FÜNF

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   Sie öffnete eine Tür, stellte den Koffer ab ging wieder runter. »Ist sie nicht reizend?«, fragte Chris sarkastisch und schmiss sich auf das große Bett, dass vor einem der zwei Fenster stand. Ich fragte mich, warum alle in diesem Haus so furchtbar unfreundlich und ungesprächig waren. Auf einmal knurrte mein Magen und Chris lachte.

»Ich habe Hunger.«, quengelte ich und Chris nahm meine Hand und zog mich förmlich die Treppe runter in die Küche, wo es wunderbar roch. Ich blieb allerdings im Türrahmen stehen und starrte die Person an, die mit dem Rücken zu mir am Tisch saß und sich mit Lisa unterhielt. »Wollt ihr auch etwas essen?«, fragte Lisa und Chris bejahte sofort und setzte sich selbstverständlich an den Tisch. Die Person, die ein Junge war, stand unmittelbar vom Tisch auf und ging raus, den Blick auf den Fußboden gerichtet. Ich setzte mich zögerlich an den Tisch. »Was war das denn gerade oder eher gesagt, wer war das?«

   »Das ist Mike.«, sagte Lisa mit vollem Mund. Ich sah sie immer noch fragend an. »Mein Sohn...«, murmelte sie und ich verschluckte mich an den Kartoffeln. »Dein Sohn? Also von... von meinem... warte kurz.« Ich trank einen Schluck Wasser, weil ich immer noch am Husten war. »Falls du wissen willst, ob dein Vater auch der Vater von Mike ist, nein. Ich habe mich von seinem Vater vor fast zehn Jahren getrennt.«, erklärte sie mir und beantwortete mir somit meine halb ausgesprochene Frage. »Wie alt ist er?«, fragte ich Lisa, während ich noch ein Stück Kartoffeln aß.

Meine Mutter konnte den besten Auflauf mit Kartoffeln machen, na ja sie konnte generell ziemlich gut kochen, wenn wir mal was da hatten. Aber ich musste zugeben, das Zeug von Lisa war auch wirklich lecker.

»Neunzehn.«, sagte sie und strich sich die roten Haare aus dem Gesicht, die sich aus dem hohen Zopf gelöst hatten. Das erinnerte mich daran, dass ich wieder zum Friseur musste, denn das letzte mal als ich dort war, hatte ich mir meine hell braunen Haare schwarz gefärbt.

»Oh Gott, du schaust wie ein Rabe aus! Pfui!«, hat meine Mutter hysterisch geschrien, als ich abends nach Hause kam. »Ach ich find's gar nicht so schlimm.«, hat Chris versucht sie zu beruhigen, doch es half nichts. Sie hat nicht aufgehört, sich darüber aufzuregen, stattdessen ist sie zum nächsten Drogeriemarkt gefahren und hat neue Farbe gekauft, damit ich mir meine Haare wieder hell färben konnte, doch das hat nicht ganz so funktioniert, so dass ich im Endeffekt noch mal zum Friseur musste. Er färbte mir die Haare wieder Pech schwarz.

   Allerdings war die Farbe wieder rausgewachsen und es war nur noch die untere Hälfte meiner Haare schwarz, aber es sah noch okay aus. Ich konnte gut damit leben.

»Du bist siebzehn, oder?«, fragte sich mich schüchtern »Ja.«, antwortete ich ihr und wir unterhielten uns noch eine Weile. Sie fragte, wann ich Geburtstag habe, ob ich feiern möchte, wie ich letztes Jahr gefeiert habe und dann hat sich Chris unserem Gespräch angeschlossen, in dem er eine peinliche Geschichte nach der nächsten von mir raushaute.


»So schlimm ist es doch gar nicht.«

   »Hab ich ja auch nicht behauptet.«

»Ja dann kann ich doch gehen.«

   »Das hab ich doch schon vor einer halben Stunde gesagt.«

»Dann gehe ich jetzt.«

   »Bis morgen.«

»Und du bist dir wirklich sicher, dass ich gehen kann.«

   »Meine Güte, JA.«, sagte ich lachend, während ich die Augen verdrehte und Mailo kurz bellte. Wir sind schon vor fast einer halben Stunde runter gekommen und standen immer noch vor der Tür, weil Chris einfach nicht ging.

»Ja ja ja, das Bärchen ist alt genug und braucht ihren großen Bruder nicht.«, sagte er und sein Gesichtsausdruck brachte mich zum lachen. »Du kommst morgen?«, fragte ich und gab ihm seine Jacke, die ich damals ausgesucht habe und meine Mutter gekauft hat und ihm zum Geburtstag geschenkt hat.

   Das war glaub ich sein sechzehnter Geburtstag und der beste seines Lebens, weil meine Mutter an dem Tag total gut gelaunt war und drei Torten plus hundert Muffins gemacht hat, Chris alle seine Freunde eingeladen hat - und glaubt mir, das waren viele - und dann haben wir einen fast 3 Meter hohen Schneemann gebaut (Chris hat im Winter Geburtstag) und waren Schlittschuhlaufen, man sieht immer noch die Narbe an meinem Knie, die mich jeden Winter daran erinnert, dass ich nie wieder „Ja" zum laufen auf dem Eis sagen sollte.

Mitten in der Nacht sind wir dann in sein Zimmer gegangen, ohne das Licht an zu machen, um Wahrheit oder Pflicht zu spielen, doch wir haben uns erschrocken und haben fast sein Aquarium umgeworfen, weil der Kopf von unserem Schneemann, den wir übrigens Chris-Rudolf Fettman getauft haben (Wir hatten nämlich keine Karotten mehr und haben stattdessen eine Tomate als Nase genommen, Tim, der beste Freund von Chris, meinte, die Tomate würde ihn an Chris' Nase erinnern und irgendwie hatte der Schneemann keine Bikinifigur- deswegen der Name), genau vor dem Fenster war und durch das schwache Licht der Straßenlaterne aussah, als wenn er der Hauptdarsteller von Saw oder Sinister wäre.

»Wie gesagt, ich komm kurz vor der Arbeit vorbei, aber falls was sein sollte, ruf bitte sofort an.«

   Ich nickte und er ging, nach dem er mir ein letztes Lächeln geschenkt hat.

   Ich sah ihm noch nach, doch er drehte sich nicht um, denn Chris drehte sich nie um, wenn er ging.

   Selbst wenn ich jetzt geweint hätte, hätte er sich nicht umgedreht.

Mailo rannte raus, in den Garten und ich machte mir nicht die Mühe, ihm hinter her zu rennen, denn spätestens wenn er Hunger bekommen würde, würde er zurück kommen.

Genau in dem Moment, als ich die Haustür schloss, kam Mike runter. 

I'M SORRY  #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt