Wie es begann!

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Berlin. Wir schreiben das Jahr 2016. Die Neue Mittelschule Berliner Wald. Mit einem gewissen Maß an Langeweile ließen alle anwesenden Schüler den Geschichtsunterricht an sich vorüber ziehen. Niemand schien aufzupassen, bis plötzlich-„Abgabetermin ist nächste Woche"

Kennt ihr so etwas, wenn niemand geistig anwesend zu sein scheint und dann vier simple Worte einen regelrechten Tumult auslösen können? Ja? Denn genau das ist gerade passiert! Jeder rief durcheinander: „Wie was ist los? Wann abgeben? Was abgeben? Welches Projekt?!" Mittendrinn ich und meine beste Freundin Irenka. Schule ist doch schön, ne?

Irenka....nun ja wie soll ich sie nur beschreiben? Sonderbar? Wäre etwas gemein, würde aber genau ins Schwarze treffen. Im Gegensatz zu anderen Mädchen dieser Klasse ist sie freundlicher, nicht so äh...asozial? Ja, so könnte man es gut umschreiben. Auch wenn sie äußerlich gewissen Klischees entspricht. Ihr eigentlich schwarzes Haar hat sie blond gefärbt...vor nem Jahr. Das sagt mir jedenfalls der zehn Zentimeter lange, dunkle Ansatz. Unter anderem, breite Augenbrauen in dunklem Schwarz, ebenfalls ihre weiblichen Rundungen schmückt sie mit feinstem Leopardenmuster. Jetzt dürftet ihr so eine ungefähre Vorstellung von meiner besten Freundin haben. Aber hey, so schräg das auch klingen mag, sie ist echt nett.

Ich hingegen bin etwas anders, steche hier an dieser Schule sogar richtig aus der Menge. Obwohl ich ja eigentlich...normaler bin. Für hier schon ZU normal. Der Grund, wieso ich nun aber hier bin, ist, dass ich in meiner gesamten Lebenszeit noch nie ein Schulbuch in die Hand genommen habe und es auch in Zukunft nicht vorhabe. Also, um mich einmal kurz selbst zu beschreiben, wenn ich schon einmal dabei bin: Ich habe, im Gegensatz zu Irenka, tatsächlich blondes Haar. Naja, mehr oder weniger. Es ist eher so ein Rotblond. Meine Augen blau.

Nun, um in die gegenwärtige Situation zurückzukehren. Irenka springt schlagartig auf und ruft dem, die Klasse bereits verlassenden Lehrer zu: „Ey, Alter, was für'n Projekt?"
„Achten Sie auf Ihre Wortwahl Fräulein Dušanka", ermahnt sie Herr Lindemann.
„Ja, sorry. Also, älterer Herr könnten Sie Ihr zuvor erwähntes Projekt noch einmal...äh...erwähnen?"
Seufzend sieht der Lehrer auf, blickte in die geschockten Gesichter der Schüler und beginnt von neuem: „Nun gut, Filmprojekt zum Thema ‚Deutsche Geschichte' - Abgabetermin ist, wie gesagt, nächste Woche. Und nun, wäre ich sehr dankbar, wenn ich endlich nach Hause gehen dürfte." Mit diesem Satz beendet er den Unterricht und flieht geradezu aus der Klasse.

Irenka beugt sich zu mir, mit einem seltsam ernsten und nachdenklichen Gesichtsausdruck, den ich an ihr kaum kenne. „Weißte was, isch hab so ne Idee. Wir filmen im Bunker. Weißte eh, so wegen zweitem Weltkrieg und so. Wär doch fun." Ja, an ihrer Sprache könnten wir noch etwas feilen. Aber ich hab es mir schon abgewöhnt sie auszubessern, da ich die Hoffnung bei ihr schon aufgegeben habe.

Eines muss man ihr aber lassen: Manchmal hat sie verdammt gute Ideen. So wie diese hier. Ein Filmprojekt zum 2. Weltkrieg. Und damit beginnt das Desaster...

***

„Bist du dir sicher, dass wir das machen sollen? Hier?" Etwas zweifelnd sehe ich mich in unserem Schulbunker um. Die grauen, kalten Wände, die uns umgaben wirken befremdlich und eigentlich will ich nichts lieber als wieder hier raus. Das einzige Licht, das den Raum erhellt, ist eine nackte Glühbirne, die hin und wieder flackert und der ich es nicht zutraue, dass sie es noch die nächste Stunde macht. „Warum haben wir sowas überhaupt an unserer Schule?"
„Keine Ahnung. Wegen Notfall und so?" Mit ihren Händen zeichnet sie seltsame, sinnlose Formen in der Luft.
„Na gut, aber beeilen wir uns."
Dann hält sie die Kamera hoch und schreit lautstark „Action."
Flackernd geht das Licht aus, nur der grelle Kamerablitz durchschneidet kurz die Dunkelheit. Erschrocken kneife ich die Augen zusammen. Selbst Momente später, sehe ich noch das Licht hinter meinen Augenlidern aufflackern. Na ganz toll!
Das nächste, ein markerschütternder Schrei. Von Irenka, die passenderweise genau neben mir steht und mir somit ins Ohr schreit. Na ganz toll! - Hoch zwei.
„Irenka! Halt die Fresse!" Hoppla, da geht wohl der Dialekt etwas mit mir durch.
Sofort verstummt meine beste Freundin neben mir. „W-Was machen wir jetzt? Wir werden sicher verhungern! Wenn wir hier nich rauskomm', kann isch nie wieder ‚Keeping up with the Kardashians' gucken! Oder...oder..." Unglaublich wie Irenka in so einer Situation schon wieder eine ihrer kleinen Panikattacken erleidet...und an eine ihrer heißgeliebten Reality-Shows denkt.
„Wir müssen den Lichtschalter finden...oder besser noch den Ausgang", sage ich, während ich mich schon langsam vorantaste. Ich hab doch von Anfang an gewusst, dass die Idee nicht gutgehen kann!
Langsam taste ich mich zur Wand vor, bis ich plötzlich den kalten Beton berühre. Auf einmal - von draußen ein Knall. Eine Tür wird aufgetreten. Schritte. Ein Schrei.
„Was war das?"
„Sicher die Bullen. Habn sicher den Lindemann verhaftet." Irenka lacht über ihren schlechten Witz.
Von mir kommt nur ein trockenes „Ha ha".
Dann wird die Tür aufgerissen. Das grelle Tageslicht blendet mich kurzzeitig und ich muss ein paar Mal blinzeln um mich daran zu gewöhnen.
Irenka hält sich beide Hände vor die Augen.
„Hier sind noch ein paar!" Die dunkle, raue Stimme, die uns vom Ausgang entgegenhallt, klingt auf eine seltsame Art bedrohlich, was wahrscheinlich auch an der Tatsache liegt, dass ich keine Ahnung habe, was mit diesen Worten gemeint ist. Zudem ist sie mir überraschend fremd, lässt mich erst einmal heftig zurückschrecken. Wer zum Teufel ist das?
Nun erkenne ich auch schon die Umrisse, wenige Momente später den gesamten Mann, der sich uns nähert. Mir ist klar, dass ich ihm zuvor noch nie begegnet bin. Was macht so jemand an unserer Schule?

„Äh...Kann isch die Augen wieder öffnen?" fragt Irenka verunsichert hinter mir.

Der Mann sah uns an, seine Augen, bedrohlich...ein eisiges Blau, das uns wie eine Kugel aus einer Luger P08 durchsticht. Die Haare blond. Streng zurückgekämmt. Und....Uniform! Eine die mir auch noch verdächtig bekannt vorkommt. Eine schwarze Uniform, geziert mit allerlei Abzeichen und eine Kappe die der eines Polizisten ähnelt. Er trägt Krawatte. Und richtet verdammt noch einmal eine Waffe auf mich und meine Freundin...eine Luger Pistole wie ich bemerke....ist dieser Mann etwa ein...ach das kann doch nicht möglich sein wir haben doch 2016!

Verdattert starrt Irenka den Mann vor uns an. „Biste von der Polizei? Wenn ja isch verkaufe kein Weed!" versucht sie sich aus einem nicht vorhandenem Problem herauszureden.

„Wie Polizei? Woher seid ihr denn, dass ihr keinen von der SS erkennt?" er zieht eine Augenbraue hoch und winkt seine Kammeraden herbei, die uns sofort an beiden Armen ergreifen. „Was sucht ihr denn hier? Treibt ihr euch bei diesem Judenpack herum oder seid ihr selbst welche?"

„Wie Juden....Isch bin Hauptschüler" wehrt sich Irenka und wirft mir einen vorwurfsvollen Blick zu.

„Ähm...wir haben keine Religion....wir wurden nicht getauft" stottere ich vor mich hin, in Angstsituationen kann ich keinen klaren Kopf bewahren.


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