ZWEIUNDZWANZIG

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   Bald war Weihnachten und ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich könnte zu meiner Mutter, was ich auf wahrscheinlich machen würde, aber dann würde ich das romantische Fest mit ihrem Freund irgend wie stören. Ich könnte aber auch bei meinem Vater bleiben und mit Mike, und wahrscheinlich jetzt auch Chris, feiern, aber da wäre ich auch das fünfte Rad am Wagen. Mein Vater hatte auch Lisa und ich war einfach nur alleine. Ich hatte Mailo, wow.

   Plötzlich zog besagter stärker an der Leine, so dass ich meinen Kopf hob und meine Augen zusammenkneifen musste, um wegen des Schnees etwas sehen zu können. Irgend jemand saß dort auf der vereisten Bank, starrte auf sein Handy. War das Paul? Bitte nicht, ich wollte ihn nicht wieder sehen. Er verwirrte mich einfach nur. Durchgehend. Das zwischen uns war, wenn da überhaupt etwas war, immer noch nicht klärt und ich wusste nie, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Nicht, dass er mich nervös machte- nun gut, ein bißchen schon, doch er gab mir keine Zeit, mich auf etwas vorzubereiten. Er war so direkt, entweder er sagte etwas, dass mich völlig aus der Bahn warf oder er küsste mich einfach so.

   »Johanna?«, fragte er mit rauer Stimme. Es war Paul. Verdammt noch Mal, das Schicksal war heute wohl so überhaupt nicht auf meiner Seite. Mailo hörte auf zu kläffen, stattdessen wedelte er seelenruhig mit seinem Schwänzchen und schmiegte sich an Pauls Beine.

   Dieser sah mich durch einzelne Strähnen, die aus seiner Mütze fielen, an, der Schnee verklebte seine dichten Wimpern und seine Unterlippe zitterte leicht. Kein Wunder, bei diesen Minusgraden.

   »Was machst du hier?«, fragte er.

   »Siehst du doch.«, sagte ich etwas zickig und zeigte mit dem Kopf leicht zu Mailo, der jetzt Streicheleinheiten von Paul genießen durfte. »Und du?« Wer saß denn bitte spät Abends auf einer kalten Bank, mitten im Schnee, völlig alleine? Nur Vergewaltiger, Obdachlose und Mörder. Aber keine heißen Jungs, bei denen Mädchen weiche Knie bekamen.

   »Keine Ahnung.«, er zuckte mit den Schultern und ich drehte mich um, zog Mailo hinter mir her und ging, denn ich war nicht in der Stimmung zu reden und Paul war nicht gesprächig. Außerdem machte er mich doch nervös. Und zwar gewaltig. Ich hörte es rascheln, dann Schritte und dann spürte ich seine Wärme dicht neben mir. Was wollte er denn jetzt wieder?

   »Ich war überfordert und bin dann einfach rausgelaufen.«

   Wo die Ehrlichkeit jetzt her kam, wusste ich auch nicht, und wieso er mir hinterher lief, war mir auch ein Rätsel.

   Aber hey, es ging im gerade wie mir. Dann wären wir schon zwei, die vor ihrem Leben davon liefen.

Schweigend liefen wir den Kieselweg entlang, Mailo lief vor uns, der Schnee knirschte unter unseren Schuhsohlen und mit der Zeit wurde es nicht nur immer dunkler, sondern auch immer kälter. Konnte er mich nicht einfach umarmen, so wie die Jungen es immer in den ganzen Geschichten taten? Hach, so wird das nie was mit uns.

   »Mein Bruder heiratet nächste Woche.«, sagte er schließlich. Einfach so. Bruder. Flo. Diese Erkenntnis führte dazu, dass ich mich verschluckte und husten musste. Gut gemacht Jo, total attraktiv. Und dann wunderst du dich, wieso du keinen Freund abbekommst.

   »Dein... Florian?«, fragte ich schweratmend, räusperte mich noch ein Mal und sah dann zu Mailo, der mich anstarrte, als würde er mir sagen wollen, dass ich mich wie ein Monster angehört habe.

   »Du kennst ihn?«, »Ja. Wir sind...,« Befreundet? Nah. »Bekannte. Aber ist doch schön, ich meine, die Hochzeit.« Ach? Du findest es doch genau so scheiße. Aber warte, wenn er der Bruder war, war es Paul, mit dem Flo's Freundin, oder eher Verlobte, ihn betrogen hatte? Ouh, jetzt erschien mir Paul wieder ein Arschloch. Mit der Freundin seines Bruders rummachen ist kein Zeichen von Schwesterliebe.

   »Ja... nein, ich will da nicht hin gehen, aber ich muss. Mein Vater hat gesagt, er schmeißt mich endgültig raus, wenn ich da nicht im Anzug erscheine.«

Dann blieb er plötzlich stehen und sah mich fragend an. Hatte ich was verpasst?

   Ich hörte ihn tief einatmen, »Kannst du mich begleiten?«

I'M SORRY  #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt