte uns nicht hierhe ..."

"Pshht" unterbrechen ich sie. "Es ist nicht deine Schuld. Du kannst nichts dafür."

"Doch Keena. Ich war so von den Lügen geble..."

Wieder unterbrechen ich sie und sage: "Das spielt jetzt keine Rolle. Wichtig ist nur dass wir von dem Psychsopaten abhauen. Ich kann mir seine pechschwarzen Haare und hellen Augen nicht mehr vorstellen."

"Schwarze Haare? Soweit ich mich erinnern kann hat er blonde Haare."
Verzweifelt schauen wir uns an und verängstigt sagt sie:
"Es sind doch mehrere. Ich wusste es. Ich habe es gespürt. Jeden Tag um 17 Uhr als die Tür aufgeschlagen wurde und ich schlagend aus dem Zimmer gezerrt wurde. Mir eine Stimme immer sagte, dass es mir gefallen wird und ich dann anschließend gefesselt wurde, jedesmal hatte ich in diesem Moment dieselben Selbstmordgedanken. Ich bin schmutzig. Meine Körper, meine Seele, alles an mir. Was macht man mit einem Stoff, welches einen Schmutzfleck bekommen hat und den nicht mehr raus bekommt? Man wirft ihn weg. Genau so muss ich auch weggeworfen werden."

"Sonja, nein! So schlimm alles auch ist, wir schaffen das. Wir wissen jetzt mehr. Es ist nicht nur einer, sondern zwei. Wer weiß vielleicht sogar mehr. Wir wissen wo die Ausgangstüre ist und wir wissen wohin wir beim Flüchten nicht hinrennen."

Sie schaut mich beruhigt an. Man sieht ihr an, wie sich ihr Körper seit langen wieder ein wenig entspannt und sich kurz von der Angst ablöst. Ihr Anblick bringt auch mich dazu mich zu beruhigen, bis es ganz still ist und beide tief in Gedanken versinken. An was sie wohl gerade denkt? Eine Zeit lang schauen beide verträumt in die Luft.
Von einer Sekunde auf die andere schlägt es mich aus meinen tiefen Gedanken durch das lauter und tiefer werdenden Atem von Sonja. Sie versucht die Ruhe wieder zu finden, schafft es aber nicht. Sie geriet in Panik und wir kreidebleich. Hysterisch und fast schreiend sagt sie:

"Wie wollen wir es je aus diesem Höllenloch hinaus schaffen?! Und wenn, wie werde ich es jemals wieder schaffen ein normales Leben zu führen?! Soll ich hier sterben?! Wie spät ist es?!"

Wir Werden Uns In Der Hölle Sehen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt