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Ich habe wirklich gedacht, dass man mit dem Alter erwachsener und reifer wird, aber leider war dies nicht der Fall. Es reicht, wenn Leute bereits um mich herum reden und diskutieren, warum und wieso Lewis denn gestorben ist, aber mich dann noch deswegen mitleidig anzusehen, reicht mir dann doch. Wenigstens belästigen sie Olivia nicht damit, denn die wäre noch vor wenigen Wochen vollkommen zerstört gewesen.

Da glaubt man, man hätte schon genug Grausamkeit gesehen und dann sieht man den besten Freund tot in der Badewanne liegen. Wenigstens musste ich so nicht großartig putzen. Normalerweise würde Olivia diesen Witz bringen, aber irgendwie wollte Lewis uns sicher einen Gefallen tun.

Olivia wieder lachen zu sehen, tut gut, auch wenn sie es schadenfroh meint, denn gerade ist ein Kind hingefallen. Ich hatte in den letzten Wochen immer wieder versucht, sie vor allem zu schützen, besonders vor den Gerüchten. Viele sprachen mich auch an, wie es mir denn jetzt gehen würde und dachten, dass Olivia Lewis in den Tod folgen würde, aber ich habe das alles auf mich genommen. Olivia war in meinen Augen zu instabil für sowas und ist es immer noch. Sie hat nicht wirklich gemerkt, was um sie herum passiert ist und dafür habe ich selbst auch gesorgt.

Ich führe mich ja fast wie ihr großer Bruder auf und vermutlich hätte Lewis das auf seine Art auch getan. Er hätte sie mit seinen Witzen ausgemuntert und ich weiß nicht, ob er das so genau gemerkt hätte, aber Lewis war eh ein wandelndes Rätsel. Ein depressives, wandelndes Rätsel.

,,Zack?", höre ich Olivia neben mir fragen, während ich aus dem Fenster starre.

,,Was ist?", frage ich sie neugierig und wende ihr meine Aufmerksamkeit zu. Sie sah vor einigen Wochen noch aus wie eine Leiche, weil sie kaum geschlafen hat. Vielleicht auch eher wie ein Zombie.

,,Ist das normal, dass die uns so anstarren?", blickt sie sich um und ich reibe mir meine Augen. Ich habe gestern Überstunden schieben müssen und bei Gott, ich leide unter Schlafentzug.

,,Ignorier sie, Olivia", murmele ich und gähne.

,,Überstunden?", legt sie ihren Kopf schief und ich nicke stumm.

,,Wenn du bald Rost an deinem Körper entdeckt, dann bist du definitiv zu oft in der Werkstatt."

Ich bin wirklich froh, dass Olivia ihren Sinn für Humor nicht verloren hat, auch wenn kaum jemand sie versteht, aber ich lächele nur kurz und nehme einen Schluck Kaffee. Das Café ist wirklich nicht wunderschön, aber dafür ist der Kaffee gut und die Bedienung relativ schnell. Ich sehe zu Olivia herüber, die auf ihren Kaffeebecher starrt und in Erinnerungen welkt. Lewis ist einfach noch so existent in unseren Gedanken und Leben, dass es mir weh tun sollte, aber ich habe selbst bei seiner Beerdigung keinen Schmerz in meiner Brust gespürt. Da war einfach nicht dieser Schmerz, von dem alle reden.

,,Weißt du noch, wie Lewis hier Nadja angebaggert hat und dann eine Absage kassiert hat, da sie bereits verheiratet sei und nichts von Playboys halten würde?", flüsterte Olivia leise. Die Stille, die uns umgab, verschwindet und ich grinse leicht.

,,Lewis hat sich ja fast beleidigt gefühlt", füge ich hinzu und erinnere mich daran, dass wir hier sowas wie Stammkunden waren. Nadja hat uns oftmals bedient und obwohl sie nur die Aushilfe war, um sich ihr Taschengeld aufzubessern, befreundeten wir uns und nun arbeitet sie hier oft jeden Tag gegen Mittag. Sie spart auf ihr eigenes Auto oder zumindest auf etwas, was sie sich in Zukunft mal kaufen will. Jedenfalls hat sie immer was zum Zurücklegen, wie sie mir erzählt hat, als Olivia Lewis' Wohnung nicht verließ und ich hier oftmals alleine Kaffee trank. Natürlich kamen einige Typen zu mir, die Lewis kannten und fragten mich aus.

Als ich Nadjas Blick sah, schloss ich meine Augen und drehte mich weg. Ich wollte kein Mitleid sehen, wenn sie Lewis doch alle nie gekannt haben. Er war mein bester Freund, trotz der vielen Prügeleien und betrunkenen Erlebnisse. Noch heute liege ich abends wach im Bett und denke an unsere Lacher in den frühen Morgenstunden, das Aufwecken von Lewis, der in der Badewanne lag und die blutigen Nasen, die wir uns jedes Mal verpassten. Ich will mich einfach nicht an den depressiven und endlos traurigen Lewis erinnern, der niemals Schwäche zeigen wollte.

Ich schlucke kurz, bevor ich tief einatme. Olivia schenkt mir ein Lächeln, was ich erwidere. Beziehungen sind nicht unser Ding, so auch wie bei Lewis. Ich will keine nervige Freundin, die mir die Ohren zerstört oder nur aus Mitleid mit mir zusammenkommt. Olivia findet einfach keinen, der in irgendeiner Weise zu ihr passt oder ihr gefällt. Wir sind dank dem Selbstmord von Lewis viel enger befreundet. Früher haben wir uns nie wirklich miteinander auseinandergesetzt. Lewis war immer unsere Hauptperson.

Wenn er mal abgehauen war und wir beide Panik und Sorge schoben, dann unterhielten wir uns natürlich oder wir machten uns gegenseitig Hoffnung, dass er sich nicht das Leben nehmen würde, aber Lewis war einfach immer alles, was wichtig war. Olivia und ich verbrachten vielleicht mal einige Stunden gemeinsam und rätselten, was mit Lewis los war, witzelten einfach nur herum oder sprachen über alte Zeiten und wie wir uns alle kennenlernten, aber so genau wissen wir es nicht. Wir wurden zu Freunden, es ist einfach passiert und es erfreut mich, dass ich Lewis kennengelernt habe und nun Olivia lachen sehen kann.

,,Es wird niemals so wie damals werden", bemerke ich und seufze müde. Olivia blickt mich an, während ich mich in dem Café umschaue.

,,Wie hast du es eigentlich überstanden? Also, ich meine.. wie hast du den Tod von Lewis verarbeitet?", fragt sie mich zögernd. Wir haben noch nie darüber gesprochen und ich gehe lieber diesem Thema aus dem Weg. Ich fühle vielleicht nicht wirklich so stark den Verlust von Lewis wie Olivia, aber ich bemerke die Abwesenheit.

,,Keine Ahnung. Ich habe es akzeptiert, als ich vor diesem Sarg stand. Ich habe gewusst, dass Lewis nicht so lange leben wird wie wir, aber es war auch erstmal ein Schock. Ich war auch traurig, wütend und verzweifelt, aber als ich diesen Sarg gesehen habe, wusste ich, dass er nicht leben wollte und deswegen einfach in meinen Alltag zurückgehen musste. Ich musste teilweise auch für dich stark bleiben", erkläre ich ihr und verschweige ihr, dass ich auch um Lewis geweint habe. Ich habe Dinge zerstört, mir die Haare gerauft und immer wieder seinen toten Körper vor meinen Augen gesehen. Es war nahezu krankhaft, wie depressiv Lewis war, aber so war Lewis. Er war bereits so kaputt, dass er nicht mehr zerstört werden konnte.

Ich erinnere mich noch daran, wie kreidebleich Olivia war, als sie mir die Tür öffnete. Sie hatte mich mit zittriger Stimme angerufen und gesagt, dass ich zu Lewis' Wohnung fahren soll. Sie hatte geweitete Pupillen und führte mich ins Badezimmer. Ich war verwirrt, total irritert und dann sah ich das ganze Blut.

,,Geh ins Wohnzimmer, Olivia", habe ich ihr befohlen und meinen Kopf geschüttelt. Ich konnte kaum hinsehen, weil mir so schlecht war. Sein Körper lag in der Badewanne, Olivia stand völlig unter Schock und ich stand im Türrahmen. Ich griff nach dem Telefon und rief den Notarzt, auch wenn ich wusste, dass er tot war. Bei sowas machte Lewis keine Fehler, er wollte nicht überleben und das hat er auch nicht.

Ich habe irgendwann hingesehen, ihn angestarrt. Er sah aus, als würde er schlafen. Die Augenringe waren deutlich zu erkennen und seine Kleidung war alltäglich. Ich fühlte seinen Puls und spürte die Tränen in meinen Augen. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte, aber ich wusste, dass Olivia im Wohnzimmer saß und ich keinen Nervenzusammenbruch gebrauchen konnte. Ich schluckte mehrmals, wischte mir über die Augen und blinzelte. Ich werde diese Bilder vermutlich niemals wieder aus dem Kopf kriegen und bis heute noch bei dem Gedanken daran fast weinen, aber das geht vorbei.

,,Ich vermisse ihn."

Ich auch, Olivia. Ich auch.

Dead friendWo Geschichten leben. Entdecke jetzt