EINUNDZWANZIG

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BÄM.

Das saß.

Das kam überraschend.

   Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte alles erwartet, irgend welche anderen Probleme, aber nicht das.

Aber hey, jetzt machte die ganze Geschichte mit dem Kuss neulich auch einen Sinn.

Ich sah Chris völlig verdattert an und ihm schien das alles unangenehm zu sein, denn er sah peinlich berührt auf meinen Boden, auf dem auch das Kondom lag.

   »Deswegen auch der Kuss und der Streit letztens.«, stellte ich fest, nur um sicher zu sein. Und um seinen Blick auf mich zu richten. Chris nickte.

»Er hat mich völlig überrumpelt, hat mich völlig ohne Zusammenhang geküsst.«

   »Chris,«, ich legte meine Hand auf seinen Arm, »bist du... also...«, die Worte blieben mir im Hals stecken, doch er schien mich zu verstehen und schüttete dann schnell den Kopf.

»Nein, nein.«, sagte er, wurde noch röter und wischte sich seine Hände an der Hose ab.

   »Sicher? Ich mein, es wäre ja nicht schlimm.« Ich meine, es wäre wirklich nicht schlimm. Für mich jeden Fall nicht. Ich tolerierte jegliche Liebe.

»Ja. Nein. Ach ich weiss es doch selber nicht.« Er seufzte, völlig überfordert mit der Situation.

»Ich mag ihn.«, flüsterte er nach einem Moment der Stille, ich dachte schon, er würde gleich gehen, ohne ein weiteres Wort, doch nein.

   Er mochte ihn. Chris und Mike. Mike und Chris.

   »Damals auch schon?« Wenn ja, wieso hatte er ihm dann eine verpasst? »Gott nein, ich glaube nicht. Wir waren noch jung, waren gerade aus dem Alter raus, wo man Mädchen eklig fand. Irgend was mit einem Jungen; das konnte ich mir damals nicht vorstellen. Es war etwas unnormales, alle haben gerade angefangen, Mädchen hinter her zu schmachten und ich hab bis vor kurzem nie darüber nach gedacht, hab es verdrängt, fast schon vergessen. Und dann kommt Mike und küsst mich, schon wieder. Einfach so.«, jammerte er rum und ließ sich rücklings auf mein Bett fallen, schloss die Augen und seufzte wieder Mal. Noch eine Person die völlig fertig war, weil sie ihre Gefühle nicht einordnen konnte. Oder akzeptieren. Das Problem lag wohl in der Familie.

Ich legte mich neben Chris, legte meinen Kopf auf seinen Arm und kuschelte mich an ihn dran. Eine vertraute Wärme und Ruhe umfingen mich.

Wie lange war es schon her, dass wir einfach zusammen da lagen, alles vergessen habe?

   Es zählten nur wir, er und ich, Jo und Chris. Früher lagen wir immer zusammen auf seinem Bett, zusammengerollt, versuchten den Streit meiner Eltern auszublenden. Doch wir hatten dünne, sehr sehr dünne, Wände im Haus, so dass wir trotzdem alles anhören musste. Chris nahm mich immer in den Arm und fing an mir irgend einen Schwachsinn zu erzählen, einfach um mich abzulenken.

Ich sah ihn von der Seite an, sein makelloses Gesicht. Wieso hat er die ganze Perfektion abbekommen und ich hingegen sah aus wie ein Walross?

   »Wie war der Kuss?«, fragte ich dann irgend wann, während ich mich immer noch darüber ärgerte, dass er so gut aussah.

Blitzartig schlug er die Augen auf und starrte mich an, so dass es schon fast unheimlich war. Er schien zu überlegen, biss sich auf die Unterlippe.

   »Ich... gut... keine Ahnung.«

»So schlimm, dass du ihn und die Vitrine umschubsen musstest?«, fragte ich grinsend und schaffte es tatsächlich ihn etwas zum Lächeln zu bringen. »Nein. Ich... Ich wollte gar nicht, dass er aufhört.«, nuschelte er mehr zu sich selber, fast zu leise, aber ich hatte es gehört. »Aww.«, sagte ich grinsen und er wurde wieder rot. Süß.

   »JO? MACHST DU ESSEN?«, kam es plötzlich von unten, unser beide Lächeln erstarb und Chris sah mich wieder panisch an. Mike war da.

»Ihr solltet das klären.«, flüsterte ich, stand langsam auf und sah Chris auffordernd an, dieser schüttelte allerdings schnell der Kopf, so dass ich schon vom zusehen Kopfschmerzen bekam. Schisser.

   »Doch. Er mag dich, du magst ihn, er hat dich geküsst, dir hat es gefallen und hast ihn trotzdem verletzt. Erkennst du, wer hier Mist gebaut hat?« Das fasste die Situation gut zusammen. Ausserdem war Mike Tagelang danach verschwunden und Lisa und ich wären fast vor Sorge gestorben. Er hätte sonst was tun können. Herr Gott dieser Junge ist unberechenbar.

»KLAR, CHRIS ISST MIT UNS.«, rief ich auf halbem Weg zur Küche, hörte ein Glas klirren und ein panisches Keuchen von Chris, der hinter mir auftauchte. Mein Herz pochte wahrscheinlich genau so sehr wie seins, obwohl ich hier überhaupt keine Rolle spielte.

   In der Küche stand Mike, sah mich mit aufgerissenen Augen auf, auf dem Boden ein Glas. Chris hinter mir verkrampfte und wurde augenblicklich rot, atmete hörbar aus.

Gott, wie zwei Mädchen.

Diese erdrückenden Stimmung war ja kaum auszuhalten. Beide starrten sich einfach an, mich beachtete natürlich mal wieder keiner. Sollte ich gehen?

»Was willst du essen?«, fragte ich daher etwas unsicher. Vielleicht war das hier ja doch eine dumme Idee. Sie sind alt genug um ihren Mist selber zu klären.

Mike zuckte mit den Schultern, sah schnell weg, hob das Glas auf. »Ich gehe aufs Zimmer.«, flüsterte er, während er an mir vorbei gang, doch nicht mit mir. Ich griff nach seinem Handgelenk, sein Kopf Schelte zu mir. »Rede mit ihm. Glaub mir, alles wird gut.« Ich lächelte ihm aufmuntert zu und er schluckte. Verunsichert bleib er vor mir stehen und ich nickte ihm noch Mal zu, bis er sich mit einem »Chris?« von mir abwandte und meinen Bruder ansah, der immer noch rot wie sonst was war.

I'M SORRY  #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt