ACHTZEHN

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   Erleichtert schmiss ich mich auf die Couch in dem großen, modern eingerichteten Wohnzimmer und versuchte meine Atmung unter Kontrolle zu bringen, denn ich bin etwas schnell her gelaufen. Naja, eher gerannt. Panisch. Wie eine Irre. Den ganzen gottverdammten Weg, obwohl meine Mutter gefühlt am anderen Ende der Stadt wohnte. Man kann sich wohl gut vorstellen, das ich mich jetzt fühlte wie eine Sterbende. Gott, ich fühlte mich schlapp, ausgelaugt und mit den Kräften am Ende. Meine Lunge brannte wie Hölle und meine Füße schmerzten. Ich hätte auch einfach in das Haus meiner Mutter kehren können, das war immerhin nur drei Meter hinter mir gewesen, da hätte ich nicht durch die halbe Stadt laufen müssen. Aber dort fühlte ich mich nicht mehr so ganz sicher. Verständlich, oder?

   Einige Minuten später, ich lag dort immer noch schwer atmend und verschwitzt, betrat Mike das Haus und sah mich fragend an .»Hast du Sport gemacht?«, fragte er lachend und legte sich dramatisch die Hand an die Stelle, wo sein Herz war. Ich schüttelte den Kopf, sah ihn böse an und er fing an zu lachen. Als er wieder seinen Mund öffnete um etwas zu sagen, fiel ich ihm ins Wort »Frag gar nicht weiter.«

Seit dem... peinlichen Zwischenfall - das Bild geht mir immer noch nicht aus dem Kopf - ist schon ein Weilchen vergangen und wir beide verhielten uns einfach so, als sei nichts passiert. Also alles wie vorher.

   Er drehte sich um und wollte gerade wieder gehen, wahrscheinlich hoch um etwas zu lesen oder sich... naja okay. Auch egal. »Mike?«, fragte ich zögerlich und setzte mich auf. »Kann ich dich was fragen?«

»Wenn du meinen Schwanz sehen willst, die Antwort lautet; nein.«, sagte er und wackelte mit den Augenbrauen, wobei mir was auffiel. Zupfte er die? Das musste ich ihn mal fragen, so aus purer Interesse, aber später. Jetzt hatte das hier Vorrang, denn diese Frage stellte ich mir schon seit Wochen.

»Das ist es nicht.«, sagte ich kopfschüttelnd und musste trotzdem grinsen. »Anfassen darfst du auch nicht.«, sagte er und schmiss sich, wie ich mich zuvor auch, auf die Couch. »Das machst du ja schon.«, sagte ich amüsant und musste mir ein Lachen verkneifen, doch als er mich geschockt ansah, konnte ich nicht mehr und verfiel regelrecht in einen schrecklich Lachanfall, der erst aufhörte, als Mike aufstand und gehen wollte. Mensch wieso wollte er denn nie länger als fünf Minuten bei mir bleiben? Doch ich riss mich zusammen und stellte mich schnell auf um ihm den Weg zu versperren. Er blickte zu mir runter, da er etwas größer war als ich. Wieso war ich eigentlich so klein? Eigentlich waren 1,70m normal, das waren zwei Meter, wenn man aufrundete.

   »Bist du schwul?« Also im Grunde war er nicht das, was ich eigentlich wissen wollte, aber sofort mit der Tür in's Haus fallen war nicht gerade die fein englische Art. Vor allem nicht bei diesem Thema. Und generell, es war nicht meine Art, einfach gerade aus das zu sagen oder zu fragen, was mir auf der Zunge lag.

   Mike sah etwas verblüfft aus, er hatte mit einer solchen Frage nicht gerechnet und er schien verwirrt. »Was? Wieso?«, fragte er, zog die Augenbrauen - die sind doch gezupft ey - zusammen, so das er völlig ernst und fast schon einschüchternd wirkte. Vor allem weil er so vorwurfsvoll zu mir herunter sah. »Nur so.« Wusste er überhaupt, dass ich von dem Kuss wusste?

Ach Quatsch. Woher denn bitte? Mit Chris hat er ja sicherlich nicht mehr geredet, also konnte er ihm nicht sagen, dass er es mir erzählt hat. Und dass er Gedanken lesen konnte oder sonst irgend eine andere magische Kraft hatte, nun, davon war ebenfalls nicht auszugehen.

   »Nein.«, sagte er, ohne jegliche Spur von Unsicherheit und Sorge. Er log mir doch tatsächlich mitten ins Gesicht, ohne mit der Wimper zu zucken.

Also na gut. Vielleicht war es die Wahrheit. Gott, wieso erzählte er mir nicht einfach was los war? Als ich nichts mehr erwiderte wollte er gehen, er schob mich etwas zur Seite. Schon wieder wollte er mich los werden. Dreist.

   »Wieso hast du dann Chris geküsst?« Das war die Fragen, deren Antwort mir schleierhaft war. Er seufzte. »Das ist es also.«, sagte er leise. Er wusste also die ganze Zeit, auf was ich hinaus wollte? Gott, und ich dachte, er würde sauer werden und mich anbrüllen oder sonst irgend eine negative Reaktion zeigen. Ich dachte er würde brüllen und sauer aus dem Haus stürmen oder wieder irgend was umwerfen, wobei jetzt keine Vasen mehr im Wohnzimmer standen. Zur Sicherheit, hatte mein Vater gesagt.

Ich sah ihn abwartend an und überlegte, wie ich jetzt gleich reagieren sollte, stellte mir jegliches Szenario vor, doch Mike blieb einfach still und sah mich an. Er tat nicht das, was ich dachte, nichts, er stand einfach vor mir, sah mich eindringlich an, biss sich auf die Lippe.

»Johanna...«, wisperte er, es war gerade Mal das zweite Mal, dass er mich bei meinem richtigen Namen nannte, und plötzlich wirkte er weder ernst, noch einschüchternd, sondern ängstlich, verletzt und gebrochen. In seiner Stimme lag etwas Verzweifeltest, so wie er meinen Namen aussprach. Es lag so viel mehr dahinter, als man ahnen konnte, es klang so flehend, so traurig, und es jagte mir einen Schauer über den Rücken.

Doch so plötzlich diese Zerbrechlichkeit seinerseits auftauchte, so schnell war sie auch schon wieder verflogen und Mike schien ganz der alte zusammen. Denn seine Stimme klang wieder fest, als er »Es geht dich nichts an.« sagte. Der Funken Sorge der sich in mir ausgebreitete hatte, verwandelte sich in Wut.

»Und ob es mich was angeht, er ist mein Bruder, Herr Gott noch Mal.«, rief ich aufgebracht und trat einen Schritt von ihm weg. »Weisst du, Johanna, wenn er ein guter Bruder wäre, hätte er dir davon erzählt.«, zischte er, funkelte mich an und ballte seinen rechte Hand zu einer Faust, wobei mein Blick eher an seinem Unterarm hängen blieb, wo das selbe Tattoo war, wie bei Chris. Es war mir immer noch ein Rätsel, was das zu bedeuten hatte.

»Mir was erzählt?«, fragte ich wieder mit ruhiger Stimme, denn mit Geschrei würde ich hier nichts bezwecken. Mike schwieg wieder, holte resigniert Luft und sah mich etwas gequält an.

»Welche Rolle ich in seinem Leben gespielt habe.«, sagte er und ging, ließ eine verwirrte Jo zurück.

Habe'? Sie kannten sich schon vorher?

I'M SORRY  #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt